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Ausgabe:

1970

Spalte:

698-699

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Peursen, Cornelis Anthonie van

Titel/Untertitel:

Das Wort "Gott" 1970

Rezensent:

Gollwitzer, Helmut

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 9

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Hägerström hatte eine lange Reihe von Verfassern unter den
Pfarrern, und sein eigener Vater war streng orthodox in
seiner Theologie. Als junger Student fing Axel Hägerström
mit der Theologie an, und er erlebte eine tiefgehende religiöse
Erweckung. Dann entstand aber automatisch das
Problem mit den Dogmen, die er ablehnen mufjte, ohne
aber damit auch seine Religiosität eliminieren zu können
oder zu müssen. Das Resultat wurde eine gefühlgeprägte
religiöse Haltung ohne ein entsprechendes intellektualisti-
sches und ontologisches Korrelat. Er behielt sein Leben
lang eine tiefe Ehrfurcht vor der Jesusgestalt. 1968 erschienen
postum seine alten Vorlesungen über „Jesus, eine
Charakteranalyse", hrsg. von seinem theologischen Schüler
Dr. Martin Fries, der schon 1959 eine „Religionsfilosofi" von
Hägerström publiziert hatte (Natur och Kultur, Stockholm,
259 S. Derselbe Verlag hat auch das Jesusbuch herausgebracht
, ebenso die Biographie der Tochter). Für Hägerström
konnten weder moralische Gebote noch theologisch-religiöse
Dogmen stehen bleiben, wenn der Intellekt seine kritisch
analysierende und auflösende Aufgabe geübt hatte. Der
Verstand hatte bei Hägerström beinahe dieselbe Funktion
wie bei Henri Bergson. Er destruiert, das Leben aber hat
einen anderen Faktor, der unaustilgbar sei, glücklicherweise.
Bei Bergson heifjt er Instinkt und bei Hägerström heifjt er
Gefühl und Gewohnheit. Die »reine" Religiosität kann bewahrt
werden, wenn der Glaube an die Gegenstandswelt
der religiösen Vorstellungen verschwunden ist, und die
Moral bleibt auch, nachdem die ethische Analyse ihre
auflösende Wirksamkeit zu Ende gebracht hat. Die positive
Moralität, die für die Gesellschaft unentbehrlich sei, wird
stehen bleiben.

Ein ursprünglicher Schüler von Hägerström und seiner
Philosophie ist der emeritierte Uppsala-Ordinarius für
Philosophie Konrad Marc-Wogau Anläßlich des hundertjährigen
Geburtstages Hägerströms 1968 hat Marc-Wogau
ein hübsches Buch über Hägerströms Philosophie publiziert.
Der Titel lautet: „Studier tili Hägerströms filosofi", der
Umfang beträgt 216 S. Der Inhalt des Buches besteht in
einer Reihe von Essais, einige in ziemlich populärer Form
geschrieben, andere geben recht eingehende Analysen von
Begriffen der Philosophie Hägerströms, die nicht immer
ganz klar und eindeutig verstanden werden, u. a. die Wirklichkeitstheorie
, der Weltnihilismus und die Philosophie des
Rechts. Hier versucht Marc-Wogau eine „Ehrenrettung"
seines Lehrers.

Nach allen diesen Präludien dürfte es aber an der Zeit
sein, ein paar Worte über Gotthard Nygrens Hägerströmbuch
zu sagen, dessen Untertitel auf Deutsch „Studien über
Axel Hägerströms Religiosphilosophie mit besonderer Rücksicht
auf seine Kritik der Dogmatik" heifit. Das Buch wurde
schon 1960 geschrieben und ist Ende 1968 erschienen, weil
man nicht Geduld genug hatte, auf den zweiten Band zu
warten. Der vorliegnde Band besteht aus zwei Hauptkapiteln
, wovon der erster? „Religion und Gefühl" behandelt
und der letztere „Erkenntnis und Wirklichkeit", also zwei
Kardinalthemen bei Hägerström, wenn es der Religion gilt.
Einige sind aber der Meinung, daß man statt der Religion
viel besser sagen könnte, daß es d i e Religion gilt, denn
Hägerströms Philosophie gebe der Religion keine Möglichkeit
für ein Weiterleben. Das ist doch weder die Meinung
Hägerströms noch Nygrens noch die des Rez Die Religion
als Religiosität bleibe nämlich bestehen, weil sie unentbehrlich
sei, Nygrcn macht vor allem darauf aufmerksam,
daß es die Meinung Hägerströms ist, daß das religiöse
Erlebnis den Glauben an objektiv existierende geistige
Kräfte im Dasein als Voraussetzung hat, und diese extramentale
Objektwelt spielt eine selbständige Rolle im Verhältnis
zu der Gemütsunterlage. Diese geistigen Kräfte oder
Faktoren sind der Gegenstand der Dogmatik oder der
Theologie, sie sind aber, Hägerström zufolge, einer ganz
anderen Natur als das religiöse Erlebnis selber. Diese
beiden Faktoren, der intellektualistische. objektbezogene
und der emotionale, dürfen nicht vermischt werden - und
dennoch wollen die Leute die objektiven Vorstellungen von
einer tranzendenten Welt behalten. Man behauptet z. B. das
Dasein eines Gottes mit Macht über die Welt. Der soziale
Druck der Riten spiele eine große Rolle, es ist aber die
Frage, ob nicht solche Vorstellungen den rein geistigen
Charakter der Religiosität verunreinigen müssen, und hier

ist die Antwort für Hägerström völlig bejahend. Der größte
Teil des religions-geschichtlichen Materials müsse in der Tat
als etwas Irreligiöses eliminiert werden.

