Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1970

Spalte:

601-604

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Martin

Titel/Untertitel:

Wiedergeburt und neuer Mensch 1970

Rezensent:

Boor, Friedrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

601

„Abhandlungen" unterteilt. Einige Zahlen verdienen Interesse
: Während für das 16. Jahrhundert über 700 Schriften genannt
werden, die mit ihren ausführlichen Titel- und Inhaltsangaben
mehr als die Hälfte des ersten Bandes in Anspruch
nehmen, werden für das 17. Jahrhundert nur etwa 200 und
für das 18. Jahrhundert über 600 Titel verzeichnet. Für das
19. und 20. Jahrhundert werden je etwa 1300 Titel nachgewiesen
, davon über 160 im Gedenkjahr 1960. Die kommentierenden
Zusätze zu den bibliographischen Daten reichen
von knappen, summarischen Inhaltsangaben oder ergänzenden
bibliographischen Hinweisen (Beschreibung des Druckes.
Fundort, insbesondere bei älteren Schriften) bis zu ausführlichen
Inhaltsverzeichnissen einschließlich Zitaten und zusammenfassender
Charakteristik der jeweiligen Beurteilung
Melanchthons.

Für die Melanchthonforsehung. aber auch die reformationsgeschichtliche
Forschung insgesamt bedeutet das Werk eine
außerordentlich wertvolle Hilfe. Dem Vf. und allen, die am
Zustandekommen des Werkes mitwirkten, gebührt in hohem
Maß Anerkennung und Dank. Zugleich ist der Wunsch auszusprechen
, daß die in Aussicht gestellte forschungsgcschicht-
liche Auswertung und Erschließung des vorgelegten Verzeichnisses
recht bald zugänglich werden möge.

Berlin Rudolf Mau

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Schmidt, Martin: Wiedergeburt und neuer Mensch. Gesammelte
Studien zur Geschichte des Pietismus. Witten:
Luther-Verlag 1969. 439 S. gr. 8° = Arbeiten zur Geschichte
des Pietismus, im Auftrage der Historischen Kommission
zur Erforschung des Pietismus hrsg. v. K. Aland,
E. Peschke u. M. Schmidt, 2. Lw. DM 49,-.

Der vorliegende Band vereinigt 15 Spezialstudien des um
die Erforschung des Pietismus hochverdienten Verfassers. Es
handelt sich mit zwei Ausnahmen um bereits erschienene Aufsätze
aus den Jahren 1951—1967, die zumeist in überarbeiteter
Form vorgelegt werden. Ein weiterer Sammelband soll in
Kürze folgen. Es ist außerordentlich zu begrüßen, daß diese
Studien, die z.T. als Marksteine in die Geschichte der Pietismusforschung
eingegangen sind, nun in dieser auch drucktechnisch
vorzüglich gestalteten Ausgabe greifbar sind.

Sch. gebt in seinen Untersuchungen in der Begel so vor,
daß er an Hand einer Schrift die wesentlichen Aussagen eines
Autors heraushebt und sie abschließend zu einem Gesamturteil
verdichtet. Eindrücklich« Beispiele für den Erfolg dieser
Methode sind die Aufsätze über „Spencrs Pia Dcsideria"
1951 (S. 129—168) und ,,Christinn Scrivers »Seclenschntz«"
1965 (S. 112—128). Sch. ist sich der Gefahr der Einseitigkeit
bei dieser Art der QueJlenauswahl durchaus bewußt und hat
sich bemüht, zumindest in den Anmerkungen auch andere
Schriften zum Vergleich heranzuziehen. Doch werden durch
die Wahl einer Schrift, bzw. die Betonung einer Schriften-
griip|ie, von vornherein bestimmte Akzente gesetzt. So ist die
unterschiedliche Deutung Speners in der Forschung auch
nach Meinung Sch.s wesentlich in der „Bewertung der Quellen
und der entsprechenden Auswahl begründet" (S. 192,
Anm. 101). Trotzdem ist es zu begrüßen, daß der Leser durch
die eingehende Analyse und die reichen Belege in den Anmerkungen
in fast allen Beiträgen an die Quellen herangeführt
wird, zumal Sch. oft noch unbekanntes oder in der Forschung
nicht genügend berücksichtigtes Material sprechen
läßt.

