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Ausgabe:

1970

Spalte:

673-675

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bergendoff, Conrad

Titel/Untertitel:

The church of the Lutheran reformation 1970

Rezensent:

Fagerberg, Holsten

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 9

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in Gottes Heilswerk. Die Fragen werden so aufgerollt, daß
zuerst die Römerbriefvorlesung befragt wird, danach spätere
Äußerungen Luthers zu derselben Frage.

Ober den Gedankengang dieser Studie wird man unterrichtet
, wenn man Luthers Anschauung von der Buße durch
die These klarmacht: Sine contritione non fit remissio pec-
catorum. Luther bekennt sich nicht zu dieser These. Im
Gegenteil geht er davon aus, daß die contritio ebenso wie
die iustificatio auf einem Handeln Gottes beruht. Gottes
Handeln mit dem Menschen besteht darin, daß er Menschen
tötet und zermalmt (mortificat et conterit). Gott tötet den
Menschen, indem er ihm seine Sünde zeigt. Da entsteht
Flucht vor Gott und Gotteshaß. „Wenn nur der Mensch ...
so auf der Flucht (in fuga contritionis) ist, ergreift ihn Gott,
erbarmt sich seiner und spricht: Du wirst nicht sterben,
gibt ihm den Glauben und den Heiligen Geist". So führt
Gott „in die Hölle und wieder heraus". So wird aber auch
die Diskontinuität zwischen Buße und Heil durch Luther
verwirklicht. Die contritio ist nicht die Ursache der iustificatio
. Sonst wären Judas Ischariot und Petrus durch ihre
Reue gerettet worden. Nun zeiqt es sich aber, daß der Geist
Gottes dort weht, wo er will (S. 71-72).

In der Frage nach der Heilsgewißheit geht Luther davon
aus, daß der Glaubende nie von der Echtheit und Totalität
seiner credulitas und somit von der Präsenz des Heils
gewiß sein kann. Diese Ungewißheit muß uns unermeßlich
demütigen. Die sowohl extensiv wie intensiv als grenzenlos
beschriebene fides Christi hat dasselbe Ergebnis zur Folge,
denn wo subtilitas fidei recht verstanden wird, kann nur
noch Demut den Glauben begleiten. Luther hält jedenfalls
schon in der Römerbriefvorlesung eine Rechtfertigungs-
und Heilsgewißheit für notwendig. Man fragt sich, wie dies
möglich ist. Der Vf. sagt, daß diese Gewißheit „nicht angesichts
der eigenen Gläubigkeit, sondern durch das ,Zeugnis
des Geistes' (Rom 8.16), das mit der .fiducia cordis in
Deum' identisch" gesehen wird, entsteht. Es ist somit deutlich
, daß die reformatorische Heilsgewifiheit nicht auf
Grund der Anstrengung des Gläubigen, sondern nur durch
den Glauben, d. h durch die Gabe Gottes, möglich wird.
Der, der glaubt, hat sie, wie Luther auch sonst hervorhebt,
daß der Mensch Gott hat, wie er glaubt. „Glaubst du, daß
du einen zürnenden Gort hast, so hast du ihn, glaubst du
aber, daß du einen gnädigen Gott hast, so hast du ihn"
(frei zitiert).

Der Leser dieser Studie bekommt den Eindruck, daß der
Vf. tief in Luthers Gedankenwelt eingedrungen ist und
Luther richtig interpretiert. Die Thematik führt ihn in die
zentralsten und aktuellsten Fragen. Man muß nur beklagen,
daß die neuesten Studien von Gerhard Ebeling, David Löf-
gren, Ole Modalsli, Kiell Ove Nilsson und Günther Metzgpr -
um nur diese Namen zu nennen - ihm nicht zur Verfügung
gestanden haben. Aber auch so, wie die Studie nun
vorliegt, fördert sie die Forschung wesentlich.

Helsinki Lpnnart Pinomnn

Bergendoff, Conrad: The Church of the Lutheran Reformation
. A Historical Survey of Lutheranism. St. Louis/
Miss.: Concordia Publishing House 1967. XV, 339 S. gr. 8*.
Lw. $ 9,-.

Wie aus dem Untertitel des Buches hervorgeht, „Eine
geschichtliche Übersicht des Luthertums", beschreibt der Vf.
dieses Buches die Geschichte des Luthertums. Mit einer
hervorragenden Kenntnis über sämtliche lutherischen Kirchen,
auch über die kleinsten der Welt, gibt er einen klaren
Überblick vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Als
Beispiel für die Aktualität des Buches kann genannt werden,
daß er nicht nur über das zweite Vatikanische Konzil und
dessen Konsequenzen für die Ökumenik, sondern auch über
die Verhandlungen über das Abendmahl innerhalb der
evangelischen Kirchen berichtet, welche zu der Annahme
der Arnoldshainer Thesen geführt haben. Weniger ausführlich
sind die lutherischen Kirchen in Asien und Afrika
genannt. Der Schwerpunkt des Buches liegt auf Europa und
den Vereinigten Staaten. Da der Bericht vier Jahrhunderte
umfaßt, ist er oft sehr knapp, bisweilen fast handbuchmäßig
. Eine Reihe Namen und Tatsachen kommen dem

Leser auf den reichlich 300 Seiten entgegen. Manchmal
wünschte man sich eine strengere Auswahl bezüglich der
Namen und Geschehnisse. Großes und Kleines, Wesentliches
und Unwesentliches werden miteinander ohne Unterschied
vermischt, aber die vielen Einzelheiten zeugen natürlich
von dem großen Wissen des Vf.s und seiner Liebe zum
Thema. Sämtliche Aufgaben dienen dazu, seine These zu
befestigen, daß das Luthertum als eine Weltbewegung in
allen Kontinenten existiert.

