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Ausgabe:

1970

Spalte:

656-658

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Coppens, Joseph

Titel/Untertitel:

Le fils de l'homme et les Saints du Très-Haut en Daniel, 7, dans les Apocryphes et dans le Nouveau Testament 1970

Rezensent:

Koch, Klaus

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 9

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sprachlich nichts gemein miteinander haben, außer daß die
3. Pers. Perf. qal benutzt wird. Bei Jos 7,11 .Es sprach
Jahwä: gesündigt hat Israel" läßt sich darüber reden, ob es
sich um den geprägten Stil einer offiziellen Bezichtigung
handelt (ebenso Ez 3,21). Aber Gen 40,1 ist unmöglich
»formelhaft" zu nennen: «Es geschah nach diesen Begebenheiten
, daß sündigten der Mundschenk ... und der Bäcker"!
Ebensowenig Neh 13,26 .Hat nicht wegen dieser Angelegenheit
(der fremden Frauen) sich Salomo versündigt?"
Daß es bei diesen und anderen Stellen um dieselbe Formel
gehen soll, leuchtet ebensowenig ein wie der für K. aus
diesem Gebrauch sich ergebende wichtige Schluß, daß ha(a'
von Haus aus ein rechtlicher Begriff sei. Weil Mundschenk
und Bäcker Gen 40,1 eingekerkert werden, soll das auf sie
bezügliche ha^'u .bewußt zur Bezeichnung eines rechtlichen
Verhaltens gebraucht" sein (39). Ist das wirklich zwingend?
Ebenso wird die erzählende Notiz Hi , 22; 2,10 .In
alldem versündigte sich Hiob nicht", die unter der gleichen
Rubrik Überführungs- und Urteilsformeln eingereiht ist,
ein »streng juristische(s) Urteil" unterstellt (40).

Die vielen anderen Beispiele anzuführen, wo K. das Wort
.formelhaft" schnell und großzügig verwendet, würde zu
weit führen. Was er damit meint, sind meist nur geläufige
Verbindungen des Sündenterminus mit einem Verb wie
»heimsuchen* (pqd) oder .gedenken" (zkr). Dafür werden
in der Regel ein bis zwei anscheinend oder eindeutig alte
Belege herausgegriffen und dadurch ein Sitz im Leben
bestimmt - ein bei so schmaler Basis anfechtbares Verfahren
. Doch ist die Zusammenstellung der Wortverbindungen
nützlich - auch dann, wenn man andere Folgerungen
daraus zieht als der Vf.

Doch nicht nur der formelhafte Gebrauch wird berücksichtigt
- jeweils unter der Überschrift .traditionsgeschichtliche
Untersuchung" - sondern auch jedes Mal .inhaltliche
Bestimmungen" gegeben. Für hata' geht K. von der Bedeutung
.(ein Ziel) verfehlen" aus und bestimmt das Wort in
religiöser Verwendung als Verfehlung eines Gemeinschaftsverhältnisses
, allerdings mit der Einschränkung: «An sich
ist es verkehrt, zu sagen, man vergehe sich gegen das
Gemeinschaftsverhältnis; die Texte reden immer vom Vergehen
gegen das Ziel des Tuns, und das ist der andere
Mensch oder Gott. Das Ziel des Tuns jedoch setzt ein beide
umschließendes Verhältnis . . . voraus" (58, A. 105). K.
möchte gern feste Normen für ein solches Vergehen im
Alten Testament finden, weiß freilich nur Jer 16,10-12 als
klaren Beleg anzuführen. Überzeugender ist der Aufweis
der in hata' eingeschlossenen objektiven Sündenauffassung.
Gründlich ist die Auseinandersetzung mit dem Rez. über
die mit ha{a' verbundene schicksalwirkende Tatsphäre
(73-96) mit dem Ergebnis: .Die Alternative: Recht oder
Tatsphärendenken, Recht oder Dynamismus erweist sich
damit als eine den alttestamentlichen Texten - wenigstens
in unserem Problemkreis - unangemessene, fruchtlose
Fragestellung und führt in eine Sackgasse" (81). Richtig ist
jedenfalls der Hinweis, daß Jahwä nicht nur von außerhalb
die Tatsphäre in Kraft setzt, sondern .in ihr sich bewegt"
(88). i
Im zweiten Teil, wo päsa' untersucht wird, wird Ex 22, 8
zur Basis der Argumentation (behandelt auf über 30 Seiten).
L. Köhlers These, daß in diesem gesetzlichen Abschnitt
päsa' .Eigentumsanfechtung" heißt, wird zu Recht bestritten.
Auch überzeugt für den Fall von päsa' am Tier oder Mantel
eines Volksgenossen, daß das geforderte Gottesgericht
anderes meint als eine Eidesleistung. Doch ist K.s
Deutung .Eigentumsdelikt, -verbrechen" dadurch erkauft,
daß gegen die grammatische Konstruktion und gegen die
Parallelen aus dem Codex Hammurapi bestritten wird, daß
im Gottesgericht notwendig eine von beiden Rechtsparteien,
also Kläger oder Angeklagter, schuldig gesprochen werden.
Mag uns Europäern das .schwer vertretbar" erscheinen (154),
auch andere Stellen im Alten Testament legen solche Folgen
für ein Gottesurteil nahe (päsa' dürfte m. E. an dieser
Stelle „Bruch eines Vertrauensverhältnisses mit [materiellen)
6chadensfolgen heißen). K. kommt um seiner Deutung
willen zu einer sehr gezwungenen Übersetzung, muß auch
V. 8 als einen anderen Rechtsfall betrachten als V. 6 f., was
gattungsmäßig nicht nahe liegt ('al leitet keinen Rechtsfall
ein). Vor allem von dieser Stelle aus ist K. überzeugt, daß päsa'
ein rechtlicher Begriff ist und es vornehmlich mit Eigentum

