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Ausgabe:

1970

Spalte:

668-670

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Frickel, Josef

Titel/Untertitel:

Die "Apophasis Megale" in Hippolyt's Refutatio (VI 9 - 18) 1970

Rezensent:

Beyschlag, Karlmann

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Theologische Literatuizeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 9

668

Wenn sie Jesus in der Folge als politischen Anführer verklagen
(23, 4-14), dann handeln sie verlogen und es trifft
sie der Vorwurf des tückischen Mordes (vgl. auch die
Spannungen zwischen Kirche und Synagoge nach der Apg).
In gewisser Weise erscheint Jesus als herausragender Blutzeuge
. Von einer Verurteilung durch Pilatus ist nicht mehr
die Rede.- »er übergab ihn ihrem Wille" (23,24 ff). Hier
heeft zieh bij Lukas een zonder meer fatale ontwikkeling
ingezet, doordat hij niet slechts de morele schuld aan
Joodse zijde legt, niaar Joden ook als de feitelijke kruisi-
gers von Jesus tekent" (164). Der Ring der lukanischen
Darstellung (vgl. schon Lk 4,16-30) schließt sich damit in
vollendeter Weise. Die Katastrophe des Jahres 70 n. Chr.
ist ebenfalls als Strafe für die Verwerfung Jesu gedeutet
(19, 42 ff), wobei freilich (anders als bei Mk und Mt) der
Tempel nicht eigentlich mehr im Blickpunkt des Interesses
steht. Insofern mehrfach bei Lk auch das Motiv der jüdischen
Unwissenheit hervorgehoben ist (23, 34; Apg 3,17 ff),
wird deutlich, daß sich bei ihm neben Apologetik und
Polemik auch missionarische Strukturen zu Wort melden.
Der Aufweis der Schuld soll zugleich die Notwendigkeit der
Bekehrung unterstreichen.

Joh, der eine abweichende Darstellung des Prozesses
bietet, um freilich auch in vielen Punkten mit Lk zusammenzugehen
(lag ihm synoptische Überlieferung in mündlicher
Gestalt vor?), stellt Jesus ganz als das handelnde
Subjekt des Geschehens heraus. Pilatus erscheint als der
»ungläubige Mensch" dieser „Welt", der Jesu Sohnschaft
nicht begreifen will und nicht verstehen kann. Möglicherweise
in einer Situation der Verfolgung schreibend, lag Joh
weniger an einem apologetischen Versuch, als vielmehr an
einer offensiven Darstellung. „Neutralitet is onmogelijk"
(183). Andererseits soll Pilatus die Rolle des EvangeJiums-
zeugen spielen (S. 19,11), insofern gerade er in seiner
Verblendung sagen muß, wer Jesus ist, sc. der »König der
Juden", ja noch mehr das unschuldige „Lamm Gottes". Die
Juden erscheinen für das ungeheure Verbrechen des Gottesmordes
primär verantwortlich. Die Vorstellung der Kollektivschuld
klingt an (s. 18, 35), und zwar offenbar auf dem
Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen Gemeinde
und Synagoge. Erscheinen auch die Römer als Vertreter der
Welt, so ist doch nicht auszuschließen, daß 18, 3.12 eine
Erinnerung an ihre aktive Beteiligung bei der Gefangennahme
bewahrt.

Alles in allem kommt der Vf. zu dem Ergebnis, daß die
älteste Überlieferung (s. auch 1 Thess 2,15) immer wieder
die Schuld der Juden am Tode Jesu hervorkehrt. Das mag
für eine historische Fragestellung wichtig sein (242). Es ist
aber auch zu sehen, daß der jüdische Schuldanteil in zunehmendem
Maße schärfere Konturen erhalten hat. Mk hat
ganz die jüdischen Führer im Blick. Mt hingegen bringt
schon stärker das Volk ein. Lk und Joh kennen bereits eine
entsprechende Unterscheidung nicht mehr. Die Vorstellung
der Kollektivschuld bestimmt das Zeugnis des Mt und Joh.
Durchweg agiert Pilatus in einer positiven Rolle. Die antisemitische
Tendenz in den literarischen Darstellungsstufen
ist deutlich. Sie hat unbestreitbar ihre Wurzeln im NT.
Wenn die Vorurteile abgebaut werden sollen, wird die
selbstkritische Besinnung auf Seiten der Kirchen eben bei
den biblischen Grundlagen einsetzen müssen. Es muß die
Einsicht um sich greifen: „De beschrijvning van het proces
van Jezus in die Evangelien heeft fatale gevolgen gehad"
(246).

Der Rez. sieht sich in keiner Weise genötigt, die skizzierten
wesentlichen Ergebnisse dieser Untersuchung in
Zweifel zu ziehen. Das um so weniger, als viele Beobachtungen
längst vorliegen und der Vf. darauf zurückgreifen
konnte (H. Conzelmann, E. Lohse u. a). Bei alledem hat
das Material, das jetzt in solcher Fülle vorliegt, unbestreitbar
seinen Wert, und man kann nur hoffen, daß die Ergebnisse
auch ins allgemeine kirchliche Bewußtsein gelangen,
damit deutlich wird, daß am Tode Jesu immer nur „ich"
schuldig bin und nicht der andere. Es kann auf seifen der
Christen nur um die Einsicht in eigene Schuld gehen, die
sich dort als Solidarität mit dem jüdischen Menschen anmeldet
, wo unser aller Verlorenheit vor Gott begriffen ist.

