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Ausgabe:

1970

Spalte:

587-589

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Mühlenberg, Ekkehard

Titel/Untertitel:

Apollinaris von Laodicea 1970

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 8

588

.Jesu als Offcnburungsgescheheu (4,14-16; 8,17; 12,18-21;
13,35) oder aber sie sind schon in der Überlieferung mit dein
jeweiligen Geschichtsstoff verhunden gewesen und von Matthäus
nur stärker herausgeholt worden (21,5; 27,9).

Die Arbeit von R. ist zweifellos methodisch sauber angelegt
, gründlich durchgeführt und abgewogen formuliert, bleiben
nur wenige kritische Anmerkungen: 1. Hut sich H. nicht
von seinem begrenzten Untersuchungsfeld her zu der überspitzten
These verführen lassen „für Matthäus war das AT im
ganzen Prophetie" (S. 114) ? Dabei hat er zu wenig gesehen,
daü nach 3,15 und 5,17 das AT auch geforderte Gerechtigkeit
und Gesetz enthält. Jesus bat nach dem Zeugnis des Matth,
diesen fordernden Charakter durch seine Erfüllung für die
Gemeinde nicht aufgehoben, sondern verschürft (5,20). —
2. In der licurteilung der Frage, wie Matth, zu der uns vorliegenden
Textgestalt seiner Zitate gekommen ist, scheint nach
Luge unserer Quellenkenntnis ein abschließendes Urteil nicht
möglieh zu sein. Darum sollte man Ergebnisse nur uls Vermutungen
formulieren. — 3. Auch sonst neigt H. gelegentlich zur
Übernuhme ungesicherter Thesen, sofern sie nicht zu seinem
eigentlichen Beobachtungsfeld gehören (z.B. der These, dult
in 3.17 Jes 42,1 zitiert und das hebräische ,.Ebed" mit „Sohn"
übersetzt sei (S. 123).

Im ganzen aber wird man H.s Untersuchung als einen
dankenswerten Beitrag zur Erforschung der Theologie des
ersten Evangelisten ansehen können.

Berlin Manfred Kurnetzki

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Mühlenhcrg, Ekkehard: Apollinaris von Laodioea. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht [1969]. 257 S. gr. 8° = Forschungen
zur Kirchen- und Dogmengeschichle, 23. Kart.
DM 29,80.

Diese Arbeit ist nicht nur Ehrenrettung einer oft verkannten
Gestalt der Alten Kirche, hinter ihr steht ein theologisches
Programm, das dem aufmerksamen Leser Zug um Zug
deutlich wird. Apollinaris von Laodicea (330—390), dessen
von der Großkirche verworfene Bestreitung eines menschlichen
VOUQ in Christus oft als spitzfindiges Kechenexempel
aufgefaßt wird und dessen umfangreiches scliriftstelleriscbes
Werk untergegangen ist, hat eine Ehrenrettung gewiß verdient
. Die hier auf schwierigstem Felde unternommenen
philologischen, literarischen und dogmengeschichtlichen Untersuchungen
stehen jedoch im Dienste eines beachtenswerten
systematischen Entwurfs. Wer die frühere Arbeit des Vf.s
über die Unendlichkeit Gottes bei Gregor von Nyssa (vgl.
ThLZ 93,1968 Sp.673f.) kennt, stellt fest, daß dieser thematisch
im gleichen Umkreis geblieben ist, seine theologischen
Positionen aber noch schärfer profiliert hat. Das Hauptwerk
des A. kennen wir im wesentlichen durch die Gegenschrift, die
ihm Gregor V. Nyssa gewidmet hat, den sog. Antirrheticus
(opera cur. W. Jaeger 111,1,1958 p. 131-233). Gestalt und
Lehre des A. liefern ein lehrreiches Paradigma für die den
Autor bewegende Frage nach dem Verhältnis von antiker
Philosophie und Theologie und nach der Einordnung der altkirchlichen
Theologie in den Rahmen des spät antiken Denkens.

Nach der grundlegenden historisch und traditionskritisch
ausgerichteten Arbeit von Hans Lietzmann (Apollinaris von
Laodicea und seine Schule I, Tübingen 1904) ist die Forschung
vor allem durch Studien in französischer (M. Richard
und 11. de Riedmatten) und englischer (Raven, Norris) Sprache
bereichert worden. Mit der hierin überarbeiteter Fassung
vorliegenden Mainzer Habilitationsschrift des z.Z. in Clare-
mont/Kalifornien wirkenden Schülers H. Langerbecks und
W. Dannenbergs liegt erstmalig seit längerer Zeit wieder ein
bedeutender deutscher Beilrag zur Apollinaris-Forschung
vor.

