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Ausgabe:

1970

Spalte:

39-41

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Vogt, Hermann J.

Titel/Untertitel:

Coetus sanctorum 1970

Rezensent:

Altendorf, Hans-Dietrich

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 1

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Vogt, Hermann Josef: Coetus Sanctorum. Der Kirchenbegriff
des Novatian und die Geschichte seiner Sonderkirche. Bonn:
Hanstein 1968. 307 S. gr. 8° = Theophaneia. Beiträge zur
Rdigions- und Kirchengeschichte des Altertums, hrsg. v.
T. Klauser, 20. DM 48,-; Lw. DM 53,60.

Als im März 251 der römische Presbyter Cornelius zum Bischof
der Stadt gewählt wurde, trennte sich der Presbyter Novatian
von der Gemeinde, und er fand Anhang, nicht allein in Rom; die
novatianische Kirche bestand lange Zeit. Novatian war „ein
Geistlicher von altem Schlage, der an die Träger des Christen-
namens hohe sittliche Anforderungen stellt und ihnen nicht
durch die Aussicht auf kirchliche Lossprechung bei schweren,
den Christenstand berührenden Sünden die Zügel lockern will",
„eine jener seltenen Erscheinungen - oder vielleicht waren sie
nicht einmal so selten, wie wir meinen -, in denen sich christliche
Sittenstrenge mit, altrömischer gravitas und stoischer Gelassenheit
in edlem Einklang verband"1. Die novatianische
Kirchenspaltung wird verständlich, wenn man hinter dem persönlichen
Gegensatz der beiden römischen Presbyter die Krise
erkennt, in der die Kirche des dritten Jahrhunderts stand, und
die durch die Folgen der Decischen Maßnahmen grell bewußt
wurde: gibt es und wieweit gibt es eine kirchliche Lossprechung
bei schweren Sünden und was ist ihr Sinn? Die gegensätzlichen
Antworten, die erteilt wurden, wurzeln „zutitfst in einem gegensätzlichen
Kirchenbegriff"2; das verleiht dem Vorgang eine
Bedeutung, die über den Tag hinausgeht und immer wieder zu
theologischer Besinnung anregt.

Die Geschichte Novatians und seiner Gemeinde ist im wesentlichen
gültig von Harnack und Koch dargestellt worden3. Die
Lektüre des vorliegenden Buches kann einen in diesem Urteil
nur bestärken. Die umfangreiche neue Darstellung bringt keine
neuen Erkenntnisse. Sie stellt vielmehr in wesentlichen Punkten
einen unerfreulichen Rückschritt dar. Unerfreulich gewiß nicht
deshalb, weil die drei Schriften Novatians, die eine gute Weile
nach dem Ausbruch des Schismas entstanden sein müssen (De
eibis Iudaicis, De specutaculis, De bono pudicitiae), mit Scheingründen
in die Zeit vor 251 datiert werden (S.27ff.) oder weil die
Ausführungen über den 8. Kanon der nizänischen Synoele von
325 (S. 188ff.) und den sog. 7.Kanon der Konstantinopler Synode
von 381 (S.248ff.) sich wenig vertraut mit der jeweiligen
Situation zeigen oder weil auch die skeptische Beurteilung von
Mohlbergs Thesen zu Novatians Grab und zum Datum des
29. Juni 258 (S.196ff.) nicht als das letzte Wort gelten kann.
Unerfreulich ist die Arbeit, weil sie Novatian zu nahe tritt und
mittlerweile gewonnene Erkenntnisse mit leichter Hand beiseite
schiebt.

