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Ausgabe:

1970

Spalte:

613-615

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Wintzer, Friedrich

Titel/Untertitel:

Die Homiletik seit Schleiermacher bis in die Anfaenge der 'dialektischen Theologie' in Grundzuegen 1970

Rezensent:

Winter, Friedrich

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fertig zu überspringen versuchen", sie „aber auch nicht unnötig
überbewerten" (S. 39). Bei der Taufe eines Erwachsenen
könnte sie als Bekenntnis verstanden werden, das öffentlich
seine Zugehörigkeit zur Gemeinde bewußt macht. Dabei
muß aber auf jeden Fall der Eindruck vermieden werden, „als
würde alles das, was der Erwachsene als einer dem Evangelium
schon Glaubender bereits empfangen hat, nun erst zu
einer ihm zugeeigneten Wirklichkeit" (S. 40f.). Die Säuglingstaufe
sollte dagegen zum Ausdruck bringen, daß der
Täufling „zwar Kind seiner Eltern, aber zugleich Gottes Geschöpf
" und „durch Jesus Gottes Kind ist" (S. 41 vgl. S. 42).
Die Unterweisung nach der Taufe hat dann den Heranwachsenden
immer neu auf diesen Weg zurückzurufen. Sie erfüllt
damit weitgehend die Funktion der neu testamentlichen Taufaussagen
, die ja meist Getaufte auf ihr Getauft-Sein anreden.
Insofern ist die Säuglingstaufe nach M. dem Neuen Testament
näher als die Erwachsenentaufe. Man verfiele aber
„einer unevangelischen Gesetzlichkeit", wollte man die
„christliche Erziehung" zur Vorbedingung für die Taufe machen
. Die in der Säuglingstaufe bezeugte Tatsache, „daß das
Kind Geschöpf Gottes ist und also Gott gehört, bleibt von
dem Erfolg (sc. der christlichen Erziehung) unberührt"
(S. 42).

M. schließt mit dem Hinweis, daß noch viel theologische
Arbeit zu erledigen ist und darum im gegenwärtigen Augenblick
noch keine Entscheidungen gefällt werden sollten, meint
aber doch schon die Prognose „wagen" zu können: „Es wird
sieh herausstellen, daß es" zwischen Kindertaufe und Er-
wachsenentaufe „kein Entweder-Oder gibt" (S. 45).

Man wird M. fragen müssen, ob seine Feststellungen zur
('.(•schichte der Taufe ganz so sicher sind, wie er annimmt,
und ob der kausative Sinn der Taufe, auf den Paulus solchen
Wert legt und den auch M. offensichtlich nicht aufgeben will
(S. 42), gewahrt werden kann, wenn die Taufe doch nur ein
von der ersten Kirche zufällig übernommener Brauch ist, den
in.iii erst nachträglich mit christlichem Inhalt gefüllt hat.

Brandenburg Gottfried Forck

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Wintzer, Friedrich: Die Homiletik seit Schleiermnclier bis in
die Anfänge der ,dialeklischen Theologie' in Grundzügen.

Göttingen: Yandenhoeck & Ruprecht [1969]. 231 S. gr. 8°
= Arbeiten zur Pastoraltheologie, hrsg. v. M. Fischer u.
R. Frick, 6. Kart. DM 28,-.

Die Arbeit, eine kaum veränderte Habilitationsschrift aus
Göttingen, ist „aus dem Interesse an der sogenannten Re-
formhomiletik um 1900 und ihrem Verhältnis zu dein Neii-
ansatz in der Predigtlehre nach dem 1. Weltkrieg hervorgegangen
" (S. 11). Es ergab sich daraus die Rückfrage nach der
Homiletik des 19. Jahrhunderls. El war eine „Blütezeit" der

Homiletik. Sie wird in einem ersten, besonder« ausführlichen
Teil geschildert (S. 13—118). Vf. geht von Schleiermacher aus,
übersieht aber dabei nicht die originellen Arbeilen von Alexander
Schweizer, der besonders liebevoll und abgewogen dargestellt
wird, C. I. Nitzsch, Ph, K. Marheineke und Theodo-
sius Harnaok. Dann wird deutlich gemacht, daß der Begriff
der Kultpredigt sehr verschiedene Homilctiker — etwa F. L.
Steinmeyer und J, Smend — einI und doch zugleich auf G rund
verschiedener inhaltlicher Bestimmung trennt. Eine vorschnelle
Polemik gegen den Begriff ist nach dieser differenzierten
Darlegung nicht mehr möglich. Daß die Homiletik vom
Dienst am Wort Gottes als seinem Zentrum auszugehen hat,
wiril zwar für eine Richtung im 19. Jahrhundert nachgewiesen
, aber diese war weniger einflußreich (C. Hanns, G. A. F.
Sickel, R. Stier, Th, Christlich). Chr. Palmer und P. Kleinen
sind als gute Praktiker nicht recht einzuordnen und werden
darum gesondert behandelt. Ein Nachtrag geht dann noch

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auf die besonders von der Rhetorik geprägten Predigttheorien
ein (H. A. Schott, F. Theremin, A. Vinet), auf deren
Abhängigkeit von der Homiletik der Aufklärung verwiesen
wird. Eine Zusammenfassung hebt noch einmal die betont
wissenschaftliche und theologische Leidenschaft in der homiletischen
Arbeit dieser Epoche hervor.

