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Ausgabe:

1970

Spalte:

682

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Smets, Moritz

Titel/Untertitel:

Wien im Zeitalter der Reformation 1970

Rezensent:

Mecenseffy, Grete

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 9

682

Christus", was bedeutet, daß glaubende Existenz auch in
der historischen Synagoge und umgekehrt die Existenzweise
der Synagoge, d h. des Unglaubens, auch in der Kirche sein
können (S. 71; vgl. auch S. 53 ff.).

Das Christusgeschehen - historisch gesehen zwischen
Kirche und Synagoge liegend - erscheint als Werk Gottes:
Gott selbst schafft durch die umgestaltende Verkündigung
der frohen Botschaft, durch sein durch Christus verkündigtes
Wort, eine geistliche, eigentliche, aber unsichtbare Schöpfung:
die Kirche (S. 93 ff.). Als ihr Zentrum erscheint dem Vf.
auch hier wieder die fides Christi in ihrer aktuellen Heilsbedeutung
(S. 86 f. und 92).

Der Zeit der Kirche zwischen ihrem Ursprung und ihrer
Vollendung in der triumphierenden Kirche widmet der Vf.
drei ausführliche Kapitel, ein erstes über die Unvcrgäng-
lichkeit der universalen Kirche. Die institutionelle, historische
Seite der Kirche und ihrer Hierarchie treten gegenüber
der zentral bedeutsamen Feststellung „Verbum enim
dei conservat Eccelsiam dei" (vgl. S. 147) zurück; „Die
Unvergänglichkeit der Kirche ist also in Gott verankert,
der in seinen fortbestehenden Werken sich selbst treu
bleibt" (S. 142); „Luthers Aufmerksamkeit ist fixiert auf
das Trio: Glaube, Wort und Kirche" (S. 143). Obwohl der
Vf. feststellt, daß Luthers zentrale Einschätzung des Glaubens
kein Individualismus sei (S. 142), sieht er - nun doch
wertend - das Luthersche Verständnis des Gegensatzes
spiritus - caro als Hinderungsgrund, „auf befriedigende (!)
Weise den Anschluß zwischen beiden (nämlich zwischen
spiritus und caro, und das heißt auch: zwischen geistlicher
Wirklichkeit und sichtbarer Stiftung) herzustellen und das
Äußerliche als ein positives Zeichen des Heiles (sacramen-
tum) zu würdigen" (S. 143).

In den beiden weiteren Kapiteln ist vom Verhältnis der
Universalkirche zu den Teilkirchen und der Rolle der
Stände (Prälaten, Lehrer, Activi) die Rede. Wieder erschließt
sich dem Vf. das Luthersche Verständnis von der Kirche
auch in diesen Hinsichten von der Wortverkündigung und
ihrer Annahme im Glauben her (S. 155, 161, 164, 173 u. 6 );
wieder wird auch deutlich, daß Luthers Interesse an der
Institution (Papst, Hierarchie, Sakrament) auffallend gering
ist, ja, daß die einzelnen Stände in der Kirche in ihrem
innersten Wesenskennzeichen, dem Glauben, nicht einmal
xu unterscheiden sind (S. 184 f.).

Das letzte Kapitel über die zukünftige Kirche zeigt noch
einmal eindrücklich wie auch hier die Konzentration des
theologischen Denkens Luthers auf das Glauben gestaltend
gewirkt hat: Die zukünftige, verherrlichte Kirche ist Manifestation
, Erscheinung, Erfüllung, Darbietung dessen, was in
der gegenwärtigen Kirche nur verhüllt in der gläubigen
Annahme der Predigt Christi erfahren kann; damit wird,
wie der Vf. mit Recht sagt, der gegenwärtigen Kirche nicht
die Funktion einer „inhaltlosen Verheißung ... einer ...
zukünftigen Gemeinschaft" zuteil, sondern: „Die Enthüllung
ist zukünftig, aber die geistliche, eschatologische Wirklichkeit
, die offenbart werden soll, koexistiert schon mit dem
gläubigen Menschen in der heutigen Kirche; sie ist in ihr
verborgen anwesend. Gott ist ewig und seiner Kirche
bleibend treu" (S. 199).

Man wird zusammenfassend sagen dürfen, daß die
Studie wirklich einen Beitrag zur Erhellung der initia
ecclesiologiae Lutheri (vgl. S. 9) liefert. Was die systematischen
Anregungen am Schluß anbetrifft, so scheinen sie -
trotz des Vf.s Anerkenntnis der Tatsache, daß in Luthers
„kirchenspaltenden Schriften ... erstaunlich viele seiner früheren
Anliegen ... aufbewahrt sind" (S. 210) - einen scharfen
Gegensatz zwischen der Ekklesiologie der ersten Psalmen-
vorlcsung und einer späteren „häretischen" Durchführung
bestimmter Ansätze in einer „nichtkatholischen" Ekklesiologie
vorauszusetzen (vgl. S. 204). Leider deutet der Vf.
die spätere Entwicklung weder inhaltlich an noch legt er
den Standpunkt dar, von dem aus diese häretisch erscheint.
Die Reflexion dieser Grundfragen wird - als eine der entscheidenden
Aufgaben für das ökumenische Gespräch - uns
allen nicht etwa erspart werden können.

