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Ausgabe:

1970

Spalte:

589-595

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Die mittelalterliche Kirche 1970

Rezensent:

Beyschlag, Karlmann

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 8

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führt auf die Frage, wie durch die Überwindung der Affekte
durch den vot>£ in dem von Christus angenommenen Körper
auch die anderen Menschen von der Herrschaft der Affekte
befreit werden. Die Lösung des A.: Gott erweist sich in der
Person des Inkarnierten als Herrscher über die Affekte
(S. 242). So einen sich der ontologische und der ethische
Aspekt der Christologie: als inkarnierte Vernunft ist Jesus die
wahre Tugend, dadurch, daß er votjg evaapnog ist, wird das
Gute nachahmbar und lehrbar.

Wer den Voraussetzungen des Vf.s folgt, mag die in der
Christologie des A. gegebene Bestimmung des offenbarenden
Gottes als der inkarnierten Vernunft als Antwort auf die Frage
nach der Möglichkeit der Gotteserkenntnis begreifen. Er
gibt ihr insofern eine moderne Wendung, indem er sie mit der
1 lerrschaft Gottes zusammengehen läßt, die nur dann unumschränkt
ist, wenn sie alle Geschöpfe umfaßt. Es verdient Respekt
, wenn er zum Erweis dafür, daß die Frage nach der Anwesenheit
Gottes in der Sphäre des immanenten Handelns an
die Tradition der klassischen Philosophie herangetragen werden
darf, Alexander von Aphrodisias, einen (nichtchrist-
liclien) Aristoteliker des 2. nachchristlichen Jahrhunderts bemüht
(S. 240ff.). Es weist aber auch auf die Grenzen dieser
Spielart rationaler Theologie.

Der Autor steht dem darin beschlossenen Grundanliegen
des A. mit unverhohlener Sympathie gegenüber. Er hält sogar
eine entsprechend der gewandelten Situation unserer Zeit
modifizierte Erneuerung einer Fragestellung für möglich.
Seine ebenso gründliche wie gedankenreiche Studie läßt uns
die Problematik einer solchen „Christologie von oben" freilich
um so deutlicher empfinden.

Halle/Saale Wnltgang Wiefel

1 Lietzmann Nr. 14, 22, 26, 27, 45, 73, 79, 95, 97, 98, 100.

« Lietzmann Nr. 18, 44, 46, 61, 101-104.

■ Studia Patristica III /TU 78, 1961 S. 324-330.

' frg. 32

' S. 140f.; vgl. bei Gregor von Nyssa a.a.O. p. 140,3ff.; 146,27.
• Hier wird eine Interpretation des Aristoteles, besonders seiner
Ethik vorausgesetzt, wie sie von P. J. Allan vertreten wird.

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Jedin, Hubert: Handbuch der Kirchengeschichte hrsg. Bd.
III: Die mittelalterliche Kirche, Erster Halbband: Vom
kirchlichen Frühmittelalter zur gregorianischen Reform.
Von F. Kempf, H.-G. Beck, E. Ewig, .1. A. Jungmann.
Freiburg-Basel-Wien: Herder 1966. XXXIX, 568 S. gr. 8°.

Seit der Besprechung des 1. Bandes des „Handbuches der
Kirchengeschichte" in dieser Zeitschrift (Jg. 91, 1966 Sp.
41ff.) sind inzwischen zwei weitere Gesamtbände (III Mittelalter
, IV Reformationszeit) erschienen, von denen derjenige
über das Mittelaller jedoch angesichts der Fülle des Stoffes in
zwei — selbst noch sehr umfangreiche — Ilalhbände (von insgesamt
über 1400 Seiten) zerlegt werden mußte. Hält man
diesen Umfang (auch Bd. IV hat noch einmal über 700 Seiten)
mit den schmalen Lieferungen des von K. D. Schmidt"}1 und
E. Wolf herausgegebenen Handbuches „Die Kirche in ihrer
Geschichte" (zum Mittelalter bisher etwa 240 Seiten) zusammen
, wobei eiti großer Teil des evangelischen Werkes auf Li-
teraturangaben und Fußnoten entfällt, so darf das katholische
Gegenstück schon im Blick auf die Verschiedenheit seines
Volumens einen eigenständigen Platz unter den derzeitigen
Gesamtdarstellungen zur Kirchengeschichte beanspruchen
. Vieles, was auf evangelischer Seite zu kurz kommt oder
fehlt, wird der nach breiterer Unterrichtung suchende Leser
hier linden, zumal die ausführlichen Register überall eine
rasche Orientierung gestatten.