Man wird belehrt, daß am Anfang von Novatians Christenstand
„ein mit der Taufe verbundenes Genesungserlebnis" zu
vermuten sei (S.19, nach De trin. 29, § 169 Weyer!): „das Wort
Bekehrung ist wohl dabei zu vermeiden" (S. 20). Man erfährt
ferner, „daß Novatian sich wohl nur deshalb so in seiner gegen
die Großkirche gerichteten Haltung verfestigt hat, weil er sich
schon längst, vielleicht ohne sich dessen bewußt zu sein, in
seinen theologischen Anschauungen innerlich von der Großkirche
entfernt hatte! Es mag aber auch sein, daß er von vornherein
gar nicht elas gesamte Glaubensgut aufgenommen hatte,
wie es in der Kirche verkünelet wurde" (S.57). Novatians Ausführungen
in der vor Ausbruch des Schismas verfaßten Schrift
De trinitate beweisen unserm Autor nämlich, „daß ihm (sc. Novatian
) genuin theologische Begriffe überhaupt fehlen. Der
Grund dafür, speziell für das Fehlen eines theologischen Begriffes
von Sünde, woraus sich das Fehlen eines theologischen Begriffes
von Heil und Gnade ergibt, dürfte darin zu suchen sein,
daß Novatian ein Bekehrungserlebnis und damit zugleich eigene
Sündenerfahrung vollkommen fehlt" (S. 105). „Die Folge davon
ist, daß die Kirche, die Fortsetzung des Heilswerkes Christi, als
sündenbekämpfende und heilsvermittelnde Institution zurücktritt
. Sie wird nicht mehr als Mutter geschaut, sondern nur noch
als das gemeinsame große ,Wir' der Gläubigen"; sie, „die jungfräuliche
Braut Christi", hat, „erfüllt von dem Bewußtsein der
eigenen Unbeflecktheit, welches nichts anderes ist als die Zusammenfassung
des Reinheitsbewußtseins ihrer im Grunde unbe-
kehrten Kinder, nur die eine Sorge, sich so unbefleckt zu bewahren
" (S. 107); dort aber, wo die Kirche „nur als Jungfrau
beschrieben wird, da ist Haeresie oder wenigstens Neigung dazu"
(S. 132). Novatians Anschauungen über die Kirche weichen also
schon vor 251 ab „von der gesunden Mitte" (S.107), und Novatian
hat „sich mit einem Entschluß gegen die bisher mit der
ganzen Kirche festgehaltenen Anschauungen für seine persönlichen
Neigungen entschieden, die sich in seinen Schriften schon
deutlich genug verraten" (S. 117). „Seine Ekklesiologie, besonders
sein mangelndes Verständnis der Schlüsselgewalt, die
(sie!) mit seinem oben dargelegten unzulänglichen Erlösungsbegriff
zusammenhängt, hat ihn innerlich schon vor dem Schisma
auf eine von der Gemeindetheologie sehr verschiedene Position
gedrängt" (S. 121). „Etwas überspitzt könnte man so formulieren
: Schismatiker wurde Novatian durch die äußeren Verhältnisse
, aber Haeretiker wurde er durch sein eigenes Denken"
(S. 168). Novatians Kirchenbegriff ist „wesentlich vom katholischen
, auch vom altkirchlichen, verschieden, allerdings nicht
so sehr durch gegenteilige Behauptungen als vielmehr durch
Außerachtlassen entscheidender Elemente" (S.292). Vf. hält
schließlich auch die Behauptung der Polemiker für zutreffend,
Novatian habe den schweren Sündern nicht nur die kirchliche
pax versagt, sondern auch die Aussicht auf die göttliche Verzeihung
abgesprochen (S. 139ff.), während sein Gegner Cyprian
gekämpft habe für „die alte katholische Überzeugung, daß alle
Sünden durch entsprechende Buße getil t werden können"
(S.165). Es gibt ja „das kirchliche Sakramentder Buße" (S.119),
und für Cyprian „ist das Bußinstitut ein Sakrament, wenn auch
noch nicht ganz im heutigen Sinne, so doch nicht allzu sehr davon
verschieden" (S.120), während „die kirchliche Rekonzilia-
tion für Novatian in gar keiner Weise eine Wirkung ex operc
operato hat, die Cyprian in irgendeiner Weise eben doch in ihr
findet" (S.119).

Die Proben genügen. Das in dem Buch entworfene Bild von
dem Häretiker Novatian, eler „wohl nie so etwas wie eine Erleuchtung
durch den Glauben erfahren" hat (S. 131), verzerrt
die geschichtliche Wirklichkeit der Gestalt Novatians, aber auch
der Kirche des dritten Jahrhunderts, soweit wir auf Grund der
vorhandenen Nachrichten urteilen können. Auch Novatians
Gegner, auch Cyprian, waren von einem „harten Moralismus
und Legalismus"4 getragen, und wie wenig die Erscheinung des
Novatianismus erklärt wird, wenn man in der beschriebenen
Weise ein der kirchlichen Überlieferung entfremdetes Individuum
konstruiert, lehrt ein Blick in die Zeit: Männer wie Hippolyt
, Tertullian, Fabius von Antiochien und nicht zuletzt Cyprians
aufschlußreicher Brief an Antonian v.J. 251 (Ep.55) verraten
aufs deutlichste, daß Novatian in einer Tradition steht und
sie erneuert, die später bei Melitianern und Donatisten aufs neue
virulent wird und nie ganz ausstirbt, wenn auch der von Kallist
repräsentierten Richtung die Zukunft gehört. Wie die „laxere"
Haltung Kallists und Cornelius' von Cyprian und anderen aufgenommen
und als „evangelischere" verstanden wird, wie sich
damit die Anschauung vom Wesen der Kirche wandelt, - das
zu sehen und zu beschreiben, ist eine ernste Aufgabe des Historikers
. Nur darf man die Ereignisse nicht an Maßstäben messen,
die erst später aufgestellt wurden, sondern muß sich bemühen,
den geschichtlichen Vorgang möglichst unentstellt zu erfassen.
Wie es mit Novatian und seinen Gegnern, wie es mit den Anfängen
des Bußinstituts wirklich steht, ist in langwieriger Auseinandersetzung
einigermaßen geklärt worden. Es verdrießt, wenn
man sehen muß, daß in der vorliegenden Arbeit, die in einer
vornehmen Schriftenreihe Aufnahme gefunden hat, von alledem
nur oberflächlich Kenntnis genommen und eine wirkliche Auseinandersetzung
nicht geführt wird. Man kann nur hoffen, daß
die ausgehobenen Stellen dem Kundigen genug sagen und die
teils überholten, teils dilettantischen Ausführungen nicht Verwirrung
stiften. Auch von den Partien, auf die. sich dieses Urteil
nicht erstreckt, gilt, daß sie nichts enthalten, was man nicht
bereits wußte.

Tübingen Hans-Dietrich Altendorf

1 H.Koeh, Novatianus, in: Pauly-Wissowa-Kroll, Realencyklopä-
die der klassischen Altertumswissenschaft, Bd. 17,1, Stuttgart 1936
Sp.1152.