Münster Dorothea Demmer

Smets, Moritz: Wien im Zeitalter der Reformation. Fotomechanischer
Nachdruck der Ausgabe Preßburg 1875.
Wien: Verlag d. Wissenschaftlichen Antiquariats H. Geyer
1969. V, 264 S. gr. 8°. Lw. DM 40,-.

Obwohl wir keine Neuauflage des Buches vor uns haben,
sondern die fotomechanische Wiedergabe der Ausgabe Preßburg
1875, müssen wir feststellen, daß das Werklein in der
heutigen so ganz anders gearteten Zeit nichts von seiner
ursprünglichen Frische und Lebendigkeit verloren hat.

Das erste Kapitel, das die Haltung der Wiener zur Zeit
des Thronwechsels Maximilians L - Karls V. schildert,
schließt mit dem Satz: „Mit dem Wiener Neustädter Blutgericht
(dem zwei Adelige und sieben Wiener Bürger mit
dem Bürgermeister Dr. Martin Siebenbürger an der Spitze
zum Opfer fielen) war für Wien und Österreich eine be-
drängnisreichc Zeit herangebrochen: spanische Räthe und
Pfaffen verübten eine wahre Schreckensherrschaft, die
geistige Thätigkeit im Volke vernichtend und seine Sitten
verderbend im Interesse des absoluten Staates und der
alleinseligmachenden Kirche!" - und einer der letzten Sätze
des Buches lautet: „... der geistige Entwicklungsgang im
Volk schleppt sich bis zum heutigen Tage noch an der Kette
fort, die ihm im Zeitalter der Reformation angeschmiedet
worden". Die Linie ist vom Anfang bis zum Ende klar durchgezogen
; einseitig - gewiß aber doch von wohltuender
Aufrichtigkeit und Kompromißlosigkeit. Dabei war der Vf.
kein Fanatiker und stand auch den Schwächen der Protestanten
kritisch gegenüber. In seinem etwas verschnörkelten
, aber schlagkräftigen, geistreichen und witzigen Stil
weiß er die Ereignisse so zu verknüpfen, daß die Spannung
niemals abreißt. Die ihm zur Verfügung stehende Literatur
schöpft er bis aufs letzte aus, hebt auch Einzelheiten damaligen
Lebens, etwa den Empfang von Fürstlichkeiten in
Wien hervor. Ein Glanzstück ist die Darstellung des Charakters
und der Tätigkeit des machtgierigen Beraters des
Kaisers Matthias, Melchior Khlesls. Der Bogen des Zeitausmaßes
ist weit gespannt, er reicht von den Anfängen
der Reformation in Wien bis zum Ende des 30jährigen
Krieges, umschließt also auch den Beginn der Gegenreformation
. Alles in allem ist es ein klassisches, noch heute
sehr lesenswertes Buch, zu dessen vorteilhafter Wirkung
auch der mäßige Umfang beiträgt.

Wien Grete Meccnseffy

Zwingli, Huldreich: Sämtliche Werke, Hrsg. v. E. Eglif.
G. Finslerf, W. Köhler f, O. Farner -f. F. Blanke f. L. v.
Muralt, E. Künzli, R. Pfister, J. Staedtke, F. Büsser.
N. F. Zürich: Verlag Berichthaus 1968. Bd. VI/H, Lfg. 25:
S. 721-843. gr. 8° = Corpus Reformatorum Vol. XCIII, 2.

Diese Lieferung (vgl. ThLZ 94, 1969 Sp. 449 f.) umfaßt
Zwingiis Schriften vom 19.1. bis 19. 8.1530. Für die eigentlich
politischen Schriftstücke, die in dieser Lieferung enthalten
und kommentiert sind, zeichnet L. v. Muralt (nach
Vorarbeiten von O. Farner) verantwortlich, die Einleitung
zu? Fidei ratio, Zwingiis „Augsburgischer Konfession", hat
noch F. Blanke geschrieben, von dem auch die Textbearbeitung
dieser wichtigen Zwinglischrift stammt, die nun in
einer mustergültig erschlossenen, zuverlässigen Ausgabe
vorliegt. Überhaupt ist zu bemerken, daß Einleitungen und
Kommentierungen trotz der Schwierigkeiten, die sich durch
den Ausfall so eingearbeiteter Mitarbeiter an der Zwingli-
ausgabe ergeben haben, keine Einbuße an Qualität und
Gründlichkeit erlitten haben. Sie umfassen vielfach das
Mehrfache an Platz im Vergleich zur eigentlichen Textdarbietung
. Vorzüglich ist auch die Arbeit, die Fritz Büsser
mit der Bearbeitung von „Supplikation und Begehren der
Prädikanten zu Zürich", dem letzten in der Lieferung enthaltenen
Schriftstück, geleistet hat.

Zu den Literaturangaben auf S. 723 sei noch auf eine
gründliche Arbeit aus marxistischer Feder hingewiesen:
Josef Macek: Der Tiroler Bauernkrieg und Michael Gais-
mair, Berlin 1965.

Mit dieser Lieferung liegt Band VI/H abgeschlossen vor.
Die nächste Lieferung wird den im ursprünglichen Plan
nicht vorgesehenen Band VI/III eröffnen.

(Cörner/Thtlr. Ernst Koeh