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Ausgabe:

1970

Spalte:

665-667

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kwaak, Hans van der

Titel/Untertitel:

Het proces van Jezus 1970

Rezensent:

Strobel, August

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 9

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lieferungen übergangen; andere wieder werden in ihrer
Bedeutung herabgemindert oder auch übertrieben.

Im dritten Teil seiner Arbeit will P. selbst die entscheidende
Antwort auf die antirömische Polemik als den
Hauptpunkt der Kontroverse geben. Zunächst ergänzt er die
einseitige Auslegung einiger johanneischer Stellen, die S.
für ein charismatisches Christentum in Anspruch nahm, im
Sinn einer großkirchlichen Auffassung. Dann bespricht er
den Namen des Petrus-Kephas mit seiner symbolischen
Bedeutung und die Begabung des Petrus mit dem Hirtenamt
sowie andere Züge der Petrus-Überlieferung im Johannes-
Evangelium im Vergleich mit der synoptischen Darstellung,
um so die Anerkennung des Petrus auch im johanneischen
Bereich nachzuweisen. Auch die Gestalt des Lieblingsjüngers
kann und soll die Bedeutung des Petrus oder der Zwölf
nicht herabmindern. Für P. ist der Primat des Bischofs von
Rom die Form, die die Verheißung für Petrus in der Geschichte
nach menschlichem und göttlichem Recht angenommen
hat. Den Presbyter der Johannesbriefe zeichnet
P. als Vertreter des kirchlichen Amtes, während er bei S.
als Charismatiker erscheint. Dagegen ist Diotrephes für P.
ein Konventikelchrist und in> Gefahr, in die Häresie abzugleiten
. Im johanneischen Schrifttum finden sich Aussagen
genug, die auf kirchliches Bewußtsein hindeuten, und die
Idee der Kirche ist im johanneischen Bewußtsein tief verwurzelt
und ihre Entfaltung im Sinn des entstehenden
Katholizismus vorbereitet. Auch der Glaube ist nicht Sache
des einzelnen, sondern setzt die Gemeinde voraus. Damit
bestätigt sich die soteriologische Bedeutung der Person und
des Werkes Jesu. Seine Stunde ist die Stunde der Kirche.
Diese ist bestimmt durch die wirkende Gegenwart des verherrlichten
Christus, die Fürsorge des Vaters, die Sendung
des Parakleten, durch die Liebe der Brüder, die Einheit
der Kirche und schließlich die Verbindung mit der Heilsgeschichte
. So ist die Kirche eine .corporate personality'.
Die Jünger sind zugleich Vorkämpfer der Kirche und identisch
mit ihr. Darauf weist auch das entsprechende Begriffsmaterial
der johanneischen Überlieferung hin.

Thesen und Antithesen am Schluß der Arbeit können
wohl Grundlage und Ausgangspunkt für ein ökumenisches
Gespräch bilden. Manche der allgemeinen Schlüsse von S.
entsprechen dem tatsächlichen Standpunkt der katholischen
Kirche, ohne daß S. sich dessen bewußt ist. P. erkennt den
Wert der Arbeiten von S. voll an: Er hat die johanneische
Christologie eindrücklich, wenn auch einseitig beschrieben
und auch der katholischen exegetischen Theologie mancherlei
Anregung, Bereicherung und Ergänzung geboten, so daß er
wohl zu einer Erweichung scholastischer Meinungen der
kanonischen Theologie beitragen konnte. Der Versuch von
S., von der johanneischen Überlieferung des Neuen Testaments
aus Kritik an der Entwicklung zu üben, die zur Entstehung
der katholischen Kirche geführt hat, und damit
zugleich an der Kirche als Institution überhaupt, hat die
Antikritik von P. hervorgerufen. P. hat aber über alle
Negation hinweg, die unvermeidlich mit dieser Auseinandersetzung
gegeben war, nicht nur ein katholisches Gegenbild
gezeichnet, sondern zugleich eine Gemeinsamkeit gesucht
und damit den Weg zu einer ökumenischen Arbeit gewiesen,
wie sie nunmehr in großem Rahmen vorbereitet wird: Ein
Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament
(Herausgeber auf ev. Seite E. Schweizer, auf kath. R.
Schnackenburg) ist beabsichtigt; Vorarbeiten dazu sind im
Gange. Das Werk von Pineiro wird nach Zielsetzung, Methode
und Ergebnis Vorbild und Beispiel ökumenischer
Arbeit auf dem Gebiet der neutestamentlichen Exegese
sein. - Auf die ausführliche Bibliographie S. XVII-XXXI
und das Autorenregister, das den in den Anmerkungen verarbeiteten
Stoff leichter zugänglich macht, sei besonders
hingewiesen.

Gießen flpore Bertrnm

Kwaak, H. van der, Dr.: Het Proces van Jezus. Een verge-
lijkend onderzoek van de beschrijvingen der evangelisten.
Assen.- Van Gorcum 1969. VIII, 298 S. gr. 8° = Van
Gorcums Theologische Bibliothek, 42. Kart. hfl. 26,-.

