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Ausgabe:

1970

Spalte:

612-613

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Marxsen, Willi

Titel/Untertitel:

Darf man kleine Kinder taufen? 1970

Rezensent:

Forck, Gottfried

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Jarisierten Menschen klarzumachen, daß ilie Predigt vom Heil
aller Menschen auch ihn angeht" (S. 61), uud sein „Grund-
anliegen" sei eine „Entnaivisierung des Christentums" (S.
206); so wird die Glaubcnsüberzeiigung, daß „mit Jesus Christus
" „Gott hegegenhar" ist und der Mensch sich „von Gott
hejaht und gelieht" und „angenommen" wissen kann (S.339),
mit Sätzen von Dorothee Solle erläutert, die das glatte Gegenteil
besagen; und das bekannte Wort von Angelus Sile-
sius: „War Christus tausendmal in Methlehem geboren..."
(aus dem das „in Bethlehem" heiausgestriehen ist) wird eine
„existentiale Interpretation des (sc. Weihnacht!») Festgedan-
kens" (S. 102) genannt.

Der wichtigste, II. Teil des Buchet bringt eine „Beschreibung
des Magischen im gegenwärtigen Christentum" (fast
ausschließlich dem römisch-katholischen) in folgenden Abschnitten
: 1. Zur Wortmagie (S. 47ff.). „Wir beginnen beute;
immer deutlicher zu erfassen, daß eine derartige Sicht der
Heiligen Schrift (sc. im Sinn der Verbalinspiration) die geschichtliche
Komponente und damit die menschliche Seite
lies Gottetwortes unzulässig übersieht. Wir können von einer
neu durchdachten, anthropologisch angesetzten Theologie her

das damalige lloltes- und Menschenbild kritisch analysieren,
relativieren und die dialektische Spannung richtig sehen,
werten und aufrechterhallen, die nötig ist. um den tatsächlichen
Relationen zwischen (Iott und Mensch hinsichtlich der
Bibel gerecht zu werden" (S. 49). Das magische Verhalten in
diesem Sektor beruhe darauf: „Eine geschichtlich gewordene
t iröße, die mannigfaltigen Faktoren verpflichtet ist, wird absolut
gesetzt, von ihrem Wurzelgrund losgelöst und damit in
eine Wirkhchkeilsebene versetzt, die den Boden der Geschichtlichkeit
verlassen hat" (S. 50). 2. Zur Anitsniagie (S.
66ff.). Viele Einzelzüge führen an den Punkt heran, daß „der
Priester" „in der Folge derartigen Verständnisses allzuleicht
zum Routinier, zu einer Art lleilsmaschine, zum Vertreter
religiöser Waren" (S. 72) wird. Die Auffassung, es sei entscheidend
, daß der Priester die Sakramente gültig vollzieht
, und nicht, wie er sie persönlich spendet, wird von
Hierzenberger bedenkheherweise zur Magie gerechnet (S. 71).
3. Zur Sakramentsmagie (S. 78ff.). „Die Identifizierung von
Reich Gottes (Heil) und Kirche" ist „ein Mißverständnis, das
durcli viele Jahrhunderte geschichtsmäehtig geworden ist"
(S. 119). Iiier werden offenkundige Mißstände aufgedeckt;
aber daß ein über das gesprochene Wort und das rationale
Verständnis hinausgehender Sinn vorliegen könnte, ist Hierzenberger
verborgen. Die gegenwärtige Form der Kindertaufe
sind „geheimnisvolle Zeremonien, an einem praktisch noch
personlosen Wesen vollzogen, dem etwas vermittelt werden
soll, was es selbst nocli gar nicht aufnehmen kann" (S. 124),
und „ignoriert" „die anthropologisch spezifisch geartete Ent-
wicklungsphase des Kleinkindes" (S. 125). 4. Zur Gebetsmagie
(S. 175ff.). Daß das Beten, von dem der Christ „immer
schon ein ganz bestimmtes Vorversländnis" gehabt habe,
„das erst allmählich an die christliche Sicht angeglichen werden
mußte" (S. 284), für magischen Mißbrauch anfällig ist,
zeigt Hierzenberger an vielen Beispielen. Doch gehen die Degradierung
des Bittgebets überhaupt unter Mißverständnis
von IThess 5,17 (S. 201), die Ablehnung des „offiziellen" Betens
unter Berufung auf Mt 18,19 (S. 285) und die Abwertung
der Gebctshaltungen und Gebetsgesten zu weit. 5. Zur Moralmagie
(S. 202ff.) rechnet Hierzenberger u.a. die Verbindung
der Kirche mit dem Naturrecht und die Verdinglichung der
Sünden. 6. Unter dem Titel „Zur Theologie-Magie" (S. 222ff.)
stellt Hierzenberger recht scharfsinnig die in die Theologie
eingedrungenen magischen und andere nicht glaubensgemäße
Elemente zusammen, antike Vorstellungen wie der Dämonenglaube
, „der für uns nicht mehr in gleicher Weise verfügbar
ist" (S. 250), einbegriffen. Daß Hierzenberger immer wieder
über das Ziel hinausschießt, kann nicht schaden. Daß ihm das
seelsorgerliche Einfühlungsvermögen abgeht, das manche von
ihm abgelehnten Anschauungen und Haltungen großzügig
gelten lassen würde, tut nichts zur Sache. Gefährlich aber ist
es, daß Hierzenbergers Entmagisierung oft einer Fnttran-

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szendentisierung nahekommt und das göttliche Gegenüber zurücktreten
läßt, was er bestimmt nicht beabsichtigt.

