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Ausgabe:

1970

Spalte:

705-706

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Rothuizen, Gerard T.

Titel/Untertitel:

Aristocratisch christendom 1970

Rezensent:

Lindijer, Coert H.

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705

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 9

706

stand ist viel ausführlicher als der entsprechende Abschnitt
im 1. Band der Ehkunde. Wichtig ist für Bovet die Gleichberechtigung
beider „Stände", deren Unterschiedenheit nicht
in der sexuellen bzw. nicht-sexuellen Form der Beziehungen
gesehen werden soll, sondern in der Alternative von Bindung
und Freiheit. Diese Alternative sollte im Sinne gleichwertiger
Entscheide von beiden Seiten respektiert werden.
»Die organische Eingliederung des Ledigenstandes in die
moderne Gesellschaft und seine lebendige Verbindung auch
mit der heutigen Kleinfamilie ist eines der großen Probleme
unserer Zeit. Es ist nicht nur wichtig für die Ledigen, sondern
auch für die Ehen und für die Gesellschaft ..." (153).

Im 13. Kapitel wird eine allgemeine Pathologie der Ehe
vorgelegt, aus der Sicht und für die Praxis des Eheberaters
entworfen.

Das 14. Kapitel („Das Geheimnis der Ehe") geht - geraffter
als die Ehekunde - zunächst der Deutungsgeschichte
der Ehe nach. Als das Geheimnis der Ehe möchte Bovet
dann den „Dritten" sehen, der Mann und Frau zu einer
Person! macht. „Daß aber in der ehelichen Gemeinschaft
mehr ist als Mann und Frau, das ist das zentrale Geheimnis
der Ehe selbst" (198).

Der Schluß ist Problemen der „Neuen Moral" gewidmet
(202 ff). Nach einem Überblick über deren Geschichte und
Tendenzen faßt Bovet in neun Punkten seine Beurteilung
zusammen (212ff); diese sei stichwortartig wiedergegeben:

1. Die seit 120 Jahren erfolgenden Angriffe auf die
herrschende Ehe- und Sexualmoral dienten der Abschaffung
sozialer Mißstände, neurotischer Verkrampfungen und aller
Unterdrückung von Liebe und Partnerschaft.

2. Die christlichen Kirchen hielten währenddessen weithin
an vorwiegend leib- und lustfeindlicher Moral fest.

3. Infolge der Beschränkung der Angriffe auf die traditionellen
Schwächen kam es nicht zu einem Neubedenken
der Funktion der Ehe, sondern nur des „Sex".

4. Das zunächst entstandene moralische Durcheinander
ist in der jungen Generation einer neuen Frage nach der
Ehe gewichen.

5. Deshalb kommen alle moralischen christlichen Proteste
wieder einmal peinlich zu spät, sie sind „schaurig respektabel
".

6. Die Aufgabe besteht in der tiefgründigen christlichen
Neubesinnung auf das Wesen der Ehe; Schritte dazu sind
bereits gegangen.

7. Die Zukunft der Ehe muß uns keine Sorgen machen,
wenn wir sie heute vollmächtig beschreiben können. Die
nichtehelichen Geschlechtsbeziehungen finden vielleicht einen
legitimen Platz.

8. Nicht die Sexualität, sondern die Aggression bedarf
heute vordringlicher Wachsamkeit.

9. Die Gamologie will nicht Prinzipien von Leben und
Liebe verkünden, sondern an der von Jesus herkommenden
Liebe Gottes orientieren.

Obwohl als Universitätsvorlesung gehalten, atmet dieses
Kompendium der Ehekunde den Geist, die Lebendigkeit
und die Nähe zum Konkreten jener Literaturform, die wir
im biblischen Bereich die „Weisheit" nennen. Das ist seine
Stärke. Es zielt auf beratende Hilfestellung und zeigt an,
wie viele Fragen der weiteren Beamtwortunq bedürfen.
Das ist seine Offenheit.

Qreifswald Hansjiirgen Schulz

Rothuizen, G. Th., Dr.: Aristocratisch christendom over
Dietrich Bonhoeffer. Leven, Verzet Ecumene, Theologie.
Kampen: Kok 1969. 392 S. 8°. Lw. hfl. 29,75.

Auch 25 Jahre nach seinem Tode wird noch viel über
Bonhoeffer studiert und gelesen, auch in Holland. Rothuizen,
Professor der Ethik an der theologischen Hochschule der
„gereformeerde kerken" in Kampen, Holland, schrieb unter
dem Titel „Aristokratisches Christentum" ein Buch über
Bonhoeffer, das als Taschenbuch gedacht war und zu einem
Buch von fast 400 Seiten wuchs. Mit dem Ausdruck „aristokratisches
Christentum", auch von Bonhoeffer selbst benutzt,
will der Autor das Wesentliche seiner Theologie und seiner
Person charakterisieren.

