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1970

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 1

II

Bin zweiter Einwand ist schwerwiegender. F. versucht für die
Begriffe culpa - error (10,96,7) und paenitentia - venia (10,96,2;
97,1) eine einheitliche begriffsgeschichtliche Ableitung aus der
Terminologie des römischen Imperialismus (bes. S.57ff.). Er
kann für diese These eindrucksvolle Belege, vor allem aus Cicero
und Livius vorlegen, die sich ohne Mühe vermehren ließen (vgl.
Liv.37,49.1; 37,55,1; Cic. pro Lig. 1). Dennoch erheben sich Bedenken
. So bildet etwa das Begriffspaar culpa-error einen festen
literarischen Topos in Unschuldsaussagen. Es seien genannt Stat.
Silv. 5,5,7 („quae culpa, quis error, quem luimus tantis"); Val.
Flacc. Argon. 3,407 (,,... insontes errore luit culpamque remit-
tens"). Hierher gehören auch zwei Aussagen Ovids, die F. nicht
bringt: trist. 3,5,51f. und 4,l,23f. Plinius selbst hat die Verbindung
culpa-error in 7,28,2. Imperiales Denken und Machtpolitik
sind mit diesen Aussagen nicht verbunden. Ähnliche Einwände
treffen das zweite Begriffspaar paenitentia - venia. Der Vorgang
, daß ein Angeklagter seine Tat bereut und eine Gnadeninstanz
anruft, ist in den meisten Rechtsordnungen nachweisbar.
Zudem haben die ältesten römischen Belege für venia im Sinn
von Begnadigung (Cic. de inv. 1, 102; pro Ligar. 1 und 30;
Phil.8,32) forensischen Hintergrund. Wichtig ist schließlich
auch der Gebrauch von venia bei Plinius, den F. übergeht. Allein
an fünf Stellen bedeutet venia die Begnadigung eines Schuldigen
(3,9,15; 4,9,8.17; 4,11,11; 4,29,2). Gleichwohl kann nicht
übersehen werden, daß die von F. gebotenen Belege das Eindrücklichste
darstellen, was das Lateinische zu den vier genannten
Begriffen bietet. Problematisch ist auch, daß F. die
imperialistische Terminologie noch über die vier behandelten Begriffe
hinaus vorfindet,so z.B. in dem Satz .pertinaciam certe et
inflexibilem obstinationem debere puniri' (10,96,3; F. S. 100).
Obstinatio und pertinacia erscheinen dort, wo Gegner von fanatischer
und unzugänglicher Geisteshaltung bekämpft werden,
ohne daß damit der römische Weltherrschaftsanspruch verbunden
sein muß. Zwei neue Beispiele können das zeigen. Ulpian
tadelt die „obstinata persuasio" der Astrologen (Coli. leg. Mos.
et Rom. 15,2,1). Die engste mir bekannte Berührung findet sich
bei Cyprian ep.45,1, der seinen Gegnern im novatianischen
Schisma ,,obstinata et inflexibilis pertinacia" vorwirft.Diese fast
wörtliche Übereinstimmung ist um so auffälliger, als alle drei
gemeinsamen Begriffe bei Plinius nur an unserer Stelle vorkommen
. Da eine direkte literarische Abhängigkeit Cyprians von
Plinius wenig wahrscheinlich ist - er hätte diese Wendungen
wohl vermieden, wenn ihm bewußt gewesen wäre, daß er damit
genau den Ton des Christenverfolgers traf - muß man schließen,
daß alle drei Worte in ein festes Schema zur Bekämpfung
unbelehrbarer Gegner gehören, das an keine bestimmte Situation
gebunden ist.

Insgesamt wären Anspielungen an die imperialistische Terminologie
der Historiker nur dann sinnvoll, wenn Plinius die
Christen als politische Gegner Roms, etwa als Mitglieder einer
verbrecherischen coniuratio charakterisieren wollte. Das ist nach
F. nicht der Fall. Auch F. sieht diese Problematik, und sie zwingt
ihn zu der Annahme, Plinius habe in seinen Brief Anklänge an
den Livius-Bericht über die Bacchanalien eingearbeitet, um die
Ungleichheit der Situation zu betonen. Man dürfe die Christen
gerade nicht nach dem Vorbild der bacchischen Mysterien behandeln
(S. 170). Eine solche Annahme kann jedoch wenig innere
Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen. Dennoch sind beide
Berichte verwandt. F. hätte zusätzlich noch vergleichen können:
stato die (10,96,7) mit tres in anno statos dies (Liv.39,13,8);
sacramentum (10,96,7 und Liv.39,15,13); superstitio prava
(10,96,8) mit religio prava (Liv.39,16,6). Die Formulierung des
Livius in 39,9,1: Huius mali labes ... Roman veluti contagione
morbi penetravit hätte einen treffenderen Vergleich mit ep.
10,96,9: sed vicos etiam atque agros superstitionis istius conta-
gio pervagata est ergeben als die von F. herangezogene Sallust-
stelle (S. 176, Anm.22). Alle diese verbalen Berührungen können
jedoch nur zeigen, daß Livius und Plinius in der gleichen literarischen
Tradition stehen, wenn sie über eine aliena superstitio berichten
. Eine direkte Benützung ist aber wegen der verschiedenen
Intention nicht wahrscheinlich.