Der historische und literarische Ertrug kann nur kurz augedeutet
werden. Die Untersuchungen zu biographischen Fragen
(Eustathiusaffüre, Bischofsweihe des Vitalis) dienen dem
Nachweis, daß in der schon früh fvor 362) beginnenden Tätigkeit
des A. theologische Verteidigung des athunusianischen
Erbes und kirchenpolitisch — organisatorische Wirksamkeit
eng verbunden sind (S. 26—63;. Auf eine biographische Skizze
bat der Vf. verzichtet, obwohl bei A., dem Sohn eines Grammatikers
und „Sophisten" (Socr., h.e.2,46 u. 3,19), der den
Pentateuch dramatisiert und die Evangelien zu platonischen
Dialogen umgearbeitet haben soll (Soz., b.e.5,18), das . i
bältnis zu antiker Bildung und Philosophie gewiß uueh biographisch
bestimmt ist. Die Rekonstruktion der Lberliefe-
rung baut auf Lietzmann auf, kommt aber schon in der Frage,
ob es sich bei den in Gregors Werk enthaltenen Fragmenten
um wörtlich, frei oder entstellt wiedergegebene Stellen bündelt
, zu anderen Ergebnissen (S. 64—90). 13 der von Lietzmann
für zuverlässig gehaltenen Fragmenten spricht er «len
Zitatencharakter ab1, bei 10 weiteren kommt er zu einem nun
liquet-. Die sog. apollinaristischen Fälschungen,mm Partien,
die zur Verteidigung apollinarislischcr Positionen verfaßt und
Unbedenklichen Autoren untergeschoben wurden, hält er für
sehr alt und führt sie auf A. selbst oder auf seine unmittelbaren
Schüler zurück (S. 97—103). Wichtig ist auch die in späterem
Zusammenhang begründete These, daß der chrislolo-
gische Abschnitt 7 des umkämpften Tomus ud Antiochenos
von 362 (MPG 26.804B-805A) zwar nicht direkt apollinaristische
Interpolation ist (so Weijcnborg3;, wohl aber apollina-
ristische Färbung aufweist (S. 223—230).

Die Darstellung der Theologie des A. führt in wohlbedachter
Reihenfolge von der Christologie (S. 108—149) über die
Anthropologie (S. 149-180) zur Soteriologie (S. 181-237).
Die Christologie des A. wird von ihrem polemischen Ansatz
her erfaßt. Für ihn ist es die nichtchristliche (heidnische oder
jüdische) Gottesanschauung, die dahin führt, Christus lediglich
als ÄvdpuilOG £vöeoQ zu verstehen. Die dazu angestellte
Begriffsuntersuchung führt auf die Linie Celsus-Porphyrius-
Julianus und erlaubt dem Vf. eine wichtige Weichenstellung.
Das Offenbarung*Verständnis zwingt zur Alternative Inspiration
oder Inkarnation. Wenn sich das Göttliche durch Inspiration
offenbart, dann ist die Inkarnation hinfällig. Der Tren-
nungschristologie gegenüber, als deren Prototypen die als
Häretiker verurteilten Paul von Samosata, Photin und Marceil
von Ancyra bekämpft werden, kommt A. zur Behauptung
der Wesensgleichbeit des Menschen Jesus mit Gott durch den
göttlichen Geist. So ist es der göttliche Geist, der in der Natur
des Gottmenschen Herr ist4. Die zweite Weichenstellung ergibt
sich durch die Aussage, daß der Geist sich inkarniert, indem
er das Fleisch dazunimmt, wobei Geist, Vernunft und
Gott gleichgesetzt werden und die Inkarnation Gottes zu
einer Inkarnation des Geistes und der Vernunft wird5. Dem
rxvdpwitoc; evöeo^ stellt er zunächst den deÖQ £vaapMOg
(frg. 50 u. 53), schließlich den voüc; ivaocpwc, (frg. 69) entgegen
und kommt so zu der umstrittenen christologiseben
Formel. Der Vf. will zeigen, daß hier weder ein anthropologisches
Schema leitend war noch die Frage nach der Einheit
der Person des Inkarnierten, sondern die Unterscheidung des
,,WTesen des Menschen von Gottes Wesen, das sich in Jesus
zur Erlösung der Menschen offenbart hat" (S. 156).

Wie das die Inkarnationslehre des A. bestimmende soterio-
logische Interesse Philosophie und Christologie zusammenführt
, wird im letzten Teil der Arbeit gezeigt.

Als Hintergrund erscheint jene Sicht, die in Piatos Theaitc-
tos (176A—177A) ihren klassischen Niederschlag gefunden
hat. Die Notwendigkeit einer unwandelbaren göttlichen Vernunft
ergibt sich danach aus der Zuordnung von Erkenntnis
und Glückseligkeit einerseits und Nichtw issen und Elend andererseits
. Die Folgerung, daß die in der Aufhebung von
Nichtwissen und Elend bestehende Erlösung nur durch den
göttlichen VOÜ£ geschehen kann, verbindet sich in der Sicht
des Vf.s bei A. mit der aristotelischen Affektenlehre6. Sie