Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1970

Spalte:

618-620

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Nissiotis, Nikos A.

Titel/Untertitel:

Die Theologie der Ostkirche im ökumenischen Dialog 1970

Rezensent:

Wolf, Hans-Heinrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

617

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 8

618

schrumpft, weil das Subjekt, auf das sie sich beziehen (der
Sklave, der zinsnehmende Kaufmann etc.) entweder gar nicht
mehr auffindbar oder aber in ihren existentiellen Strukturen
völlig verändert seien.

Kritisch wird die herkömmliche naturrechtliche Position
im Katholizismus gewertet. („Ist das Naturgesetz katalogisierbar
?" — S. 46). Zwar könne man möglicherweise durch
transzendentale Deduktionen materiale Normen gewinnen,
aber auch solche, die die .,Rolle der Frau" betreffen (ebd.)?
Unter dem Einfluß von Toi 1hard de Chardin und seiner
Lehre von den kollektiven Veränderungen des Menschlichen
(vgl. S. 99) sieht van der Meer die Urteile der Kirchenväter
über das Wesen der Frau als zeitbedingt an.

Die patrislische Literatur biete keinen Ansatzpunkt zu der
Annahme, daß das Priestertum der Frau aus wesentlichen
Gründen unstatthaft sei. Die niedrigere Stellung der Frau sei
durch die soziologischen Tatbestände überholt. „Natürlich
soll nicht geleugnet werden, daß bis vor kurzem die Frau
möglicherweise nach Gottes Willen nicht zum Priester geweiht
werden durfte." Es sei aber zu fragen: „Will Gott es
für die heutige Frau auch nicht?" (S. 127).

Analog habe auch die Sakramententheologie Meinungen,
die bisher als integere Satzung des Magisterium ordinarium
galten, geändert, wie z.B. die Bedingungen für die Gültigkeit
der Sakramente, da diese von Christus nicht specifice festgelegt
worden seien. Van der Meer gelangt so zu der Konklusion,
daß die gegen ein weibliches Priesteramt gerichteten Auffassungen
des Magisterium ordinarium keinen für unsere Zeit
verpflichtenden Charakter besitzen.

In dem Bestreben, wesentliche Kriterien aufzufinden,
macht van der Meer den für protestantisches Denken allerdings
etwas fragwürdigen Versuch einer das Ekklesiologische
soziologisch deutenden Normierung: Der Mann sei heute
nicht mehr eindeutig der Typos Christi, das sei vielmehr die
Gemeinschaft!

Von seinem Verständnis des priesterlichen bzw. bischöflichen
Amtes aus ist van der Meer gezwungen zu fragen, inwieweit
der Priester oder Bischof „Bräutigam seiner Braut",
d.i. der Diözese, sein kann, sofern er weiblichen Geschlechts
ist (S. 158f.). Die Sachfrage, ob die Bräutigamsfunktion vielleicht
nur eine Metapher sein möchte, wird zwar gestellt, aber
indirekt verneint, indem die biologische Geschlechtlichkeit
der Frau als irrelevant für die Bräutigamsrolle deklariert
wird, da auch Ambrosius, Hieronymus und Thomas die gläubige
bzw. einem Orden angehörende Frau als zum „Mannesstand
erhoben" (S. 165) angesehen hätten.

In ähnlicher Weise wird die Christusrepräsentation in Betracht
gezogen: Christus habe, obwohl er realiter „Mann"
war, „in seinem Lehen . ., das Biologisch-Geschlechtliche
nicht vollzogen" (S. 167), und man dürfe daher folgern, daß
das verbleibende Männliche in ihm derart sei, daß es auch von
einer Frau realisiert werden könne.

Auf die Gnadenvermittlung durch den Priester eingehend,
reflektiert van der Meer: Wenn es der Symbolik des Sakramentes
nicht widerspricht, daß der (sonst zeugende) Mann es
„empfängt", gibt es keine Bedenken dagegen, daß die (sonst
empfangende) Frau es spendet (S. 182f.).

Trotz dieser, für den Protestanten schwer nachvollziehbaren
Argumentation, bei der die Frage nach der sachgerechten
Verkündigung des Evangeliums im Grunde ausgeklammert
bleibt, und die Negierung des allgemeinen Priestertums
der Gläubigen impliziert ist, stellt das Buch ein bemerkenswertes
Dokument für eine beginnende dogmatische Neuorientierung
der katholischen Theologie in der Problematik der
Zulassung von Frauen zum geistlichen Amt dar.

Potsdam Ilse Bertinetti

Echnrren, Ramön: Die Übermittlung des Glaubens in ihrer
Bedingtheit durch die Glaubensstrukturen von heute (Con-
cilium 6.1970 S. 151—155).