Im Wissen um die Bedeutung der redaktionsgeschichtlichen
Methode untersucht der Vf. in sehr gründlicher Weise

die neutestamentliche Überlieferung zur Frage der jüdischen
Schuld am Tode Jesu. Eine Einführung (S. 1-12) weist auf
die derzeitige Aktualität der Fragestellung hin sowie auf
die zwei wichtigen wissenschaftlichen Untersuchungen von
J. Blinzler und P. Winter, jene wohl allzu einseitig historisch
angelegt, diese - obwohl methodisch klarer - ebenfalls
nicht frei von gewissen Schwächen und Vorurteilen. Weil
der Vf. eine überzeugendere sachlich-wissenschaftliche
Lösung anstreben wollte, trennt er die redaktionsgeschichtliche
Analyse klar von einem eigenen historischen Lösungsversuch
ab (7. Abschnitt: Epilog S. 249-279). Verständlicherweise
stehen die Prozeßdarstellungen der einzelnen
Evangelisten im Mittelpunkt der Betrachtung, wobei ihr
Zeugnis im Kontext der gesamten Überlieferung gewürdigt
wird (Markus: S. 13-96; Matthäus: S. 97-126; Lukas:
S. 127-171; Johannes: S. 172-203). Ein weiterer 5. Abschnitt
(S. 204-241) befaßt sich mit einigen anderen Texten des
NTs (darunter: 1 Thess 2,15; 1 Kor 2, 8; 11, 23; Rom 9-11;
1 Tim 6,13 u. a.). Nach einer Zusammenfassung der Ergebnisse
(6. Abschnitt: S. 242-248) folgt der erwähnte historische
Lösungsversuch, in dem darauf hingewiesen wird,
daß Jesus trotz seines nicht-zelotischen Denkens von den
Römern als gefährlicher Aufrührer betrachtet werden konnte
(S. 276 ff). Dankenswerterweise sind außerdem ein in englischer
Sprache formuliertes Summarium, dazu Bibelstellen-
und Autorenregister sowie ein Literatur- und Abkürzungs-
verzeichnis beigegeben.

Nur die wesentlichen Resultate dieser Arbeit, die auch
die stilistische und literarische Beweisführung nicht scheut,
können im folgenden genannt werden.

Mk, der keinen Zweifel darüber läßt, daß die "Heiden"
Jesus getötet haben, legt doch allen Nachdruck auf die
Schuld der Juden. Warum? Offenbar ist seine Konzeption
bestimmt von der Vorstellung des neuen, auch die Heiden
einschließenden universalen Gottesvolkes der Christusgläubigen
. Daß die religiösen Vorrechte Israels dahin sind, mußte
notwendigerweise akzentuiert werden. Eine kritische Beurteilung
Israels konnte Platz greifen, und sie dürfte die
Prozeßbeschreibung beeinflußt haben, wie sich ja auch
Kp. 14, 53 ff primär als ein Werk des Evangelisten erweist.
Sie ist geprägt von urchristlicher Christologie und polemischer
Einstellung gegen die Juden. Die These, daß vor
allem das apologetische Motiv eine Rolle spielte, Rom zu
entlasten, wird bezweifelt. Mk 15,1 erweist sich überdies
als ein Übergangsvers des Evangelisten, wobei auf eventuell
verarbeitete Tradition kein Nachdruck gelegt werden sollte.
Desgleichen verraten die Strukturen der Pilatusverhandlung
das christologische Denken (Bild des leidenden Gottesknechtes
!) und die altjüdische Einstellung der Urgemeinde, sei
es, daß Mk alles auf den wesentlichen Konflikt (zwischen
Jesus und den Führern des Volkes) konzentrierte, sei es,
daß die Haltung der Synagoge gegenüber der ältesten Gemeinde
ins damalige Geschehen zurückprojiziert wurde.
Erneut wird die Ansicht fraglich, es liege eine bewußte
Apologia ad Christianos Romanos vor (so z. B. Brandon).

Bei Mt (s. 27, 24 ff), der die Unschuld des Pilatus noch
schärfer als Mk herausstellt, erhält vice versa die jüdische
Schuldfrage größeres Gewicht, wie auch bei ihm „das ganze
Volk" als belastet erscheint. Offensichtlich wird das Thema
der Kollektivschuld aufgegriffen, wobei möglicherweise die
Katastrophe des Jahres 70 n. Chr. als Gottesurteil gesehen
wird. Das eminent zeitgebundene Urteil, das Mt 27,24 ff
prägt, ist zu sehen. Eine unglückliche Entwicklung im Denken
nahm von daher ihren Ausgang. „Darom will we
27:24-25 als een ,fatale' tekst betitelen" (126).

Die Darstellung des Lk, wie sie aus Sonderfassungen,
Sondergut und Komposition hervorgeht, verrät das Anliegen
, „historisch" sehr genau sein zu wollen, offenbart
aber - in Korrektur des Markus - gleichfalls ihre eigenen
Motive. Die Sitzung des Sanhedrins erscheint als eine Art
Vorverhör (22, 67 ff) mit teilweise deutlicher .christologischer
Reflexion' (s. die Christustitel). Indem weiter betont wird,
daß man Christus zu Unrecht der politischen Agitation beschuldigte
und die römische Obrigkeit ihn als nicht schuldig
erkannte, ist in nachdrücklicher Apologetik das Nicht-Staats-
gcfährlichc der Christen angetönt, was auch die Herodes-
szene unterstreicht. Zugleich wird der Überzeugung Ausdruck
verliehen, daß die Führer des Volkes Jesus nicht
offiziell verurteilt haben (s. auch Mk 10, 33b und Lk 18, 32f).