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Ausgabe:

1970

Spalte:

660-661

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Förster, Werner

Titel/Untertitel:

Neutestamentliche Zeitgeschichte 1970

Rezensent:

Baumbach, Günther

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659

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 9

660

Geschaffenen zum Ureinen und der Gedanke der Weltperioden
die alles durchwaltende Denkvoraussetzung bildet.
Daß die Weltwerdung dabei im Brennpunkt aller Interessen
des Kabbalisten steht, springt bei Ezra besonders darin ins
Auge, dafj er in der dritten »Vorbemerkung" seines Prologs
zum Kommentar (49-55) das Schöpfungskapitel Hi 28
behandelt (vom Hrsg. erläutert in Ergänzungsanmerkung
Vir, 271-291) und nach der „Auslegung* von Cant 4,1-9
eine Exegese der kombinierten Texte Gen 1,1-2,3 und
Ps 104 einschiebt (106-121, vgl. Ergänzungsanm. VIII,
292-319).

Die kabbalistische Auslegung des Hohenliedes, für die
Esras Kommentar ein charakteristisches Beispiel ist (er ist
äußerst konservativ, d. h. er gibt weitgehend die ihm schon
vorgegebenen kabbalistischen Lehrtraditionen wieder), ist bei
allem philosophiegeschichtlichen Interesse eine Etappe auf
dem Leidensweg des Hohenliedes durch die jüdische und
ebenso die christliche Auslegungsgeschichte der letzten
2000 Jahre. Allegorisch vergewaltigt hat das Buch die theologische
Deutung aller Zeiten, und erst heute beginnt das
wörtliche Verständnis, nie ganz ausgerottet, aber jederzeit
(auch von den mittelalterlichen Rabbinen der sonst streitenden
Schulen einhellig) verfemt, wissenschaftlich sich durchzusetzen
. Was man aus einem Text herauslesen kann, wenn
man sich konsequent weigert, ihn beim Wort zu nehmen
und stattdessen ihm ein vorgegebenes Denkschema überstülpt
, macht eine Auslegung wie diese überdeutlich sichtbar.
Ihr Ansatz ist jedoch nichts anderes als eine bestimmte
einseitige Richtung weiterentwickelte, aber doch konsequente
Fortsetzung einer schon in Jamnia ca. 100) kanonisierten
Position.

Diese Auslegung ist von einer letztlich ermüdenden
Monotonie. Dafj von dem poetischen Reiz des Stoffes nichts
bemerkt wird, ist zeitbedingt und nicht erstaunlich (obwohl
es auch kabbalistische Werke in Versform gibt!). Aber
auch jegliche inhaltliche Einzelaussage wird in das allbeherrschende
System der Sephirot einnivelliert, wobei es
andererseits an klarer Eindeutigkeit fehlt, sich widersprechende
Gleichsetzungen vorkommen und eine klare Entwicklung
des Systems als Ganzen fehlt. Auch dies ist eine
gewollte Eigenart der mit Anspielungen aller Art arbeitenden
Geheimlehre.

Diese Eigenart macht nicht nur den Kommentar Ezras
selbst, sondern auch die begleitenden Abhandlungen des
Hrsg.s zu einer ermüdenden Lektüre. Die Gleichsetzungen
wiederholen sich, die Themen gehen ineinander über. Der
Hrsg. ist sich selbst bewußt, dafj er über die Erkenntnisse
Scholems und Y. Tishbys hinaus nur wenig neues bieten
kann (7). Die Lesbarkeit des Buches leidet, abgesehen von
dem enormen Umfang, durch den verschachtelten Aufbau
mit dem gewaltigen, in kleinste Einzelheiten gehenden
Anmerkungsapparat zusätzlich. Hier wären zahlreiche
Wiederholungen doch wohl vermeidbar gewesen. Der Hrsg.
entwaffnet die Kritik durch sein vorausgeschicktes Eingeständnis
dieser Schwierigkeiten (10-12). Aber derartige
Arbeiten, die das Schrifttum der Kabbala zugänglich machen,
in einer bewundernswerte Spezialkenntnisse des Hrsg.s und
vorbildliche Sorgfalt verratenden Weise, sind nötig, um den
durch Scholem eröffneten Weg wissenschaftlicher Bewältigung
dieser bedeutsamen philosophischen Schule weiterzugehen
.

Eine angemessene Einzelkritik verlangte entsprechende
Detailkenntnisse des Rez. und Einsicht in alle Handschriften
Ezras und seiner Zeitgenossen, was in diesem Rahmen nicht
möglich war. Man möchte hoffen, dafj in den kommenden
Jahren zuverlässige Editionen dieses und anderer kabbalistischer
Werke, am besten begleitet von Parallelübersetzungen
in moderne Weltsprachen, erscheinen könnten, um die
Kenntnisse der Kabbala und ihrer Entwicklungen einem
breiteren Kreis wissenschaftlicher Arbeit über die engsten
Spezialisten hinaus zugänglich zu machen.

Bochum Henning Graf Reventlow

1 Vor allem sein Lehrbuch: Ursprung und Anfange der
Kabbala, Berlin 19C2, frz. 1966.

2 Vgl. Scliolom, a. a. O., S. 328 ff.

1 Vgl. schon Scholem, a. a. O., S. .".29, Anm. 15.

NEUES TESTAMENT

Foerster, Werner: Neutestamentlicbe Zeitgeschichte. Hamburg
: Furche-Verlag [1968]. 374 S. 8°. Lw. DM 28,-.

Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich um eine
etwas gekürzte und leicht überarbeitete Neuausgabe der
früher unter den Titeln: .Das Judentum zur Zeit Jesu"
(1940) bzw. .Das Judentum Palästinas zur Zeit Jesu und
der Apostel" (1955', 1959*, 19644) und »Das römische Weltreich
zur Zeit des Neuen Testaments" (1956, 1961s) erschienenen
Halbbände. Weggefallen ist das sehr lange Vorwort
der 1. Auflage, das in der 2.-4. Auflage schon sehr gekürzt
worden war, sowie das ganze 1. Kapitel: »Von der babylonischen
Gefangenschaft bis Nehemia". Dieses Kapitel konnte
deshalb wegfallen, weil F. den ursprünglich als Einleitung
gedachten Abschnitt: »Israel und das Judentum" jetzt in
den 1. Abschnitt hineingenommen hat und hier bei der
Frage nach der Entstohung des Judentums auf das Exil
eingehen mußte. So erfreulich die Beibehaltung der seit
der 2. Auflage vorgenommenen Unterscheidung von Heils-
und Unheilspropheten ist, so problematisch erscheint der
jetzt eingefügte Hinweis auf die Propheten, die es „bei den
Essenern, den Hasmonäern und den Zeloten" gegeben hat
und die als „Heilspropheten" gekennzeichnet werden (S. 16).
Bellum Iudaicum VI, 300 ff. erweist jedoch, daß eine solche
Charakterisierung fragwürdig ist. Die Zitierung von 1 Makk
9, 27; 4,16; 14, 41 ist zwar jetzt weggefallen, aber die Darstellung
ist doch noch sehr stark von diesen Stellen bestimmt
, wenn F. von der „irrationalen Tatsache" spricht,
„daß die Prophetie allmählich versiegt" (ebd ). Dann müssen
aber auch die daraus gezogenen Konsequenzen über „Gottes
Schweigen" und das dadurch wichtig gewordene Gesetz
mit einem Fragezeichen versehen werden. Erfreulicherweise
sind dagegen die Aussagen aus der 1. Auflage, die von dem
„eigentümlichen Machtanspruch des Judentums den Heiden
gegenüber" sprachen, nicht wieder aufgenommen worden.
Vom „Krämerland" und von »Israel als Handelsvolk" ist
jetzt nicht mehr die Rede. Auch in den folgenden Abschnitten
hat F. durchgängig die seit der 2. Auflage angebrachten
Änderungen beibehalten. Bedauerlich ist, dafj die von C.
Schneider in der Besprechung der 2. Auflage (ThLZ 84, 1959
Sp. 668 f.) mit Recht kritisierte Behauptung, der Tobias des
Josephus sei „typisch für das entwurzelte hellenistische
Judentum" (S. 28), in den späteren Auflagen nicht geändert
wurde. Fragwürdig sind auch die Ausführungen über die
Asidäer auf S. 30 f., die folgendermaßen gekennzeichnet
werden: „Einer ihrer Grundsätze war: ,Macht einen Zaun
um das Gesetz". Ganz so einlinig dürfte das Verhältnis der
(apokalyptischen!) Asidäer zu den späteren Pharisäern doch
wohl nicht gewesen sein! Auch die sehr flüssige Darstellung
der „essenischen Bewegung" läßt nicht die Probleme ahnen,
vor die uns die Quellen stellen. Daß auf die priesterlich-
sadokidische Ausrichtung des Qumranordens nicht eingegangen
wird bzw. davon nicht ausgegangen ist, hat zu
einer Verwischung der Besonderheit dieser Gruppe geführt.
Der Abschnitt: „Die essenische Bewegung und die Apo-
kalyptik" (S. 56-60) hätte im Blick auf die heutige Forschungslage
dringend einer Überarbeitung bedurft. Mit
folgender Definition: „Apokalyptisch sind Gedanken, die
sich auf Enthüllung von dem gewöhnlichen Menschen verborgenen
Dingen beziehen" (S. 57), sollte man heutzutage
nicht mehr arbeiten. Auch die von F. gebotene Schilderung
der Sadduzäer (vgl. S. 65, wo sie als herodesfreundlich, und
S. 118 f., wo sie als „für fremde, griechische Gedanken anfällig
" hingestellt werden) und der Zeloten, deren apokalyptische
Ausrichtung und sozialkritische Tendenz nicht
berücksichtigt wird (vgl. S. 119. 66-68 und 73 f.), kann
nicht befriedigen, zumal neuere Standarduntersuchungen
dazu (vgl. R. Meyer, in: ThWB VII, 35-54, und M. Hengel:
Die Zeloten, 1961) weder benutzt noch erwähnt sind. Mit
einiger Verwunderung liest man auf S. 77, daß sich unter
Felix „die Zeloten in die .Sikarier', d. h. Dolchmänner wandelten
". Wie soll man sich eigentlich diese Metamorphose
vorstellen? Unverständlich erscheint es auch, daß unter den
Quellen für die Essener Philo nicht genannt und verwertet
wird. Der Unterabschnitt „Jesus und die Urgemeinde"
(S. 81-82) innerhalb des Hauptabschnitts „Der Untergang