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Ausgabe:

1970

Spalte:

48-49

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Johannes Parisiensis, Johannes Quidort von Paris

Titel/Untertitel:

Über königliche und päpstliche Gewalt 1970

Rezensent:

Junghans, Helmar

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 1

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über Luther. Weier folgt hier ganz den Gedanken Löfgrens (Die
Theologie der Schöpfung bei Luther, Göttingen 1960. Daß gerade
fliese Arbeit im Literaturverzeichnis nicht aufgeführt wird,
ist ein bedauerliches Versehen!) und begreift dementsprechend
Luthers Schöpfungslehre ganz vom trinitarisch gefaßten Wort
aus. Man wird mit dem Vf. nicht darüber rechten wollen, daß er
sich damit auf eine Interpretation stützt, die zwar seinem Anliegen
entgegenzukommen scheint, in der Lutherforschung jedoch
keineswegs allgemeine Zustimmung gefunden hat. Gravierender
scheint mir zu sein, daß der Wortbegriff des Cusaners -
sinnenhaftes Zeichen mit der Funktion der Übermittlung von
Geistigem - mit dem lutherschen Wortverständnis allzu schnell
in eins gesetzt wird. Kann man wirklich von dem Moment der
personalen Anrede in Luthers Wortbegriff so völlig absehen, wie
es hier den Anschein hat? Kann man sein Wortverständnis adäquat
als Widerspiegelung des Wortes Gottes in den Kreaturen
fassen (S.91-98)? Weier steht hier m.E. in der Gefahr, durch
aus dem Zusammenhang gelöste Äußerungen Luthers ein Bild
seiner Schöpfungslehre zu entwerfen, das Randaussagen des Reformators
zum Zentrum der Interpretation macht (vgl. dafür
beispielsweise die Auslegung von WA 3,560,35ff., also einer Stelle
aus den Dictata: S.94f.). Hier geht Weier auch über Löfgren
hinaus, indem er Luther in der Tat von Prämissen des Cusaners
her deutet.

Kann man sich in diesem Zusammenhang des Eindruckes
nicht erwehren, als würden die realen Differenzen zu wenig gewürdigt
(z.B. S.98f., 115ff. - doch vgl. auch die Einschränkungen
S.97, 118, 125), so fragt man sich an anderer Stelle, ob
die aufgewiesenen Parallelen wirklich die These des Vf.s zu tragen
vermögen. Ist der schroffe Gegensatz in Luthers Theologie
zwischen dem Gott zugehörigen Menschen und dem vom Satan
beherrschten ein Proprium des Cusaners? (S. 115). Konnte
Luther nur hier lernen, daß der Mensch allein durch Gottes
Huld zu seinem Eigentlichen kommt und daß ihm diese Huld
durch den „Geist des göttlichen Wortes" (S. 118f.) zuteil wird?
Diese Fragen ließen sich vermehren. Sie weisen m.E. auf ein
grundsätzliches Problem dieser Arbeit hin: Weier unternimmt den
durchaus zu begrüßenden Versuch, zwei theologische Denkstrukturen
zu vergleichen und damit den Cusaner wie auch
Luther aus dem Zusammenhang der gemeinsamen christlichen
Tradition heraus zu begreifen. Aber Weier belastet diesen systematischen
Vergleich dadurch, daß er einen historisch aufweisbaren
Zusammenhang zwischen den beiden Theologen aufweisen
will; und er belastet damit seine Argumentation insofern
, als er den Weg des systematischen Vergleiches nicht entschlossen
genug geht, um nun wirklich zwei theologische Systeme
einander entgegenzusetzen. Mithin trifft ihn in dieser selbstgewählten
Mittelstellung der doppelte Vorwurf, d.h. der Einwand
der historischen Vereinfachung wie auch der Vorwurf, daß er
letztlich viel zu sehr Einzelaussagen vergleicht, ohne nach deren
Rang und Gewicht im Rahmen des systematischen Ganzen hier
wie dort grundsätzlich genug zu fragen.

Aufgrund derartiger kritischer Vorbehalte fällt es schwer, dem
Vf. in seinem dritten und letzten Teil zu folgen, der von der
„theologischen Begegnung Luthers mitCusanus in der Thematik
vom verborgenen Gott" handelt und worin die in den beiden
ersten Teilen erarbeiteten Thesen ausführlich zusammengefaßt
werden (S. 131-206). Jene Thematik soll durch Faber Stapulen-
sis an Luther vermittelt sein; bei dem Humanisten findet Weier
wesentliche Grundmotive der Theologie des Cusaners wieder
(S. 133-160); die Bedeutung des Wortes Gottes/das Moment des
Lichtes und der Erleuchtung sowie die Spannung von Fleisch
und Geist. Auf die gerade hier offen zutage tretenden neuplatonischen
Einwirkungen wird leider kaum Bezug genommen, alles
zielt auf den direkten Zusammenhang Lefevre - Luther. Daß
Luther sich bereits im Verlauf der 1. Psalmenvorlesung von der
faberschen Hermeneutik mit ihrem doppelten Literalsinn gelöst
hat, wird nicht berücksichtigt; Faber erscheint vielmehr als der
eigentliche Schrittmacher des lutherschen Schriftverständnisses,
aus dem dieser „fast nur noch das Fazit ... zu ziehen" hatte
(S.167). Häufiger sind Äußerungen, die wenigstens eine gewisse
Mitwirkung von Cusanus-Faber an der Formierung der lutherschen
Theologie statuieren, speziell im Zusammenhang der Lehre
vom verborgenen Gott (S. 199, 201, 205). Auch hier drängt sich