Mit „Wiedergeburt und neuer Mensch" sind die für Sch.
entscheidenden Sachthcmen genannt. Sie werden vor allem
in den beiden in ihrer Art klassisch zu nennenden Aufsätzen
über „Speners Wiedergeburtslehre" 1951 (S. 169—194) und

602

über die „Teilnahme an der göttlichen Natur" 1958 (S. 238—
298) umfassend dargestellt. Ohne Zweifel sind damit die
Grundlagen für ein in sich geschlossenes, neues Bild der Geschichte
des Pietismus geschaffen worden. Dabei werden gewisse
Unterschiede in der Akzentuierung beachtet werden
müssen. So weist Sch. in dem Festvortrag über „A. H. Fran-
ckes Stellung in der pietistischen Bewegung" 1963/66 (S.
195—211) einerseits darauf hin, daß Francke in seiner Bekehrung
„die Wiedergeburt, die Mitte des pietistischen Denkens
und Trachtens, an sich selbst in voller Kraft erfahren" habe
(S. 201). Er konstatiert ferner ein „selbständige(s), im Inhaltlich
-Dogmatischen, das heißt: in der Wiedergeburt als Zentralanschauung
, übereinstimmcnde(s) Verhältnis zu Spener"
(S. 203). Anderseits sieht er Unterschiede und vermutet, daß
bei Francke „eine eigenartige Verbindung zwischen dem lutherischen
Rechtfertigungs- und dem pietistischen Wiedergeburtsgedanken
" vorliege, wobei sich „der letztere ... behauptet
" (S. 204f., vgl. S. 208f.). In dem Aufsatz über „A. H.
Franckes Katechismuspredigten" 1966 (S. 212—237) macht
Sch. dann aber selbst mehrfach darauf aufmerksam, daß der
Terminus „Wiedergeburt" überhaupt nicht fällt (S. 220,
221f., 224). Trotzdem spricht er von der „beherrschende(n)
Stellung der Wiedergeburt" bei Francke (S. 218, vgl. S. 232)
und meint, daß „der Sachverhalt und der Sachzusammenhang
klar und eindeutig da" wären (S. 220), bzw. der Begriff
„unterirdisch anwesend" sei (S. 222). Sch. stellt dabei die Begriffe
„Wiedergeburt" und „Bekehrung" wie selbstverständlich
zusammen (vgl. S. 201, 217, 232 u.ö.). Hier müßte man
m. E. stärker differenzieren, da Francke in seinem Bekehrungsbericht
niemals den Begriff „Wiedergeburt" verwendet
und auch in den Katechismuspredigten das Begriffspaar
„Buße — Bekehrung" bevorzugt. Damit werden Akzentverschiebungen
signalisiert, durch die alle Aussagen Franckes
über die Wiedergeburt im Ansatz eine andere Ausrichtung
erhallen.

Das eindrückliche Bild des Pietismus, das Sch. in seinen
Grundzügen an Spener und Francke entwickelt, wird ergänzt
durch den Aufsatz „Der ökumenische Sinn des deutschen Pietismus
und seine Auswirkungen in der Bibelverbreitung" 1960
(S. 342—356) und den erstmals abgedruckten Festvortrag
über „Gottfried Arnold — seine Eigenart, seine Bedeutung,
seine Beziehung zu Quedlinburg" 1966 (S. 331—341), der
ebenso wie der bereits genannte Vortrag zum Franckejubi-
läum leider ohne Quellenbelege geblieben ist. Weitere Wortführer
des Pietismus, aber auch sogenannte Nebenfiguren,
kommen in den übrigen Aufsätzen zu Wort oder werden in
Anmerkungen zum Vergleich herangezogen, wie z.B. H. Ammersbach
, A. W. Böhme, A. Fritsch, J. Lange, H. W. Ludolf,
Fr. Chr. Oetinger, J. W. Petersen und Frau, J. J. Rambach,
J. C. Schade, Chr. M. Seidel, J. H. Sprögel und Frau, G. Ter-
steegen, N. v. Zinzendorf u.a. (vgl. S. 24, 129, 154ff., 183f.,
254ff„ 279ff., 321ff. u.ö.). Umgekehrt werden Arnold, Francke
und Spener immer wieder auch in anderen Zusammenhängen
erwähnt, wobei man, wie etwa zu den Predigten Speners
über die Wiedergeburt, weitere Einzelheiten erfährt (vgl.
S. 24, 197ff„ 265ff„ 300B. u.ö.). Leider fehlen Personen- und
Sachregister, die diese Fülle von Hinweisen voll erschließen
würden. Vielleicht kann hier der geplante zweite Band Abhilfe
schaffen.

Das besondere Verdienst Sch.s liegt ohne Zweifel darin,
daß er seine Ausführungen immer in einen weitgespannten
theologie- und geistesgeschichtlichcn Rahmen stellt. Seine
Wertungsskala reicht von der Antike und dem Urchristentum
über die alexandrinische Theologie und die mittelalterliche
Mystik bis zu der Aufklärung, dem deutschen Idealismus und
den Anfragen der neueren und neuesten Theologie. Auch hier
würden Personen- und Sachregister den ganzen Reichtum der
Gesichtspunkte sichtbar machen!

Einen breiten Raum nimmt dabei die Frage nach dem Verhältnis
von Reformation, Orthodoxie und Pietismus ein. In
dem Aufsatz über „Luthers Vorrede zum Römerbriefi m Pie-

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 8