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Ausgabe:

1970

Spalte:

623-625

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Diebner, Bernd Jörg

Titel/Untertitel:

Die Orientierung des frühchristlichen Kirchenraumes und ihre theologische Begründung 1970

Rezensent:

Diebner, Bernd Jörg

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 8

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reflektiert. Entscheidend ist vielmehr: Der Mensch ist, was er
ist, vor Gott. Hier wird er als Mensch in seinein Sünder-Sein
entdeckt (Mensch vor Gott). Hier aher kommt es zugleich
zu seiner Rechtfertigung (Mensch vor Gott). Dieser vor Gott
(in die Klammer) gestellte Mensch ist wahrer Mensch. Grund
und Raum erhalt dieser Tatbestand dadurch und darin, daß
Gott seiher ist, in der Zeit ist, und Geschichte ist. Jesus
Christus, das heißt: Der Mensch ist vor Gott; allein hier ist
er, was er ist.

Im Blick auf die Ncu-Ansetzung bei Christus und im Verfolg
dieses Neu-Ansatzes entscheidet sich Rarths Stellung zu
Kierkegaard. Bin Doppeltes kündigt sich an: Es kommt zu
einem Abrücken von Kierkegaard, insofern als Rarth seine
Aufgabe anders als Kierkegaard in der Entwicklung der in
der Christologie liegenden Wirkkräfte sieht. Barth bleibt bei
Kierkegaard, weil es ihm in der Verbindung des Menschgewordenen
allemal um das Ernstnebmen des Menseben geht,
und zwar nicht o b w oh 1 der Ansatz bei Christus geschieht, sondern
weil dieses der Fall ist.

Der frühe Barth ist bei der ,,Sache". Wie gehl der Weg
weiter? Barth — das zeichnet ihn als Theologen aus —
bleibt bei der „Sache". Was bedeutet das für sein Verhältnis
zu Kierkegaard?

Das Fazit ist nunmehr damit gegeben:

1. Sören Kierkegaard ist für Kail Barth notwendiger
Durchgang. Eine in der Tiefe wirkende Infragestellung, die
aus dem „Gegenstande" kommt, ist es, für die Karl Barth
Kierkegaard zum Zeugen aufruft. Was Kierkegaard zum
notwendigen Durchgang macht, ist die in seinem Wort und
Werk zum Ausdruck kommende prinzipielle Gegenstands-
bezogenbeit und Sachtreue: „Vor Gott" erfährt Kierkegaard
— hier ist die Grunderfahrung des Menschen schlechtbin angesprochen
— die Macht und Übermacht des in ihm offenbar
werdenden „Neuen" und „Anderen".

2. Kierkegaard ist für Karl Barth notwendiger Durchgang
. Es ist die Entfaltung der im Christologischen liegenden
Elemente („Kirchliche Dogmatik"!), die Karl Barth weiter
führt. Seinem „Gegenstande" verpflichtet, kommt Barth —
auf dem Wege Kierkegaards — über Kierkegaard hinaus. Er
kann das Nein „nur noch vernehmen und bezeugen als das
von Gottes Ja umschlossene Nein, als das Feuer seiner Liebe,
die nicht nur auf diesen und jenen einzelnen, sondern auf die
ganze gottlose Welt zielt und als solche von der Kirche verkündigt
sein will".

Sören Kierkegaard und Karl Barth? Barth bleibt bei
Kierkegaard. Er nimmt das von diesem neu aufgewiesene
Thema ernst, so ernst, wie es — nicht Kierkegaard, sondern
der „Gegenstand" — und damit wieder Kierkegaard — haben
will. Karl Barth bat von Kierkegaard die „Sachlichkeit" gelernt
. So kommt er mit Kierkegaard über Kierkegaard hinaus
.

Diebner, Bernd Jörg: Die Orientierung des frühchristlichen
Kirchenraumes und ihre theologische Begründung. Dargestellt
an dem Beispiele Roms, Syriens und Konstantinopels
. Diss. Heidelberg 1965. 201/108 S.

Die Untersuchung hat den Ort des allgemeinen eucharisti-
schen Gottesdienstes von drei wichtigen Gebieten der spätantiken
Oikumenä im Auge. Eine Begründung der Orientierung
wird vor allem in der (kirchenrechtlich-)liturgischen
Überlieferung der alten Kirche gesucht werden müssen, da
von dem programmatisch 1949 von A. M. Schneider1 formulierten
Grundsatz ausgegangen werden soll, daß der Kirchenraum
auf die in ihm praktizierte Liturgie hin konzipiert
wurde: eher als daß die Liturgie durch den Kirchenraum geprägt
wurde. Ist aber die architektonische Orientierung abhängig
von der liturgischen, so ist letztere stets mit zu untersuchen
. Fehlende Orientierung müßte sich — diesem Ansatz
zur Folge — ebenfalls von der zur Entstehungszeit eines Kir-

chengebaudes in diesem mit Wahrscheinlichkeit praktizierten
Liturgie bzw. von der ihr zugrunde liegenden Theologie her
begründen lassen.

