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Ausgabe:

1970

Spalte:

45-48

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Weier, Reinhold

Titel/Untertitel:

Das Thema vom verborgenen Gott von Nikolaus von Kues zu Martin Luther 1970

Rezensent:

Greschat, Martin

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr.l

46

Edition beauftragten Kommission, ausgesprochene Auffassung
durch, daß es sich um ein bis dahin unbekanntes Frühwerk des
großen Franziskanertheologen handle. Die Argumente dafür werden
in der Einleitung auf der Grundlage der durch die Edition
ermöglichten Textübersicht noch einmal abschließend zusammengefaßt
.

Inwieweit überliefern die vorhandenen drei Handschriften den
authentischen Text der Vorlesung? Aus einer Randbemerkung
zur Ordinatio (Id3u 61, vol. III, 42-43). die ein Zitat aus der
Oxforder Vorlesung anführt, schließen die Herausgeber, daß eine
Abschrift des authentischen Vorlesungsmanuskriptes den vorhandenen
Handschriften zugrunde liege. Die Edition kann sich
also weder auf ein Autograph von Duns Scotus stützen, noch
die vorhandenen Manuskripte unmittelbar auf ein solches
zurückführen. Daraus ergeben sich Schwierigkeiten für die Rekonstruktion
des authentischen Textes, vor allem wegen der oft
voneinander abweichenden Textformen der Handschriften. Die
Edition stützt sich vorwiegend auf die beiden gewöhnlich übereinstimmenden
Handschriften, die paduanische (P) und die
römische (R), obwohl beide, besonders aber R, offensichtliche
Irrtümer und Verständnisfehler enthalten, R darüber hinaus
sehr flüchtig geschrieben ist. Man wird bei der Benutzung der
Edition von Fall zu Fall erwägen müssen, ob nicht die Lesarten
der Wiener Handschrift (V), die meist nicht in den Text aufgenommen
wurden, sondern nur als Varianten im Apparat vermerkt
sind, den Vorzug verdienen, obwohl bei dieser Handschrift
nach dem Urteil der Editoren am ehesten der Verdacht besteht,
daß die Handschrift eine „ideale", gereinigte Textfassung bieten
wollte. Mindestens in Fällen, in denen V die lectio difficilior
bietet, muß ernsthaft mit einer Ursprünglichkeit ihres Textes
gerechnet werden. Ein Beispiel dafür bietet die Quästion zu
dist. 40, p.512. Zeile 15f., wo bei einer satzlogischen Erwägung
der Wiener Kodex statt praedicatum damnationis liest pec-
catum damnationis. Diese Variante ist übrigens im Apparat
nicht notiert. Ebenso wäre zu derselben Seite Zeile 17 anzugeben
, daß die Wiener Handschrift - nach einer dem Rez. vorliegenden
Photokopie - an dieser Stelle die Wörter quod sit
vor cum nota possibilitatis hat. Die beiden genannten Stellen
sind jedoch die einzigen, die bei einem (allerdings auf dist. 40 und
41 beschränkten) Vergleich des gedruckten Textes mit der Wiener
Handschrift Anlaß zur Beanstandung ergaben. Andererseits
hat. die Edition eine ganze Anzahl fehlerhafter Auflösungen von
Kürzeln der Handschrift in früheren Veröffentlichungen, so auch
in meiner Dissertation über die Prädestinationslehre des Duns
Scotus (1964), überzeugend korrigiert, wie das auf Grund des
Überblicks über den Kürzelgebrauch einer ganzen Handschrift
und des durchgängigen Vergleichs mit Parallelhandschriften bei
einer Edition immer der Fall sein wird gegenüber der sporadi-
gchen Benutzung handschriftlicher Texte zu Einzeluntersuchunsen
.

München Wolfhart Pannenberg

Weier, Reinhold: Das Thema vom verborgenen GoH von Nikolaus
von Kues zu Martin Luther. Münster/W.: Aschendorff
[1967]. XV, 237 S. gr. 8° = Buchreihe der Cusanus-Gesell-
schaft, hrsg. v. J.Koch u. R.Haubst, 2. Kart. DM 38,-.

Die Frage nach dem Werden der-lutherschen Theologie ist
nach wie vor ein großes Thema der Forschung. Zeichnet sich auf
diesem Feld auch keineswegs bereits ein allgemeiner Konsens
ab - was angesichts der Fülle des unbearbeiteten Materials und
seiner Probleme kaum verwundern kann -, so ist doch die erfreuliche
Tatsache zu konstatieren, daß die Zeit konfessioneller
Vorurteile, in der es katholischen wie protestantischen Kirchen-
historikern primär um die Behauptung der eigenen Lehrmeinung
bei der Erforschung Luthers und der Reformation insgesamt
ging, zumindest in der ernsthaften Forschung endgültig überwunden
zu sein scheint. In diese neue Phase offenen und kritisch
-unvoreingenommenen Fragens nach den theologischen
Kräften des Mittelalters, die Luthers Theologie mitbestimmt
hab^n, gehört auch die vorliegende Arbeit, die 1964 als katholisch
-theologische Dissertation in Mainz vorgelegt worden ist.