eine Fülle von Fragen auf. Warum gehört die Rede von Gottes
Wirken sub contrario in diese Traditionslinie und nicht in den
Zusammenhang der breiten mittelalterlichen exegetischen Tradition
zu l.Kor.3? Wieso kann man bei der absconditas dci
(S. 171-206) so völlig von allen ockhamistisch-nominalistischen
Einflüssen absehen, wie es hier der Fall ist? Gewiß, Weier markiert
auch die Differenzen Luthers gegenüber der von ihm herausgestellten
Traditionslinie (S. 188-205). Trotzdem stellt er abschließend
fest: „Wichtige Motive, die Cusatius im Umkreis der
Thematik der absconditas dei entfaltet, sind von ihm über Faber
in das Danken Luthers eingegangen" (S.209). So anregende Einsichten
die vorliegende Arbeit vermittelt - gerade diese These
scheint mir aus den dargelegten Gründen weder im Blick auf die
Vermittlung noch vor allem im Blick auf jenen Einfluß wirklich
schlüssig bewiesen zu sein.

Munster/Westf. Martin Greschat

Bleienstein, Fritz: Johannes Quidort von Paris. Über königliche
und päpstliche Gewalt (De regia potestate et papali). Textkritische
Edition mit deutscher Übersetzung. Stuttgart:
Klett [1969]. 360 S. 8° = Frankfurter Studien zur Wissenschaft
von der Politik, hrsg. v. I.Fetscher u. C. Schmid, IV.
Lw. DM 42,-.

Der hier vorliegende Traktat, der wahrscheinlich 1302 entstand
, geriet nicht in Vergessenheit, sondern wurde zunächst
1506, danach 1609 und 1614 gedruckt, wobei noch hinzuzufügen
ist, daß die letzte dieser Ausgaben, die von Melchior Goldast
stammt, 1960 in Graz nachgedruckt wurde. Der Traktat hat aber
auch schon eine textkritische Bearbeitung gefunden. 1942
brachte ihn Jean Leclercq in Paris heraus. Bleienstein hat sich
einen neuen Text geschaffen, da ihm der von Leclercq zu fehlerhaft
erschien. Während Leclercq seine Ausgabe auf sechs Handschriften
gründete, hat Bleienstein alle 19 erhaltenen herangezogen
, zu Familien zusammengefaßt und ihre wesentlichen
Abweichungen, über deren Auswahl er genau Rechenschaft gibt,
in einem textkritischen Apparat notiert, getrennt davon die Verbesserungen
der Ausgabe von Leclercq.

Der Textausgabe ist eine deutsche Übersetzung hinzugefügt,
die sich mehr an den Sinn als an den Wortlaut ihrer Vorlage
hält und sicher von vielen Lesern dankbar angenommen wird.
Leider ist sie, ganz ungewöhnlich im Vergleich zu anderen zweisprachigen
Ausgaben, nicht parallel gedruckt, sondern dem
lateinischen Text nachgestellt. Das wird nicht zur Folge haben,
daß weniger in den deutschen Text geschaut wird, sondern vielmehr
, daß weniger auf die lateinischen Ausdrücke geachtet wird.
Diese Anordnung sollte bei zweisprachigen Ausgaben nicht
Schule machen.

Interessant ist auch der Quellennachweis. In dem lateinischen
Text fügt der Hrsg. nur bei den zitierten Bibelstellen in Klammern
die Stelle bzw. ihre genauere Angabe hinzu, während er bei
der deutschen Übersetzung in den Anmerkungen auch den
Quellennachweis für die zitierten Autoren bringt. Der Benutzer
des lateinischen Textes muß also in den Anmerkungen des weiter
hinten stehenden deutschen Textes nachschlagen! Bemerkenswert
ist aber die Methode des Quellennachweises, die der Hrsg.
dabei verwendet hat. Er hat die Zitate nicht dort nachgewiesen,
wo sie herstammen, sondern wo sie Johannes Quidort entnommen
hat. So steht z.B. bei einem Zitat des Chrysostomus (284):
Aus Thomas von Aquin, Catena aurea in Matth. 18,17 (I 297 b).
Dieser Weg empfiehlt sich sehr. Zunächst wird dadurch sichtbar,
was der jeweilige mittelalterliche Vf. wirklich gelesen bzw. welches
Florilegium er verwendet hat. Das verkürzt nicht nur die
Vorarbeiten für die Interpretation einer mittelalterlichen
Schrift, sondern läßt auch erkennen, aus welchem Zusammenhang
das Zitat entnommen, wie es dort verstanden und schließlich
ausgelegt wurde. Noch besser läßt sich diese Entwicklung
allerdings verfolgen, wenn auch die ursprüngliche Stelle nachgewiesen
ist, so daß der Leser rasch die Intention des Vf.s desjeweiligen
Zitates nachschlagen kann. Es erscheint mir wünschenswert
, daß diesem Nachweis der tatsächlich verwendeten
Literatur bei solchen Ausgaben große Aufmerksamkeit gewid-