MISSIONSWISSENSCHAFT, ÖKUMENE

Nissiotis, Nikos A.: Die Theologie der Ostkirche im ökumenischen
Dialog. Kirche und Welt in orthodoxer Sicht.
Stuttgart: Evang. Verlagswerk [1968]. 245 S. 8°. Lw.
DM 29,50.

Für alle, die daran interessiert sind, sich selbst und andere
auf den ökumenischen Dialog vorzubereiten und mit der östlichen
Orthodoxie als wirklichem Gesprächspartner zu rechnen
, der Kritik übt und Kritik entgegennimmt, ist nun ein
Buch grundlegender Orientierung vorhanden. Es kommt von
einer Persönlichkeit, der vielleicht manche in der eigenen
Kirche noch nicht so ohne weiteres zu folgen bereit sind.
Denn hier hat man es mit einer Orthodoxie zu tun, die schon
seit Jahren am kritischen Gespräch der Ökumene beteiligt ist.
Sie sieht deshalb gewiß anders aus als eine solche, die sich
wesentlich im Monolog betätigt und auf die Bewahrung des
Erbes vornehmlich ausgerichtet ist.

Das ist gerade für den nichtorthodoxen Leser dieses Buches
der große Gewinn, daß sein Autor aus der Kenntnis andrer
Positionen, in der Auseinandersetzung und im Abwägen mit
ihnen als Orthodoxer geschrieben hat, um so das eigentümliche
der Orthodoxie um so deutlicher hervortreten zu lassen.

Schon die Tatsache, daß unter dem Titel „Die Theologie
der Ostkirche" das Thema Kirche in den verschiedenen Beiträgen
dieses Bandes im Mittelpunkt steht, ist kennzeichnend
und gerade für das Gespräch mit dem Protestantismus als
einem wichtigen Partner im ökumenischen Gespräch von
größter Wichtigkeit, obwohl es N. im allgemeinen mehr um
den Gegensatz zwischen westlicher und östlicher Theologie
überhaupt geht. Aber für den Protestantismus liegt sicher im
Thema Kirche einer seiner schwachen Punkte, deshalb ist
hier das Gespräch mit der Orthodoxie von besonderer Bedeutung
. Das gilt auch gerade für die heutige Situation der tiefen
theologischen Krise, in der wir uns befinden.

Auch der lange bedeutungsvolle Artikel über die Trinitäts-
Iehre, auf den hier im einzelnen nicht eingegangen werden
kann, gehört in den ekklesiologischen Zusammenhang. Dabei
ist besonders hier wie aber auch an anderen Stellen des Dargebotenen
die Frage akut, ob z.B. mit einer Interpretation
der Trinitätslehre, wie sie hier gegeben ist, mehr getan ist als
ein erster Schritt des Verständlichmachens unter der Voraussetzung
einer Denkweise und Terminologie, die im weiteren
Dialog vielleicht noch viel radikaler umgedacht werden
müßte, wenn wir uns verpflichtet fühlen, die vielen neuen
Überlegungen zur Gottesfrage mit in das Gespräch einzube-
ziehen.

Aber das heißt nun keineswegs, daß die hier vorliegenden
Beiträge fern ab von der heute brennenden Debatte geschrieben
wären. Das wird schon an der für das ganze richtunggehenden
Einleitung „Das Hauptproblem der Ekklesiologie
in ökumenischer Sicht" deutlich. Nach N. kann das Verhältnis
von Ekklesiologie und Gegenwart der Kirche in der Welt
nicht so gesehen werden, daß man entweder die Ekklesiologie
in Soziologie auflöst oder aber eine absolute Ekklesiologie beireibt
, um von den raschen Veränderungen in der heutigen
pluralistischen Gesellschaft unabhängig zu sein. Beides muß
im Zusammenhang gesehen werden, gerade wenn man die
Einheit und die Zusammenarbeit der getrennten Kirchen im
Bereich der Evangelisation und Mission im Auge hat. Eben
dies macht das Besondere einer ökumenisch verstandenen
Ekklesiologie aus, bei der sich in vieler Hinsicht erstaunliche
Konvergenzen in der Neuinterpretation der verschiedenen
Traditionen ergeben, wie das Buch zeigt.

Damit scheint mir eine wesentliche Erkenntnis allen denen
ins Stammbuch geschrieben zu sein, die das ökumenische Gespräch
oft unnötig schwierig und steril inachen, wenn sie mit
einem vom Leben der Kirche abstrahierten Begriff von reiner
Lehre operieren und die Frage der Einheit mit der Bereinigung
abstrakter „Lehrdifferenzen" lösen wollen. Es ist wichtig
, gerade von einem orthodoxen Theologen diesen oben he-