In einem archäologischen Teil wurden die einzelnen Unter-
suchimgsgebiele in Epochen untergliedert. Innerhalb der
Kpochen wurde der Befund nach Neugründungen, Kirchen
in antiken Profangehäuden und solchen in antiken Tempeln
unterschieden, damit so die mögliche Bedeutung baugeschichtlicher
Lokaltraditionen augenfälliger würde. An die
Einzelbcfragung der Bauten schloß sich für Rom und Syrien
der Vergleich zwischen der Orientierung pagaiier Tempel mit
derjenigen der Rasiiiken, wodurch die Frage möglicher Übernahme
architektonischer Orientierungsprinzipien geklärt
werden sollte. — Kin theologie- und liturgiegeschicbllieber
Teil versucht (grundsätzlich unabhängig von den Resultaten
der archäologischen Untersuchung), die Frage nach dem Vorkommen
und der Regründung von Kirchenorientierung in
den drei Untersuchungsgebieten zu spätanliker Zeit durch die
Aussagen der uns überlieferten literarischen Zeugnisse zu beantworten
. Dabei wurde das Material geographisch, chronologisch
und inhaltlich differenziert.

Für Rom ergab sich, daß die (meist extra muros gelegenen)
konstantinischen Basiliken zwar orientiert (gewestet, d. Ii. gewiß
: theologisch geostet) waren, daß wir hingegen für die ge-
samle nuchkoiistautiiiische Spfitantikfi und darüber hinaus
für die frühmittelalterlichen römischen Basiliken nicht mehr
ein Befolgen von Orientierungsgrundsützen erkennen können.
(Ein oder zwei auffällige Ausnahmen bestätigen die Regel.)
Dergleichen war offenbar in der dichtbesiedelten Weltstadt
nicht zu verwirklichen. — Die syrischen (und die Konstanti-
nopler) Kirchen waren, abgesehen von einigen konstantini-
schen und einer späteren Gründung in Syrien, geostet. Für
die koustantiniseben Basiliken mögen die gleichen Grundsätze
gegolten haben wie für Konstantins römische ' iründun-
gen. Außere Bedingungen mochten bei den geosteten syrischen
Basiliken wohl die faktische Ausrichtung der je« ' iligen
Kirche beeinflußt haben, nicht aber deren grundsätzliche
Orientierung. Für sie ist eine theologische Begründung anzunehmen
. Die literarischen Belege lassen vermuten, daß die
konsequente Ostung der syrisch-Konstantinopler Basiliken
ihren Grund in der liturgischen Ostung habe. Die euebaristi-
sche Feier dieser Gebiete war stark mit der Erwartung des
secundus adventus Christi verbunden, als dessen Angeld der
auf die Elemente hcrabgeflehte Geist verstanden wurde.
Diese Erwartung machte die liturgische Hinwendung von
Priester und Gemeinde nach Osten und zum Altar notwendig
. — Von hier aus gesehen erscheint der römische Befund
nicht zufällig. Rom kennt für unseren Untersuchungszeitraum
nicht nur keine Aufforderung zur liturgischen Ausrichtung
(nach Osten); der spütantik-römischen Meßtheologie
scheint (bereits) die futurisch-esebatologische Ausrichtung
der eucharislischen Feier (mindestens in der im Osten üblichen
Weise) fremd zu sein. In Rom ist der Altar Rezugsort
des liturgischen Handelns, nicht — wie in Syrien und Kon-
stantinopel — die östliche Himmelsrichtung, der sich der Altar
unterordnet.

Im Gegensatz zu den (auf Fehlinterpretalioncn beruhenden
) Aussagen vieler Forscher konnten wir weder für Rom
noch für Syrien und Konstantinopel eine „Umorientierung"
der Basiliken (d.h. eine überwiegende Abkehr vom Prinzip
der architektonischen Westung und Hinwendung zu dem der
Ostung) für die Zeit um 420 n.Chr. feststellen. In Rom fand
die Abkehr von jeglichem Orientieruugsprinzip um 350 n. Chr.
statt (s.o.), während in Syrien und Konstantinopel (von
„fremden" Gründungen abgesehen) seit jeher nur geostete
Basiliken errichtet wurden. — Die Arbeit drang nicht zur vertieften
Herausarbeitung des Unterschieds zwischen spät-
antik-römischer und -syrisch-Konstantinopler Meßtheologie
vor, in dem u. E. der letzte Grund für die unterschiedlichen
Orientierungsprinzipien zu linden ist. (Das könnte nur eine
eigene Untersuchung leisten.) Die Entscheidung für die