Noueiidettelsau August Strobel

KIRCH EN GESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Frickel, Josef, S. J.: Die „Apophasis Megale" in Hippolyt s
Refutatio (VI 9-18): Eine Paraphrase zur Apophasis
Simons. Rom: Pont. Institutum Orientalium Studiorum
1968. 218 S. gr. 8° Orientalia Christiana Analecta, 182.
Lire 5.500,-.

Seitdem Leisegang, Jonas und Haenchen (im Unterschied
zu Waitz, Cerfaux und Quispel) die sog. „Apophasis Megale"
des Simon Magus bei Hippolyt (Refutatio VI, 9-18) als
eine wichtige Quelle des gnostischen Simonianismus behandelt
haben, ist die Frage nach einem womöglich archaisch-
gnostischen Kern dieses Quellenberichts aus dem 3. Jahrhundert
wieder in Bewegung geraten. Inzwischen haben
sich weitere Stimmen positiv dazu ausgesprochen, so W.
Schmithals (Die Gnosis in Korinth, 2. Autl.) und neuerdings
fast gleichzeitig J. Frickel SJ und der Oratorianer I. M. A.
Salles-Dabadie (Recherches sur Simon le Mage I; L' „Apophasis
Megale"; Cahiers de la Revue Biblique 10, Paris 1969).
Unter den genannten Arbeiten beansprucht die Dissertation
von Frickel insofern eine Sonderstellung, als sie ihren
Gegenstand ausschließlich quellenkritisch untersucht und
sich dabei fast ganz auf die Hippolytsche Refutatio als
Grundlage beschränkt. Frickel nimmt damit jenen Faden
wieder auf, der seit Staehelins Untersuchungen über „Die
gnostischen Quellen Hippolyts* (TU VI/3; 1890) - man
kann nur sagen: leider - völlig abgerissen war, dessen
Wiederanknüpfung nach jahrzehntelanger Alleinherrschaft
der religionsgeschichtlichen Vergleiche nicht nur ein dringendes
Erfordernis, sondern zugleich das Hauptverdienst
der hier zu besprechenden Untersuchung ist. Eben aus
diesem Grunde hat Frickels Arbeit auch in dem soeben
abgeschlossenen Forschungsbericht „Gnosis und Gnostizis-
mus" von Kurt Rudolph (ThR 34, 1969 Heft 2 u. 3 - hier
S. 212 ff) eine weithin anerkennende Würdigung erfahren.
Wenn die folgende Rezension kritischer gestimmt ist, so
soll - wie ich ausdrücklich hervorheben möchte - das bereits
ergangene Lob dadurch nicht geschmälert werden. Wohl
aber muß auf die Schwierigkeiten hingewiesen werden, in
die jeder Versuch einer Quellenkritik zu geraten droht, der
sich von den vorhandenen Texten in ein nur noch vermutbares
literarisches Vorfeld zurückzutasten sucht.

Frickels Hauptthese wird bereits im allerersten Absatz
des Vorwortes formuliert. Danach ist es das Ziel der Arbeit
zu „zeigen, daß das von Hippolyt in Buch VI der Refutatio
überlieferte gnostische System nicht - wie gewöhnlich angenommen
wird - ein Exzerpt H.s aus der Apophasis
Megale ist, sondern die (mit polemischen Zusätzen H.s
versehene) „vollständige Wiedergabe einer Paraphrase zur
Apophasis Megale" (S. 9), die somit als literarische Zwischenstufe
zwischen der ursprünglichen Apophasis und Hippolyts
Refutatio zu stehen kommt. Für den Untersuchungsgang
bedeutet das: Es muß nachgewiesen werden, daß nahezu
alles in Hippolyts Apophasisbericht, was nicht als wörtliches
Zitat aus der Apophasis selbst erkennbar ist - das ist der
überwiegende Teil des Textes - seinen jetzigen Zuschnitt
nicht dem Antignostiker Hippolyt, sondern einem unbekannten
Simonianer verdankt, der zu einigen, von ihm
selbst ausgewählten Stellen der Apophasis - mehr nicht! -
einen paraphrasierenden Kommentar verfaßte, den Hippolyt
nicht nur wörtlich, sondern auch (samt den Apophasis-
exzerpten) in seiner ursprünglichen Anordnung wiedergibt.
Die enorme Schwierigkeit des Unternehmens liegt aber
darin, daß es quellenkritisch für diesen Nachweis so gut
wie keine Kontrollinstanzen gibt, wenn man von den ganz
geringfügigen Anklängen an die Simon-Magus-Berichte der
Syntagmatradition (Justin, Irenaus, Epiphanias, aber auch
Ps Clem usw.) - besonders in Ref. VI, 9, 4; 17, 3, allenfalls
18,1 (S. 43 f; 148 ff) - und von der kurzen Benutzung der
Apophasis in der Naassenerpredigt (Ref. V, 9, 4 f; S. 169 ff)
einmal absieht.

Um diese Schwierigkeit niederzuringen, hat Frickel
einen dreifachen Anlauf genommen, der sich - leider mit
zahlreichen Wiederholungen - durch die ganze Arbeit hinzieht
. Der erste Anlauf besteht darin, daß der Vf. zunächst
einmal „Hippolyts Arbeitsmethode" studiert, und zwar vor