Einige behaupten, daß die antimetaphysische Haltung
der Hägerströmschen Philosophie die ebenso antimetaphysische
Lundensertheologie beeinflußt hat, und der Hauptvertreter
dieser Theologie ist ja gerade Gotthard Nygrens
Vater Anders Nygren. Diese Verbindung zwischen der
Uppsalaphilosophie und der Lundensertheologie ist möglich,
die Sache aber so kompliziert, daß Rez. keine bestimmte
Meinung darüber zu haben wagt. Wenn alle Objektkorrelate
der religiösen Vorstellungen eliminiert werden und wenn
sozusagen das reine Gefühl allein zurückbleibt, werden
augenscheinlich, cf. S 89, nur das Ichgefühl, das in der
Ekstase seine Kulmination hat, der reine Subjektivismus und
die Mystik das Endergebnis in der Religion. Ein Sein, auch
in der die Bedeutung, in der die Uppsalaohilosophie den
Terminus versteht, läßt sich nicht im Gebiet der Religion
bewahren. Ein inzwischen verstorbener Uppsala-Erzbischof
erzählte mir vor Jahren, er hätte eine Vorlesung bei Hägerström
gehört, in der dieser gesagt hätte, daß die Begriffe
Gott und Sein nicht kommensurabel wären. Der Student
und spätere Prälat hätte sich selber gesagt, daß das für das
Sein eine bedenkliche Sache wäre. So hätte es auch Hermann
Cohen sagen können, wenn auch mit mehr philosophischer
Begründung, als die des jungen Uppsalastudenten.

Man muß Professor Gotthard Nygren sehr dankbar sein,
daß er die religionsphilosophischen Gedanken des großen
Uppsaladenkers einer neuen Analyse unterworfen hat. Die
Problematik war ia für den jungen tiefreligiösen Studenten
Hägerström dieselbe wie für die Heutigen, die nur andere
Wege zur Lösung des Problems versuchen - Entmvthologi-
sierung, Entdogmatisierung oder Dogmen red uktion, Gott
ist tot-Theologie, Konvertierungen von überlieferter christlicher
Verkündigung zu existentieller Moril usw. Die
Menschen, die solche Konvertierungen versuchen, befinden
sich in genau derselben Schwierigkeit wie vor zwei Menschenaltern
der junge Uppsalastudent Hägerström: wie
verhalten sich die christlichen theologischen Aussagen zum
Ontologisehen? Heute machen alle die erwähnten Auswege
es möglich, theologisch, iuridisch, moralisch, intellektuell
usw. im Christentum zu bleiben. Als Hägerström ein junger
Mensch mit Wahrheitstrieb war, gab es diese Möglichkeiten
nicht. Es gab damals nur die Möglichkeit, das Gehäuse der
Theologie zu verlassen und ein philosophisches zu mieten
und zu beziehen. Das vermochte Axel Hägerström mit
großem Erfolg zu tun - die anderen aber?

Koponhagen 80ren Holm

Peursen, Cornelius A. van: Das Wort „Gott". Erwägungen
eines Philosophen, übers, v. H. Stoevesandt. Göttingen:
Vandenhocck u. Ruprecht [1969]. 64 S. 8°. Kart. DM 3,80.

Diese reiche, kleine Schrift, unbelastet von wissenschaftlicher
Fracht und doch von großer Tiefe, mit ihrer Vermeidung
von Fachsprache, ihrem heiteren Stil und ihren
anschaulichen Vergleichen jedermann lesbar, ist wieder ein
Beweis für die beneidenswerte Fähigkeit von Professoren
außerhalb der deutschen akademischen Welt, schwierige
Fragen konkret, lebensnah und gemeinverständlich darzustellen
. Der holländische reformierte Philosonh, dessen
deutsch erschienenes Buch „Leib, Seele, Geist" (1959) dringender
Empfehlung wert ist, bietet hier „philosophische
Erwägungen" zur Gottesfrage, die insofern überraschend
sind, als sie gerade nicht den Gottesbegriff der Metaphysik
und dessen heutige Krise behandeln, sondern einzig die
biblische Rede von Gott. Ihre Unterschiedenheit von aller
sonstigen Gottesrede macht P. daran deutlich, daß 1. dns
Wort „Gott" hier aus einem selbstverständlicher, allerhöchsten
Begriff zu einem einzigartigen, diesen Gott von
allen anderen unterscheidenden wird, - daß 2. Erkenntnis
dieses Gottes nicht mit einem Mal, darum als eines beschreibbaren
Gegenstandes, gegeben ist, sondern in einer
Geschichte mit immer neuen Ereignissen entsteht als „ein
je neues und jedesmal überraschenderes Wiedererkennen
einer befreienden Anwesenheit" (11), - und daß 3. der
biblische Gottesname nicht eine „höchste Tatsache" bezeichnet
, „sondern eine kritisch appellierende Anwesenheit, die