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Ausgabe:

1970

Spalte:

41-44

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Freudenberger, Rudolf

Titel/Untertitel:

Das Verhalten der römischen Behörden gegen die Christen im 2. Jahrhundert 1970

Rezensent:

Pöhlmann, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 1

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8 E. Altendorf, Novatian, in: Evangelisches Kirchenlexikon, Bd.2,
Göttingen 1958 Sp. 1639.

3 A.Harnack, Novatian,in: Realencyklopädie für Protestant. Theologie
u. Kirche, 3. Aufl., Bd. 14, Leipzig 1904 S.223ff. - Koch, Cyprianische
Untersuchungen, Bonn 1926 (Arbeiten zur Kirchengeschichte,
4), passim u. im angeführten Lexikonartikel.

4 H.v. Campsnhausen, Lateinische Kirchenväter, Stuttgart i960
(Urban-Bücher, 50) S. 105.

Freulenberger, Rudolf: Das Verhalten der römischen Behörden
gegen die Christen im 2. Jahrhundert dargestellt am Brief des
Plinius an Trajan und den Reskripten Trajans und Hadrians.
München: Back 1967. X, 258 S. gr. 8° = Münchener Beiträge
zur P.ipyrusforschung u. antiken Rechtsgeschichte, in Verb,
m. H.Petschow, E.Seidl u. H.J.Wolff hrsg. v. W.Kunkel,
H. Bangtson u. E. Gerner, 52. DM 38,-.

Dar Briefwechsel zwischen Plinius dem Jüngeren und Trajan
über die Christenprozesse in Bithyiiien (Plin. ep. 10,96 und 97)
ist das erste wirklich relevante Dokument für die Anfänge der
Konfrontation zwischen den Christen und dem römischen Staat.
Gleichwohl fehlte ihm bisher ein seiner Bedeutung entsprechender
Kommentar. Nun legt F. in seiner Erlanger theologischen
Dissertation eine umfassende philologische, historische und rechtsgeschichtliche
Auslegung vor, der eine kurze Erörterung des Reskripts
Hadrians an Minicius Fundanus angefügt ist (S.216ff.).

F. stellt zunächst die bisherigen Theorien über die Rechtsgrundlagen
der Christenverfolgungen übersichtlich dar. Durch
ein Kapitel „Amt, Auftrag und Befugnisse des jüngeren Plinius
in dar Provinz Pontus-Bithynien" schafft er auch für den Leser,
der wader die Briefsammlung des Plinius noch Provinzialrecht
und Provinzverwaltung im 2. Jahrhundert von Grund auf kennt,
einen guten Rahmen des Verstehens. Der Kommentar selbst bietet
eine überraschende Fülle neuer Erkenntnisse. Viele Aussagen
des Plinius erhalten erstmals eine überzeugende Erklärung.

Trajans Einschränkung der venia .quamvis suspectus in prae-
teritum' soll verhindern, daß freigelassene Apostaten Kalum-
nienprozesse gegen ihre Ankläger anstrengen. Völlig neu und
sehr einleuchtend ist auch die Ableitung des Opfertests. Nach
Jos. ball. 7,46ff. wurde er im Jahr 66/67 in Antiochien erstmals
als Beweismittel gegen Juden angewandt und später auf die
Christen übertragen; auch die maledictio Christi muß von jüdischen
Voraussetzungen her erklärt werden (S. 141 ff.).

Die entscheidende Frage, an der jede Untersuchung des Pli-
niusbriefes zu messen ist, ist die nach der Rechtsgrundlage für
die Hinrichtung der confessi. F. beantwortet sie zutreffend,
indem er feststellt, daß das noraen ipsum den Ausschlag gab.
F. nimmt allerdings eine wechselnde Begründung an. War Plinius
vor dem Verhör der beiden christlichen Sklavinnen von der
Existenz christlicher flagitia überzeugt, so beweist ihm ihre ergebnislose
Folterung die Unschuld der Christen. An die Stelle der
tatsächlich angenommenen Verbrechen setzt er dann fiktive flagitia
, die er selbst nicht für geschehen hält.

Diese neue Variante, die man Fiktions-Theorie nennen könnte,
entwickelt F. in Auseinandersetzung mit A. N. Sherwin-White,
dessen contumacia-Theorie er gründlich und wohl definitiv
widerlegt.

Auch nach Sherwin-White hat Plinius während der Christenprozesse
seine Einstellung zu den Christen geändert, als die Folter
ihn davon überzeugte, daß die angenommenen flagitia nicht
existierten. An Stelle der flagitia setzt er nun contumacia als das
neue cohaerens flagitium, d.h. er befiehlt allen als Christen Angeklagten
den Göttern zu opfern, die Verweigerung des Opfers,
bei Plinius obstinatio und pertinacia, stellt rechtlich das Delikt
der contumacia dar.

Zwei entscheidende Argumente bringt F. gegen diese These
vor: Plinius hat nie versucht, geständige Christen zum Opfer zu
zwingen. Contumacia ist im römischen Recht kein Delikt, sondern
wirkt lediglich strafverschärfend (S.99ff.).

