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Ausgabe:

1970

Spalte:

679-681

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Vercruysse, Joseph

Titel/Untertitel:

Fidelis populus 1970

Rezensent:

Demmer, Dorothea

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 9

680

Konfessionen Bezas - weniger Melanchthons Examen ordi-
nandorum von 1552 - literarische Quelle für den HK gewesen
ist und bringt einen neuen Beleg für die Vermutung
bei, daß Casper Olevian nicht der Schöpfer der deutschen
Fassung des HK gewesen sein kann.

3. .Don Dirlos und der Heidelberger Katechismus". H.
geht hier einer Spur nach, die er durch die Vermittlung von
J. Ch. Köcher in der Ergänzung von Jöchers Gelehrten-
Lexikon durch J. G. W. Dunkel 1755 gefunden hat. Es handelt
sich um die teilweise schwer durchschaubare Nachricht
von der Existenz einer spanischen Übersetzung des HK,
die durch den Sohn Philipps II. veranla5t worden und die
eigentliche Ursache für seinen (gewaltsamen) Tod gewesen
sein soll. Eine sensationelle Tatsache, sollte sich die Nachricht
als zutreffend herausstellen! H. hält sie nach einer
Durchforschung der Jugenderlebnisse und der Religiosität
des spanischen Prinzen sowie der Verhältnisse in Spanien
um die Mitte des 7. Jahrzehnts der 16. Jhdts. insofern für
zutreffend, daß an der Existenz einer - verschollenen -
spanischen Übersetzung des HK von 1566/67 nicht zu zweifeln
ist, daß für die von Dunkel behaupteten näheren
Umstände der Entstehung dieser Übersetzung ein zwingender
Beweis nicht zu erbringen, die Möglichkeit aber
gegeben ist und dafj der religiösen Komponente des Don-
Carlos-Problems bisher nicht die zureichende Aufmerksamkeit
geschenkt worden ist. Es würde sich gewiß lohnen, den
Argumenten H.s in ihrer Verknüpfung miteinander unter
Berücksichtigung tendenzkritischer Gesichtspunkte bei der
Benutzung der sehr verstreuten Quellen einmal gesondert
nachzugehen. Die Don-Carlos-Forschung sollte jedenfalls an
der Untersuchung H.s nicht vorbeigehen.

4. »Das Leben und das Werk Johannes Bartholomäus
Aventroot, des Übersetzer des Heidelberger Katechismus ins
Spanische". Hier zeichnet H. ein überaus interessantes, für
die Frömmigkeit eines einflußreichen, gebildeten Reformierten
in der 1. Hälfte des 17. Jhdts. aufschlußreiches Bild.
Wie sich kaufmännische Fähigkeit, Politik, Biblizismus,
Chiliasmus, Wunderglaube, rücksichtsloser persönlicher Einsatz
, aber auch eine gewisse Weltfremdheit geradezu tragisch
ineinander verschlingen, das darzustellen ist H. hervorragend
gelungen. Als Anhang beigegeben ist die niederländische
Übersetzung des Urteils des Inquisitionsgerichts
von Toledo gegen Aventroot vom 22. 5.1632 in deutscher
Sprache.

Ein Geleitwort würdigt das Erscheinen dieses wiederum
so anregenden Buches anläßlich des 85. Geburtstages des
Vf.s. Man kann sich dem darin ausgesprochenen Wunsch
nur anschließen: „Wir möchten ihn (den Fünfundachtzigjährigen
) gern noch manches Jahr an seinem Schreibtisch
tätig wissen".

Körner/Thür. Ernst Koch

Vercruysse, Joseph SJ: Fidelis Populus. Wiesbaden: Steiner
1968. VIII, 222 S. gr. 8° Veröffentlichungen des Instituts
für Europäische Geschichte Mainz, 48. Abt. für abendländische
Religionsgeschichte, hrsg. v. J. Lortz. Lw. DM38, -.

Der Vf. fragt in der von P. Fransen SJ angeregten und
1966 an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom
verteidigten Dissertation danach, was Luthers erste Psalmenvorlesung
über die Kirche lehrt. Diese Fragestellung grenzt
er nach zwei Richtungen hin ein: Er möchte weder Luther;
Verhältnis zu der von ihm verarbeiteten Tradition bestimmen
noch untersuchen, in welchem Verhältnis Luthers
Ekklesiologie der ersten Psalmenvorlesung (1513-1515) zu
der der späteren Jahre steht. Auch hinsichtlich der Fragestellung
der Arbeit selbst hebt der Vf. mit Recht die weitere
Einschränkung hervor, daß man in der ersten Psalmenvorlesung
nicht erwarten dürfe, eine vollständige Ekklesiologie
aufzudecken: Der Charakter dieser Vorlesung, nämlich das
Bestimmtsein der Aussagen durch den auszulegenden Text
einerseits und durch die zu ihm gesammelten Auslegungen
der Vorgänger Luthers andererseits widersprechen einer
solchen Erwartung (S. 2-3). Eine letzte Einschränkung bezieht
sich auf des Vf.s eigene Intention: Er will seine Studie
in erster Linie konzentrieren auf die »heilsgeschichtliche
Dimension der Kirche", dabei aber „einige systematische
Fragen" nur am Rande bedenken (S. 4). Während das Letztgenannte
im wesentlichen auf das Schlußkapitel (S. 200 - 210)
beschränkt bleibt, liefert die Frage nach der .heilsgeschichtlichen
Dimension" für die gesamte Durchführung der
Untersuchung die Gesichtspunkte in dem Sinne, daß der
Vf. - wie auch äußerlich an der Gliederung ersichtlich -
nach der Kirche fragt hinsichtlich ihrer Vorgeschichte in der
Synagoge (S. 38-73), ihrer Entstehung durch Gottes Tat
in Christus in der Zeit zwischen Synagoge und Kirche
(S. 74-98), ihrer Frühzeit, d. h. der Urkirche (S. 99-120),
ihres Weges in der Zeit (S. 121-186) und ihrer endzeit
liehen Zukunft (S. 187-199). Diesen nach heilsgeschichtlichen
Gesichtspunkten gegliederten Kapiteln ist ein Luthers
Methode der Schriftauslegung betreffendes Kapitel vorangestellt
, in dem der Vf. nach dem Verhältnis der von Luther
angewandten hermeneutischen Schemata zu seinen) Reden
von der Kirche fragt (S. 11-37).