F. betont mehrfach, die Christenprozesse seien Cognitionen
extra ordinem gewesen, die als Anklägerprozesse geführt werden
konnten (S.200). Ferner versucht er zu zeigen, daß Plinius in

diesen cognitiones die Reihenfolge delatio - Vorverfahren - re-
ceptio nominis - Hauptverfahren eingehalten habe (S. 154). Doch
tatsächlich findet in keinem der drei von Plinius erwähnten Fälle
eine volle cognitio statt. Für die confessi nimmt F. mit W.Kunkel
an, daß auf das legibus interrogare in der Vorverhandlung
sofort die Hinrichtung folgte (S.95). Auch bei den Angeklagten,
die jede Verbindung mit dem Christentum bestritten (10,96,5),
kommt es nicht zur Hauptverhandlung; sie werden nach dem
Opfertest entlassen. Die eigentlichen Apostaten schließlich, die
ihr Geständnis widerriefen (10,96,6), erhalten nach Trajans Entscheidung
außergerichtliche venia.

Man kann also die Christenprozesse kaum mehr als wirkliche
Kognitionen verstehen. Sie sind analogielose statthalterliche Prozesse
, die sich nicht in das Schema einer normalen cognitio
extra ordinem einfügen lassen.

Es steht außer Zweifel, daß diese bisher gründlichste und umfassendste
Analyse des Pliniusbriefes sich als unentbehrliches
Hilfsmittel für die Forschung erweisen wird. Es ist zu hoffen,
daß die neuen Anstöße, die von F.s Werk ausgehen und die sein
Buch zu einer außergewöhnlichen Lektüre machen, Eingang
finden werden in die Diskussion um die Anfänge der Christenverfolgungen
.

Schließlich sei noch auf zwei wichtige Rezensionen hingewiesen. Auf
A. N. Sherwin-White in Latomus Jg. 1968 S. 703-707 und auf E. J. Bik-
kerman: Trajan, Hadrian and the Christians, in: Rivista di Filologia
e di Istruzione Classica 96 (1968) S.290-315, der sich vor allem mit F.s
Interpretation des Hadrianreskripts befaßt, auf das hier nicht mehr
eingegangen werden konnte.

Erlangen Wolfgang Pöhlmaun

Brabant, Ovila: Confiteri - Enuntiare Vitam Suam chez Saint Augustin
d'apr^s l'Enarratio LV et le livre X des Confessions (science et
esprit 21, 1969 S. 253-279).

Cilleruelo, Lope: Conclusiones sobre la „Regula Augustini" (Revista
agustiniana de espiritualidad 10, 1969 S. 49-86).

Crawford, R.G.: The Two-Nature Doctrine of Christ (ET 79, 1967
S.4-8).

Estrada, Luis: Bibliograffa sobre la espiritualidad de San Agustin
(Revista agustiniana de espiritualidad 10, 1969 S. 267-275).

Fraenkel, Pierre: Une reedition du Panarion d'Epiphane (RThPh 102,
1969 S. 111-114).

Freudenberger, Rudolf: Die Überlieferung vom Martyrium des
römischen Christen Apollonius (ZNW 60, 1969 S. 111-129).

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Duns Scoti, Ioannis, Dr., O.F.M.: Opera Omnia. Iussu et auetori-
tate Rmi. P.C. Koser Studio et cura Commissionis Scotisti-
cae ad fidem codicum edita, praeside P. Carolo Baliö. XVII.
Lectura in librium primum sententlarum. Adistinctione octa-
va ad quadragesimam quintam. Civitas Vaticana: Tvpis
Polyglottis Vaticanis 1966. XII, 20* u. 639 S. 4°.

Der vorliegende Band der kritischen Ausgabe der Werke des
Duns Scotus bringt die Edition der bisher ungedruckten, aus den
Jahren vor 1302 stammenden ersten Oxforder Vorlesung über
die Sentenzen des Petrus Lombardus für deren erstes, die Gotteslehre
behandelndes Buch zum Abschluß (vgl. ThLZ 92, 1967.
203). Damit ist für alle Forschungen über Fragen der geistigen
Entwicklung des doctor subtilis eine ganz neue Basis geschaffen.
Bisher mußten solche Untersuchungen sich auf die drei Handschriften
stützen, die jedoch an vielen Stellen im Text nicht
unerheblich voneinander abweichen.

Die diesem Band beigegebene Einleitung zur Edition der Oxforder
Vorlesung berichtet zunächst von der nur wenige Jahrzehnte
zurückliegenden Entdeckung und - schwierigen - Identifizierung
des Werkes. Nach seiner ersten Beschreibung durch
A. Pelzer 1923 wurde es zunächst für eine der Nachschriften
der späten Pariser Vorlesungen des Duns Scotus gehalten, dann
für eine von einem Schüler stammende Kurzfassung seines
Hauptwerkes, der Ordinatio. Erst allmählich setzte sich die
schon 1927 von C.Baliö, dem jetzigen Präsidenten der mit der