zu tun hat. Selbst das Verb pasa' soll ein Delikt bezeichnen,
bei dem es um Wegnahme fremden Eigentums geht Die
Seite 175 f. genannten Belege legen aber m. E. sehr viel
eher die Deutung Köhlers »Empörung, Rebellion" nahe, von
Eigentumsproblemen mag ich dabei nichts entdecken.

Im dritten Teil steht 'awon im Mittelpunkt. K. sieht
darin einen weniger rechtlichen als umgangssprachlichen
Begriff, der dynamistischem Wirklichkeitsverständnis entspricht
und auf den untrennbaren Zusammenhang von
Untat und Schuld abzielt »die gegenwärtig unheilwirkende
Realität einer Untat" (244), die nur mit dem Tod aus der
Welt geschafft werden kann »er (der 'awon) geht nicht verloren
und wird nicht vergessen" (221). Dieser Teil ist dem
Vf. am besten gelungen.

Ein paar hermeneutische Anmerkungen
seien gestattet. Die Untersuchung ist von dem theologischen
Bemühen durchzogen, an möglichst vielen Stellen Jahwä als
rechtlich und richterlich erscheinen zu lassen, die Unheilsweissagungen
der Profeten z. B. wie selbstverständlich als
Gerichtsankündigungen zu nehmen und anderes mehr.
Damit gliedert sich der Vf. in die Reihe vieler Kollegen ein,
die den Gott des Alten Testamentes dadurch »adeln" möchten
, daß sie ihn zum Richter erheben, wo immer es der
Text nicht ausdrücklich verwehrt. Tut man damit wirklich
dem Alten Testament, tut man unserer heutigen Theologie
einen Gefallen? Die abendländische Verkoppelung von Religion
und Recht war solange großartig, als ein methaphysisch
begründetes Recht mit ewig gültigen Normen für alle
unstrittig war, mindestens für die Theologen. Hält man
eine solche Rechtsmethaphysik nicht mehr fest, gerät der
göttliche Richter oder richtende Gott in Gefahr, zu einer
Willkürmacht eigenen Beliebens zu werden. Gerade in der
vorliegenden Studie wird das an mancher Stelle deutlich.
K. bemüht sich zu betonen, daß Jahwäs Urteil allein und
unableitbar die Sünde erst zur Sünde stempelt. Im objektiven
Charakter von hatta't „schlägt sich die Verfügungsgewalt
und Urteilsfreiheit Jahwes nieder, der der Mensch
bedingungslos ausgeliefert ist." (70). päsa' wird „durch das
Verdikt Jahwes zu einem theologischen Begriff für Sünde im
eigentlichen Sinn" (184) und auch für 'awon gilt „die Schwere
des Vergehens selbst ist nicht von den psychologischen Voraussetzungen
, sondern vom Urteil Gottes abhängig" (248). So
verschieden oder verwandt die Begriffe für Sünde »ihrer
Herkunft nach auch sein mögen und so verschieden oder
einander nahestehend deshalb auch die Seiten, die Vorstellungen
sein mögen, die sie von der .Sünde' enthüllen,
und wo immer sie auch ihren geschichtlichen Sitz im Leben
haben mögen; als Urteile im Mund Jahwes haben sie alle
gleiches Gewicht; denn Jahwes Reagieren und Gericht ist
gleich und dasselbe, ob es sich nun um hef, 'awon, paesa'
oder sonst einer Art von .Sünde' handle" (250). Bei dieser
Rezension, die vermutlich auch von Leuten gelesen wird,
die nicht vom Fach her Alttestamentler sind, ist es wohl
nicht unnütz zu betonen, daß hier zunächst einmal eine
hermeneutische Position der Gegenwart zum Ausdruck
gebracht wird, die im christlichen Bereich ihre respektable
Tradition hat, bei der es aber schwierig ist, sie aus dem
Alten Testament selbst überzeugend zu erheben.

Die Besprechung kann nicht der Fülle der Einzelaufstellungen
nachgehen, die sich in diesem fleißig gearbeiteten
Buch finden. Auch die kritischen Fragen oben, sollen
nicht überdecken, daß es sich um eine anregende Studie
handelt, an der keiner vorübergehen sollte, der alttesta-
mentlich oder systematisch-theologisch über das Thema
Sünde nachdenkt.

Hamburg Klans Koch

Coppens, Joseph, Prof., et Luc Dequeker, Dr.: Le Fils de
l'homme et les Saints du Tres-Haut en Daniel, VII, dans
les Apocryphes et dans le Nouveau Testament. 2e ed.
augmentee. Louvain: Publications Universitaires; Bruges-
Paris: Desclee de Brouwer 1961. 108 S. gr. 8" = Analecta
Lovaniensia Biblica et Orientalia, Ser. m, Fase. 23.
ffr. 75,-.

Durch Säumnis des Rez., die durch mannigfaltige Abhaltungen
nicht mehr zu entschuldigen ist, erfolgt erst nach