Weiers Untersuchung gliedert sich in drei Teile, deren erster

„Biographisch-literaturgeschichtliche Prolegomena" zum Cu-
saner, zu Fabet Stapulensis und Luther bietet (S. 1-66). Ausgehend
von der besonderen Bedeutung der frühen Vorlesungen
für die theologischen Anfänge Luthers, insbesondere der
1. Psalmenvorles^ing und der Vorlesung über den Römerbrief,
wird auf die Kommentare des Faber Stapulensis zu diesen biblischen
Büchern und ihre eminente Bedeutung für den Reformator
verwiesen. Das sich anschließende Kapitel über den
geistig-theologischen Werdegang Lefevres bis 1514 (Edition der
Werke des Cusaners) verfolgt sodann das Ziel, einen beherrschenden
Einfluß des Nikolaus von Kues auf Faber nachzuweisen
. So breit und vielfältig dessen Interessen auch zeitlebens
gestreut blieben, so mannigfaches Geistesgut er in sich
aufnahm, nach Weier tritt in den Äußerungen Fabers mehr und
mehr das „wissenschaftstheoretische Problem" (S.32) des Verhältnisses
von ratio und contemplatio hervor, das dann durch die
Begegnung mit den Schriften des Nikolaus von Kues und seine
philosophia intellectualis gelöst werde.

Nun ist sicher nicht zu bestreiten, daß dieser Begriff einer
„intellektuellen contemplatio" bei Lefevre eine wesentliche Rolle
spielt. Aber läßt sich seine Übernahme vom Ousaner zwingend
nachweisen ? Weier selbst verweist auf Raimund us Lullus, Richard
von St. Viktor, Jan Ruysbroeck und andere Mystiker, Augustin
und vor allem auf Dionysius Areopagita, die in Fabers Denken
eingeflossen sind (S.39-54). Welche Rolle spielen neuplatonische
Traditionen in diesem Denken überhaupt? Noch zurückhaltender
beurteilt man jene einlinige Herleitung der faberschen Gedanken
vom Cusaner, wenn man die vom Verfasser vorgetragene
historische Begründung überprüft: daß Lefevre gerade in der
Situation, in der sein „wissenschaftstheoretisches Problem"
aufbricht, Nikolaus von Kues gelesen habe, ist eine Hypothese -
so große Wahrscheinlichkeit sie auch in sich tragen mag (vgl.
S.33, A. 114); daß der Cusaner aber in steigendem Maße zu dem
theologischen Lehrer Lefevres avanciert sei, läßt sich aus den
Quellen so eindeutig nicht belegen. Bestenfalls steht er hier
neben Dionysius Areopagita (vgl. etwa den S.42, A.161 angegebnen
Beleg), häufiger wird ihm eine Hilfsfunktion zu dessen
Verständnis-und dem anderer, gleichgerichteter Schriftsteller! -
zugewiesen: Ut intelligas ... theologinm Cusae ad primam illam
intellectualem theologiam totam pertinere. et qua nulla magis
iuvamur ad sacra Dionysii Areopagitae adyta et eorum, qui ge-
nerosius, augustius, et sublimins de deo philosophati sunt dic-
ta conquirenda (zit. S.54, A.237).

Von daher wird nicht zwingend deutlich, wieso die Lehre des
Cusaners die auseinanderstrebende Vielfalt der Gedanken Lefevres
zusammengeschlossen hätte (S.59). Gerade die Voraussetzung
zu diesem Urteil, wonach der Cusaner das theologische
Denken des französischen Humanisten entscheidend prägte und
ihn damit zum Verkünder seiner Gedanken machte, bleibt
mindestens offen. Daß damit der Einfluß von Gedanken des
Kardinals auf Faber nicht bestritten werden soll, bedarf keiner
Worte: gerade diesen Einfluß stellt Weier klar und überzeugend
heraus.

Der zweite Teil der Untersuchung (S. 67-130) ist dem Aufweis
von Parallelen im theologischen Denken des Cusaners und
Luthers „im Umkreis des Themas der absconditas dei" gewidmet
. Dieser Übergang überrascht, hätte man nach dem Vorangegangenen
doch den exakten historischen Aufweis von Einwirkungen
der Faberschen Kommentare auf Luthers frühe Vorlesungen
und darin das Nachwirken cusanischer Elemente erwartet
. Warum geht der Vf. nicht wenigstens auf Luthers konkrete
Auseinandersetzung mit Lefevre in den Annotationes des
Reformators zum Quincuplex Psalterium ein? Stattdessen setzt
Weier neu ein und bietet einen systematischen Vergleich zur
Schöpfungslehre (S.68-99), zur Anthropologie im Zusammenhang
mit Hamartologie und Gnadenlehre (S. 100-120) und
schließlich zum Verständnis von Erbsünde und Konkupiszenz
bei Nikolaus von Kues und Luther (S. 121-129). Weier sieht die
Gefahr des Umbiegens der jeweiligen theologischen Aussagen
durch den direkten Bezug aufeinander und versucht daher, zunächst
einmal jeden der beiden Theologen für sich zu Wort
kommen zu lassen. Die Eigenart der cusanischen Schöpfungslehre
kommt auf diese Weise sehr klar zum Ausdruck.

Weniger gelungen scheint mir der entsprechende Abschnitt