Er beginnt mit einer Skizze von Bonhoeffers Leben,
die - es kann nach dem Buch von Bethge kaum anders
sein - wenig Neues bringt. Alles wird ausführlich dokumentiert
; allein schon die Biographie von 73 S. hat 514
Fußnoten! Der Stil ist flott, obwohl die Sätze manchmal zu
sehr Umgangssprache sind und so lang, daß sie dadurch
undeutlich werden.

Das zweite Kapitel handelt von dem Widerstand. Rothuizen
geht der Frage nach, ob Bonhoeffer Pazifist war; er
sprach darüber schon vor dem holländischen Rundfunk (der
Text dieser Rundfunkvorträge ist nahezu buchstäblich in
dem Buch aufgenommen). Der Autor, in dessen Kirche in
diesem Augenblick viel über Kriegs- und Friedensfragen
diskutiert wird, sagt nuanciert, daß man Bonhoeffer in
seiner ersten Zeit noch nicht prinzipiell Pazifist nennen
kann und daß man ihn in seiner späteren Periode doch auch
nicht als das Gegenteil eines Pazifisten bezeichnen kann, er
ist und bleibt das Gegenteil eines Militaristen. Es paßt
wohl zu den Rundfunkvorträgen, wenige aber zu dem
Buch, einen Paragraphen unserer Haltung jetzt in der
Linie Bonhoeffers zu widmen. Bethges Auffassung der
Worte bei der Sitzung des Bruderrates 1940 finde ich wahrscheinlicher
als die Auffassung Rothuizens (Rothuizen, S. 134;
Biographie, S. 766 ff.). Rothuizen versteht wohl etwas von
Englands Abweisung des deutschen Widerstandes, aber er
spricht doch auch mit Anerkennung von diesem Widerstand
und sagt, daß er von dem Ausland nie genügend ernst
genommen worden ist. Interessant ist, was er darüber
erzählt, wie es mit Bischof Bell weiter gegangen ist.

Der dritte Teil handelt von der Ökumene. Auch hier
wird die Linie nach der heutigen Lage durchgezogen. Die
Weigerung der Ökumene zu Bonhoeffers Zeit, in dem Konflikt
Reichskirche - Bekennende Kirche Partei zu nehmen,
wird verglichen mit der - anderen - Haltung des hiesigen
Ökumenischen Rates Süd-Afrika gegenüber. Rothuizen behält
auch die Probleme seiner eigenen Kirche im Auge, die
sich kürzlich nach langem Zögern dem Weltkirchenrat
angeschlossen hat. Bonhoeffers Theologie ist Aufgabe der
Ökumene, sagt R.

Das letzte und längste Kapitel beschäftigt sich mit Bonhoeffers
Theologie. Rothuizen konfrontiert ihn- mit Barth
(der viel für ihn bedeutete und dem er doch nicht ganz
folgen konnte), Bultmann, Tillich, Robinson (nach Rothuizens
Meinung zu wenig „honest to man" in Hinsicht auf
Bonhoeffer), van Buren, Hamilton und Altizer. Wir sehen,
wie unterschiedlich Bonhoeffer von den großen Theologen
beurteilt wird. Dann behandelt er Christologie und Theologie
und die Ethik. Mit van Ruler ist Rothuizen der
Meinung, daß Bonhoeffers Christologie einseitig theologia
crucis zu werden droht (er sieht Bonhoeffer hier in derselben
Linie wie den holländischen Theologen Mönnich).
Es ist nach Rothuizen nicht ganz so, daß Bonhoeffer die
Schöpfung zugunsten der Erlösung vernachlässigt; Bonhoeffer
steht hier zwischen Reformation und Barth. Was
die Lehre der zwei Reiche betrifft, steht B. zwischen Luther
und Barth. In der sozialen Ethik ist Bonhoeffer nach Rothuizen
nicht weiter gekommen als zu Ansätzen.

Wer gut bekannt ist mit allem, was über Bonhoeffer
geschrieben ist, wird vermutlich in diesem Buch nicht viel
Neues finden. Aber wer nicht alles regelmäßig und genau
verfolgen kann (wer kann es?) findet hier viel Information
und Stoff zum Erwägen, in einem sehr lebendigen Buch,
geschrieben von einem sehr lebendigen Menschen, der
mitten in der Welt steht.

Zum Schluß noch einige kleine, nicht wichtige Bemerkungen
. Auf S. 31 sagt R., daß B. alle Psychoanalyse aus
der Seelsorge heraushalten will; B. spricht aber über
Psychotherapie. Ist Barths Bemerkung über klösterlichen
Eros gut wiedergegeben mit „Erotik" (S. 65)? Ist die Andeutung
Maria v. Wedemeyer-Weller richtig? (Reihenfolge!
S. 94). Undeutlich ist mir, was R. schreibt: „Wird der
unnütze Knecht hinausgeworfen in die Finsternis?" (S. 136).
Denkt Bonhoeffer vielleicht an Mt 25 und Rothuizen an
Lk 17? Wenn Bonhoeffer 1928 in Barcelona schreibt „meine
Theologie beginnt humanistisch zu werden; was soll das?",
scheint mir Rothuizens Übersetzung mit „so what" (S. 220)
etwas zu modern.

Amsterdnm C. H. Linrtijer