Ittrlin Wilhelm Knevel«

Marxsen, Willi: Darf man kleine Kinder taufen? Fine falsche
Fragestellung. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G.
Mohn [1969). 45 S. 8° = Aspekte moderner Theologie, 12.
Kart. DM 4,80.

Die Arbeit vermittelt wie alle Hefte dieser Reihe Informationen
für Nichttheologen. M. beginnt entsprechend mit einer
Bestandsaufnahme der heuligen Taufpraxis und ihrer Problematik
in den Gemeinden (S. 5—13) und überprüft dann die
wichtigsten Argumente in der Taufdebatte (S. 14—27). Er
kommt dabei zu folgenden Resultaten: 1. Kindertaufe ist
keine „Vergewaltigung", denn „in unzählig vielen Fällen
müssen die Fltern Entscheidungen für ihr Kind treffen", die
I's dann später .,im Maße der A IlsbUdung seines \ illcns" wieder
rückgängig machen kann (S. 16). 2. üb die erste Christenheit
die Kindertaufe geübt hat oder nicht, ist theologisch uninteressant
, denn „ein Brauch ist nicht schon deswegen in der
Kirche verbindlich, weil er in der Urgemeinde geübt w urde"
(S. 18f.). 3. Im Taufbefehl (Mt 28,18ff.) ist „eine zur Zeit
des Matthäus geübte Praxis dem Auferstandenen in den
Mund gelegt worden" (S. 20). „Das gängige Sakramentsver-
ständnis kann" also „zur Begründung der Taufe nicht benutzt
werden" (S. 22). 4. Die Aussagen über den Inhalt der
Taufe sind im Neuen Testament so verschieden, daß sie sich
„nur schwer oder gar nicht harmonisieren lassen" (S. 23). So
braucht man „sich nur die geeigneten Stellen herauszusuchen
und wird immer ,Beweise' für seine Meinung finden" (S. 26).

In zwei weiteren Abschnitten versucht M. die Antwort auf
die Frage nach der rechten Taufe „wenigstens anzubahnen".
Er tut das, indem er auf zwei Punkte hinweist, „denen man
bisher zu wenig . . . oder gar keine Aufmerksamkeit geschenkt
hat": „die Geschichte der Taufe" und ..die Richtung,
auf die hin die meisten neutestamenlliehen Taufaussagen gemacht
werden" (S. 27). Zur Geschichte führt er als „sieher"
aus: Es gab „in der Umwelt der frühen Kirche eine hülle von
Religionen..., die den Brauch des Taufens kannten" (S. 27 f.).
Jesus ist von Johannes gelauft worden, hat aber selber nicht
gelauft und den Jüngern keinen Taufbefehl gegeben. Paulus
fand die Taufe in der Gemeinde schon vor. M. schließt daraus:
„der Taufbrauch ist in der Gemeinde nach Jesu Tod und vor
der Bekehrung des Paulus aufgekommen" (S. 28). Was nun
die Richtung der Taufaussagen anbelangt, so fällt auf: In
Rom 6,lff., IKor 10,1 ff. und 1 Kor 6,11 geht es Paulus nicht
um die Taufe, sondern um die Ethik, und in 1 Kor 12,12 f. und
I Kor 1,11 ff. um die Einheit (S. 30ff.). Paulus benutzt also jeweils
im Zusammenhang seiner Ausführungen „argumentierend
das Getauft-Sein der Leser" und führt sie damit „zu
einein besseren Verständnis ihres Getauft-Seins" (S. 34).
Paulus braucht die Taufe kognitiv, aber sie hat bei ihm einen
kausativen Sinn (S. 35). Auffällig ist allerdings, daß sie nach
Gal 3, 26f. „nichts anderes bewirkt als der Glaube". Erinnert
man sich aber daran, daß die Taufe aus der religiösen Umwelt
als Brauch übernommen worden ist, „der schon lange bekannt
und mit verschiedenen Inhalten gefüllt war", dann
leuchtet es ein, daß man nur die Verständnisse auf die christliche
Taufe übertrug, die „sich mit dem christlichen Glauben
decken ließen oder ihn zum Ausdruck bringen konnten" (S.
36). Daraus ergibt sich der Schluß: „Die Taufe als christlicher
Brauch konnte nie mehr und auch nichts anderes geben, als
das Evangelium schon als Gabe gegeben hatte" (S. 37). M.
kann deshalb „in einer gewissen Zuspitzung formulieren: Es
würde der Kirche nichts fehlen, wenn sie die Taufe nicht
hätte, sie auch nicht weiter übte. .." (S. 38).

Aus dem Dargelegten zieht M. folgende Konsequenzen:
Man sollte die kirchliche Tradition der Taufe „nicht leicht-

Theologische I.ileraturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 8