Der hier zur Besprechung anstehende erste Halbband zum

Mittelalter behandelt in zwei ungleichen Teilen von je 9 bzw.
3 Unterabschnitten die gesamte Kirchengeschichte vom Beginn
der Karolingerzeit bis zum Ausgang des Investiturstreites
. Die gewaltige Arbeit wird diesmal von vier Autoren getragen
, von denen aber nur zwei, nämlich E. Ewig und Fr.
Kempf, als Hauptautoren zu betrachten sind, Ewig mit der
Darstellung der Karolingischen Epoche in 4 Abschnitten,
Kempf mit dem Ottonisch-Salischen Zeitalter bis zu Gregor
VII und Urban II. Weniger umfangreich ist dagegen der auf
3 Abschnitte verteilte Beitrag von H.-G. Beck zur byzantinischen
Kirchcngeschichte seit dem Bilderstreit und — leider —
am kürzesten die Darstellung der gottesdienstlich-frönimig-
keitsgeschichtlichen Komponente von J. A. Jungmann SJ
(S. 341-64).

Der vorliegende Band ist also ein Team-Produkt; die
Hauptfrage muß daher die sein, wie weit es gelungen ist, aus
den Beiträgen der einzelnen Verfasser ein einheitliches Ganzes
zu schaffen. Schon im Vorwort zu Bd. I hat Jedin die Erkenntnis
ausgesprochen, daß heute „kein Einzelner mehr imstande
sei, die ganze Kirchengeschichte in der geplanten Ausführlichkeit
darzustellen" (S. V). Wie unerbittlich richtig dieser
Satz ist, beweist der vorliegende Halbband geradezu aufs
Wort, sofern nämlich die relativ kurzen Beiträge der beiden
Spezialauloren Beck und Jungmann in Form und Inhalt das
Gediegenste sind, was der Band zu bieten hat, während die
Referenten der kirchengeschichtlichen Großräume, Ewig und
Kempf, schon rein umfangmäßig in weit schwierigerer Lage
sind. Was zunächst die Arbeiten von Beck und Jungmann —
trotz ihres ganz verschiedenen Sachgebiets — gemeinsam auszeichnet
, ist Dreierlei: einmal die Souveränität, mit der beide
.utoren ihr weitgespanntes Wissen darbieten, zweitens die
Beschränkung auf das Wesentliche in der Sache und die flüssige
Klarheit des Stils in der Form, drittens aber — last not
least — die wohltuende Vorurteilslosigkeit, ja kritische Offenheit
, die in einem katholischen Handbuch einfach überrascht.

So stellt z.B. Jungmann im Kapitel „Frömmigkeit" in
aller Klarheit heraus, wie mit dem Hervortreten der „hierarchischen
Linien" im Frühmittelalter auch der „Mittler
Christus im Glanz seiner Gottheit den Blicken einigermaßen
entschwand", während Reliquien-, Heiligen- und Murien-
verehrung als Ersatz ihren Einzug hielten (S. 361 f.). „Das
Christentum hat einen moralistischen Zug und eine düstere
(numlstimmung erhalten." Sicher könnte man in solchem
Zusammenhang noch mehr sagen, als es der Vf. tut — das
Thema Fegfeuer und Höllenangst wird z.B. nicht behandelt
und die Umprägung des Augustinischen Gnadendenkens ins
Straf- und Ablaßdenken tritt nicht eigens hervor — aber dergleichen
vermag den positiven Gesamteindruck kaum wesentlich
zu beeinträchtigen.

Kräftiger noch, ja geradezu fesselnd wirken sodann die
Konturen der byzantinischen Kirchengeschichte, die H.-G.
Beck meisterhaft zu schildern weiß (S. 31—61; 197—218;
462—84). Den Glanzpunkt bildet hier rweifellos die Darstellung
der Gestalt des Photius, genauer: das Gegenüber zwischen
Photius und Nikolaus I, zwei Persönlichkeiten, von
denen der Vf. freimütig sagt, daß sie „beide nicht auf der
Höhe des Hirtenamtes standen, weil sich keiner als ,servus
servorum dei' fühlte" (S. 213). Freilich bleibt das Persönlich-
keitsbild des großen Byzantiners zwiespältig. Was den Kir-
chenpoliliker angeht, so kann sein Versuch vom Jahre 867,
den römischen Papst einfach abzusetzen, nur als „horrende
Fehlleistung" beurteilt werden (S. 213). Auf der anderen Seite
bleibt Photius der universalste Gelehrte seiner Zeit, ja „ein
Theologe von Geschmack" (S. 217), auch wenn er in seiner
trinitätstheologischen Begrifflichkeit „nicht auf der Höhe"
stand (S. 214f.). Ob er einen byzantinischen Universalprimat
anstrebte, ist eine offene Frage. „Uber seine Träume wissen
wir nichts" (S. 216).

Ohne Zweifel liegt das Schwergewicht der Beiträge von
Beck — trotz § 48: „Das innere Leben der byzantinischen
Kirche..." — weitgehend auf dem politisch-kirchenpoliti-