Zwischen 1890 und 1920 zeigen sich Neuansätze (S. 119—
183). Die „moderne Predigt" fordert angesichts der Entfremdung
der Massen von der Kirche eine spezielle Predigt,
die auch auf gesellschaftliche Verhältnisse — Dorf-, Stadt-,
soziale Predigt — eingehen soll. Der Hörer rückt in das Blickfeld
. Darum muß zeitgemäß, volkstümlich und unter Beachtung
der Erkenntnisse der Psychologie gepredigt werden. Der
Prediger hat als freie Persönlichkeit seine religiösen Erlebnisse
wahrhaftig anzubieten. Die Gemeinde soll erzogen werden
und Hilfen zur Lebensbewältigung erhalten. Diese und
ähnliche Gedanken verbinden sich mit Namen wie P. Drews,
0. Baumgarten und Friedrich Niebergall. „Anfänglich waren
die Ritschlianer die Wortführer. Seit ca. 1900 wurde auch die
religionswissenschaftliche Methode in der Homiletik angewandt
" (S. 180). Die Parallelen zu heutigen Strömungen in
Praktischer Theologie und Kirche läßt Vf. deutlich durchschimmern
. Abschließend macht er sich das Urteil F. Rittelmeyers
zu eigen, das Ringen um Weltnähe sei in der Homiletik
mit einem „Verlust an theologischer Tiefe" (S. 182) erkauft
worden.

Der letzte Teil, der am kürzesten ausgefallen ist (S. 184—
216), schildert „Die Neubesinnung auf Auftrag und Aufgabe
der Predigt in der frühen ,dialektischen Theologie'". Hier
wird die Quellenlage übersichtlicher und bekannter: Neben
K. Barth kommen E. Thurneysen, F. Gogarten und R. Bult-
mann zu Wort. K. Fezers homiletische Leistung wird nicht
sehr hoch eingeschätzt. Als erste Predigtlehre unter neuem
theologischen Vorzeichen wird die Erste Auflage der Homiletik
von W. Trillhaas besprochen. Während die ,dialektische
Theologie' „sich fast ausschließlich auf die Fragen der prinzipiellen
Homiletik beschränkt" (S. 214) hat, stellt W. Trillhaas
auch die menschlichen Probleme homiletischer Arbeit
heraus. Vf. meint, daß die Fragen der speziellen Homiletik
heute nicht mehr übergangen werden dürfen, ohne daß der
evangelische Grundsinn aller Predigt aufzugeben ist.

Es ist u.W. erstmalig, daß eine so umfangreiche Epochen-
darstellung zur Geschichte der Homiletik — im Unterschied
zur Geschichte der Predigt — vorliegt. Eine Fülle von Quellen
sind verarbeitet worden, die besonders die seit einem Jahrhundert
immer mehr zunehmende praktisch-theologische
Aufsatzliteratur berücksichtigt. Vf. bemüht sich mit großem
Einfühlungsvermögen um ein abgewogenes, Positiva und
Grenzen der verschiedenen homiletischen Systeme beachtendes
Urteil, ohne dabei einem homiletisch engen Denken
verpflichtet zu sein. W. Casparis Urteil zur Homiletik des
19. Jahrhunderts kann er verschiedentlich zustimmen (S. 117,
213). Oft platzt er fast vor interessanten Beobachtungen und
Urteilen, wie auch die immer wiederkehrenden Anmerkungen
„i. ü." zeigen.

Fragen sind die, ob Schleiermachers Verdienste um die Homiletik
des 19. Jahrhunderts so groß sind, daß man ihn an den
Anfang der Darstellung setzen sollte; oh die Homiletik der
Aufklärung hinreichend gezeichnet ist, wenn sie fast nur unter
dem Aspekt der Bhclorik und des 11örerhedürfnisses gesehen
wird; ob F. L. Steinmeyer wirklich eine so ausgeprägte
Neigung zum Biblizismus hat (S. 51); ob die Homiletik der
Erweckung nicht doch wirksamer war, als es deutlich wird. —
Der 2. und 3. Teil wirken methodisch und darstellungsmäßig
gesehen geschlossener, während man im Blick auf den 1. Teil,
der fast ein ganzes Jahrhundert homiletischer Arbeit über-
si hauen will, fragt, ob Stoff- und Einteilungsgesichtspunkte
im ganzen, aber auch die Herausarbeitung der homiletischen
Systeme im einzelnen, immer abgewogen genug gelungen
sind. Üb die gewisse Neigung, die Vf. freilich nur zurückhaltend
und behutsam ausspricht, die Homiletik zwischen Auf-

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 8