Seine Methode des Arbeitens an der Fragestellung nennt
der Vf. im Anschluß an W. H. van de Pol „phünomenolo
gisch", womit er meint, daß es in erster Linie darauf
ankomme, genau herauszuhören, was von Luther gesagt
wurde, bevor man interpretiere und deute ■. .Wir wollen vor
allem sehen, hören, lesen, verstehen und so entdecken, was
Luther über die Kirche lehrt. Wir müssen vorurteilslos zusehen
und die Texte sprechen lassen. Nur so können wir den
lutherschen Kirchenbegriff aus den Jahren 1513-1515 fassen"
(S. 4). Gerade angesichts der - vom Vf. nicht weiter reflektierten
- Problematik der Verwirklichung vorurteilslosen
geschichtlichen Verstehens wird man seiner Absicht, da sie
einer (wenn auch letztlich unerfüllbaren) unerläßlichen
methodischen Forderung entspricht, unbedingt zustimmen.

Aus der so bestimmten Intention des Vf.s ergibt sich
folgerichtig, daß die Frage, ob und inwiefern Luthers
Kirchenbegriff noch oder nicht mehr katholisch sei und die
die Diskussion darüber, nicht Gegenstand der Untersuchung
werden - zum Nutzen für das Buch.

Die Durchführung der Untersuchung zeigt die standige
Bemühung um die Befolgung des Grundsatzes, genau zu
hören, was von Luther gesagt wurde; der auf den ersten
Blick verwundernde Aufbau der Arbeit, nämlich die Betrachtung
des Kirchenbegriffs in all seinen traditionell vorgegebenen
heilgeschichtlichen Hinsichten, stört diese Bemühung
an keiner Stelle.

So setzt das erste Kapitel, in dem die Bedeutung der
hermeneutischen Schemata für das Reden von der Kirche
bedacht wird, bei der bekannten Beobachtung ein, daß in
der Psalmenvorlesung drei traditionelle Auslegungsschemata
(1. litera - Spiritus, 2. vierfacher Schriftsinn, 3. caput -
corpus - membra - Schema) in vielfältiger Verwendung
und auch Vermischung erscheinen; der innerste Kern des
Arbeitens Luthers mit all diesen Schemata ist aber „der
Glaube als Kraft und Werk Gottes, der den Menschen
rechtfertigt und ihm die einzigartige, seligmachende Glaubenshaltung
schenkt, durch die Christus in den Seinen
mächtig wird und die Seinen durch Ihn kräftig und mächtig
in ihrer Schwachheit sind" (S. 34). Von hier aus ergibt sich
dem Vf. für das Kirchenverständnis, daß die Kirche aus dem
Glauben entspringt, womit es zusammenhängt, daß Luther
verschiedentlich die traditionelle Reihenfolge: Allegorie (auf
die Kirche zu deutender Sinn) - Tropologie (auf den
Glauben zu deutender Sinn) umkehrt (vgl. S. 31). Von der
grundsätzlich zentralen Bedeutung des tropologischen
Schriftsinnes her erschließt sich dem Vf. auch das Verhältnis
der Lehre von der Kirche als dem mystischen Leib zur
Tropologie bei Luther zutreffend: Diese ist in dem Sinne,
daß Christus in seinen Gläubigen den Glauben schafft, die
Grundlage für jene - nicht umgekehrt (S. 34/35).

Die folgenden Kapitel bringen dann - bei strikter
Beachtung der gedanklichen Zusammenhänge der Lutherschen
Exegesen und daraus folgenden gelegentlichen Korrekturen
an gängigen Urteilen (vgl. z. B. S. 94, Anm. 92; 153,
Anm. 13; 193, Anm. 31 u. ö.) - die Ergebnisse des Fragens
nach den verschiedenen Dimensionen des Lutherschen Kirchen
Verständnisses: In Hinsicht auf die Synagoge - das
Gegenstück zur Kirche und doch auch ihren Ursprung
(S. 38 ff.), das zerstört werden mußte und muß (S. 42 ff.) -
ergibt sich, daß Luther diese beiden Größen vergleicht unter
dem für ihn zentralen Gesichtspunkt der existentiellen
Haltung gegenüber Christus; „Synagoge und Kirche werden
so zu einem Typus des Unglaubens oder Glaubens an