F.s Fiktions-Theorie hat jedoch eine unverkennbare formale
Verwandtschaft mit Sherwin-White's contumacia-Theorie. Auch
für F. bedingt das Ergebnis der Folter einen Einschnitt in der
Hiltung des Plinius. Sie zwingt ihn, die Strafverfolgung neu zu
begründen, da er nun nicht mehr an der Annahme christlicher

flagitia festhalten kann. Daher greift er zu der Fiktion, die „bewußt
einen nicht gegebenen Tatbestand voraussetzt" (S.85) und
es ihm ermöglicht, die Strafbarkeit, des nomen aufrecht zu erhalten
. In dieser Annahme liegt die Schwäche der Argumentation
F.s. Sie stützt sich auf die Anklagen Tertullians in apol.
1-3. Dabei wird jedoch übersehen, daß Plinius von ihnen kaum
getroffen wird. Er hört die Angeklagten an, gibt ihnen Gelegenheit
, sich zu verteidigen, geht den angeblichen flagitia nach.
Seine Nachforschungen bestärken ihn jedoch in der Überzeugung
, das Christentum sei eine exitiabilis euperstitio, bei der
man auch dann noch Verbrechen annehmen muß, wenn sie sich
in einem Einzelfall nicht nachweisen lassen.

Es ist also sehr wahrscheinlich, daß jener Bruch in der Motivation
der Hinrichtung, den Sherwin-White und F. übereinstimmend
annehmen, nie stattgefunden hat. Plinius hat stets an
der praesumptio festgehalten, die das Christentum als verbrecherische
Gemeinschaft ansah. Darum betrachtet er in allen
Stadien der Untersuchung das nomen ipsum als Rechtsgrund der
Verurteilung. Diese praesumptio ist scharf zu trennen von F.s
Fiktion, nach der Plinius offenkundig unschuldigen Menschen
Verbrechen zugeschrieben haben soll, die sie, wie er selbst weiß,
nicht begangen haben. Sie bedeutet auch nicht, daß jedes einzelne
Mitglied Anteil und Kenntnis der christlichen Verbrechen
haben muß. Das wurde ihm durch die Befragung der zwei Sklavinnen
bestätigt. Plinius kann demnach auch nach ihrem Verhör
noch von flagitia cohaerentia nomini sprechen, weil die Überzeugung
vom verbrecherischen Charakter des Christentums durch
ein begrenztes Einzelergebnis nicht prinzipiell erschüttert werden
kann. Er weiß, daß das Christentum eine im ganzen Reich
verbreitete superstitio ist. Das Christenproblem greift also weit
über seinen Amtsbereich hinaus. Somit können seine begrenzten
Erfahrungen nicht zur Grundlage einer umfassenden Lösung
werden. Plinius hat sein eigenes Untersuchungsergebnis nicht
„ignoriert", wie F. (S.80) meint, sondern er hat es in seiner richtigen
Tragweite gesehen.

Bei F. bleibt die Strafbarkeit des nomen nach dem Abbruch der
Verhandlung (10,96,9: dilata cognitione) letztlich unerklärt. Dieses
Problem bedarf auch nach seiner Untersuchung weiterer Klärung.
Denn nomen ist sicher nicht „zusammenfassender Begriff für das Vergehen
bzw. Verbrechen" (S.73), sondern meint die Zugehörigkeit zur
Gesamtheit der Christen. Die Alternativfrage ,nomen ipsum si flagi-
tiis careat, an flagitia cohaerentia nomini puniantur' (10,96,2) wäre
dann so zu interpretieren: Muß die Zugehörigkeit zum Christentum
als solche bestraft werden, selbst wenn sie nicht mit individuellen
Verbuchen verbunden wäre, oder sind die Verbrechen zu brstrafen,
die auf Grund der Zugehörigkeit zum Christentum von den Einzelnen
begangen werden.

Hier sei noch eine Beobachtung zur Folter der christlichen Sklavinnen
angefügt. Es ist kein Zeichen für besonders hartes Vorgehen, wenn
Plinius die Folter erstmals gegen zwei Frauen anwendet. Es geht
ihm darum, zu erfahren ,quid esset veri' (10,96,8). Daher richtet er
sich nach einer Regel, die später in einem Reskript Hadrians so formuliert
wurde: „... a susp^ctissimo ineipiendum et a quo facillime
posse verum scire iudex crediderit" (Dig.48.18,1,1; vgl. 48,18.18.pr. 1).
Beile Forderungen treffen auf die zwei Frauen zu: als ministrac der
christlichen Gemeinschaft sind sie in höherem Maße suspekt als gewöhnliche
Gemeindeglieder, zudem muß Plinius annehmen, daß sie
über genauere Kenntnisse verfügen und als Frauen der Folter leichter
erliegen.

Sprache und Terminologie des Christenbriefes sind noch nie so
eingehend untersucht worden wie bei F. Hier ist ein erheblicher
Fortschritt zu verzeichnen. Fast immer hat es sich bewährt, daß
er die römischen Rechtsquellen herangezogen hat, denn das
1 O.B ich spricht häufiger als die vorangehenden die Sprache der
Juristen und Verwaltungsbcamten. So kommt F. bei den wesentlichen
Aussagen zu gesicherten Ergebnissen. Doch in den Randzonen
des Briefes führt die reehtsgesc'iichtliche Betrachtung gelegentlich
zur Überinterpretation. Hierfür ein Beispiel. F. übersetzt
.Cognitionibus de Christianis interfui numquam' (10,96,1)
mit „Christenprozessen habe ich nie in amtlicher Eigenschaft
beigewohnt" (S.41) und beruft sich difür auf ep.4,22,1. Doch
dort wird erst durch den Zusatz ,in consilium adsumptus' ausgedrückt
, daß Plinius offiziell zum Kreis der Ratgeber gehörte.
Zieht man noch ep. 3,9,35 und Suet. Claud. 12,1 heran, so wird
deutlich, daß ,interesse cognitioni' lediglich ,an einer cognitio
teilnehmen' heißt.