Nach einer einleitenden kurzen Übersicht über die
Geschichte der Kirche bis zum 16. Jahrhundert zeigen die
folgenden acht Kapitel des Buches (Kap. 3-10) das Aufkommen
und Wachstum des Luthertums in Deutschland und
in den angrenzenden Ländern. Die beiden Hauptgestalten
des Luthertums, Martin Luther und Philipp Melanchthon,
werden natürlich ziemlich ausführlich behandelt. In der
immer noch kontroversen Frage in bezug auf ihre theologischen
Auffassungen nimmt der Vf. eine vorsichtige Haltung
ein, er will aber mehr das Gemeinsame als das Trennende
unterstreichen. Es liegt sicherlich etwas Wesentliches
in Bergendoffs Hinweis, daß Melanchthon ebenso wie
Luther verschiedene Elemente seines Denkens in einer Art
zu balancieren vermochte wie deren Nachfolger nicht immer
imstande waren. Den mißglückten Versuchen, ein allgemeines
Kirchenkonzil zustande zu bringen, das die kontroversen
Fragen bewältigen sollte, wird eine große Aufmerksamkeit
gewidmet, und im Zusammenhang damit werden
nicht nur die politischen Verwicklungen in Deutschland,
sondern auch das Aufkommen des Jesuitenordens und des
Konzils von Trient gezeichnet. Von besonderem Interesse
ist die Schilderung, wie die Protestanten ihre Kirchen durch
die Neuschaffung von Bibelübersetzungen, Bekenntnissen,
Gottesdienstordnungen, Psalmen und Kirchenmusik organisierten
.

Die folgenden Kapitel schildern das Schicksal des Luthertums
während der folgenden Jahrhunderte, und zwar in
einem lobenswerten Versuch, es in einem größeren allgemein
europäischen Zusammenhang zu betrachten. Die
Philosophie von Descartes und Leibniz sowie die Konsequenzen
der Aufklärung für das Kirchenleben werden beleuchtet
. Der Mission seinsatz des Luthertums und seine
Ausbreitung in Amerika werden ausführlich behandelt. Mit
einer besonderen Sorgfalt schildert Bergendorff das Aufkommen
der verschiedenen lutherischen Svnoden in den
Vereinigten Staaten, die sich allmählich zu einer Zusammenarbeit
in "The Lutheran Council in the United States of
America" 1966 vereinigt haben. Das amerikanische Luthertum
hat eine aktive Rolle für das Aufkommen des Lutherischen
Weltbundes gespielt, dessen imponierende Aktivität
auf verschiedenen Arbeitsgebieten Gegenstand einer sachkundigen
Schilderung ist.

Der historische Bericht bezüglich des Aufkommens und
der Konsolidierung des Luthertums in einer weltumspannenden
Gemeinschaft von 70 Millionen Menschen soll zwei
Hauptthesen unterstreichen: erstens, daß das Luthertum
keine neue Kirchenbildung ausmacht, zweitens, daß es nicht
hauptsächlich eine deutsche Erscheinung ist Die spätere
These ist leicht zu beweisen, da das heutige Luthertum im
hohen Grade international ist. Die Grundlage für die erste
These ist dagegen schwächer, weil der Vf. kaum sich bemüht
hat zu erklären, wie und in welcher Hinsicht das
Luthertum eine Fortsetzung der alten Kirche ist. Derjenige,
der eine solche Behauptung vorbringen will, kann sich nicht
damit begnügen, nur auf die Worte Melanchthons in Einleitung
und Abschluß des Augsburgischen Bekenntnisses
hinzuweisen, daß nämlich die evangelische Kirche nur eine
Fortsetzung der alten allgemeinen Kirche ist. Niemand
kann daran zweifeln, daß die Vertreter des Luthertums die
Absicht hegten, die katholische Christenheit zu repräsentieren
, aber in der gegenwärtigen Lage muß man konkret
die Kontinuität zwischen der alten und lutherischen Kirche
beweisen, aber dieses ist in dem Buch nicht der Fall.

Eine Reflexion, die sich beim Lesen des Buches einstellt,
ist die relativ zurückhaltende Einstellung des Luthertums
anderen Kirchengemeinschaften gegenüber. Im deutschen
Sprachbereich ist es bis jetzt noch nicht gelungen, eine
F.inheitsformel für die lutherischen und reformierten Kirchen
zu finden, in den Vereinigten Staaten haben einige