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Ausgabe:

1970

Spalte:

585-587

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Rothfuchs, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die Erfüllungszitate des Matthäus-Evangeliums 1970

Rezensent:

Karnetzki, Manfred

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 8

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neuen Licht erscheinen" (T65). Die Erfahrung der eigenen
Heillosigkeit und die darin aufbrechende Frage nach dein
Heil bezeichneten genau jenen verbindenden Horizont, in
dem heutiger Christusglaube möglich ist (167). Versuche der
Selbsterlösung dagegen würden sich als Irrwege enthüllen,
wobei in umso größerer Eindringlichkeit klar werde, „daß nur
in Jesus Christus das Heil erschienen ist, an dessen Mangel
gerade der Mensch der Gegenwart in der Tiefe leidet" (167).
Sicherlich dürfe das Kerygma nicht einfach repetiert werden.
Werde es dagegen im Licht der gegenwärtigen Frage nach
dem Heil ausgelegt, wobei auch der missionarische Gesichtspunkt
unter Beachtung des Erfordernisses der Verständlichkeit
des Wortes Bedeutung hat, dann werde in Korrektur falscher
Bilder die Heillosigkeit des Menschen in eine „neue Dimension
" gerückt. Da sowohl der Text als auch das Christus-
kerygma vergegenwärtigt werden müßten, erweise sich die
Aufgabe, zum Verstehen und Glauben zu führen, als eine gesamttheologische
, bei der die Zusammenarbeit von exegetischer
und systematischer Besinnung unerläßlich sei.

Unsere Skizze mag veranschaulichen, wie sehr der im sachlichen
Teil hypothesenfreundliche Entwurf auf eine konstruktiv
hermeneutische Lösung bedacht ist. Der Leser muß sich
wohl zwangsläufig der Einsicht öffnen, daß auch kritische
Bibel Wissenschaft keineswegs die Mitte der Schrift versäumt,
sondern sie vielleicht sogar in besonders überzeugender Weise
freizulegen imstande ist. Dies wird ihn mit jenen Partien versöhnen
, in denen Meinungen und Hypothesen doch wohl etwas
klarer von den Fakten hätten abgesetzt werden sollen.

Im Blick auf eine spätere Neuauflage wäre es von daher
empfehlenswert, die Literatur jeweils gesondert für die einzelnen
Abschnitte in etwas größerer Ausführlichkeit zusammenzustellen
.

Ncuendcttrtsuu A ugu*t Stroln'l

Rolhfuehs, Wilhelm: Die Erfüllungszitate des MattMua-
Eviingcliuuis. Eine biblisch-theologische Untersuchung.
Stuttgart-Bcrlin-Köln-Mainz: Kohlhammer [1969]. 202 S.
gr. 8° = Beiträge z. Wissenschaft v. Alten u. Neuen Testament
. 5. Folge, hrsg. v. K. II. Rcngstorf u. L. Host, 8 (der
ganzen Sammlung lieft 88). Kart. DM 38,—.

Die Arbeit von H., die von der Ev. theol. Fakultät in Münster
1966 als Dissertation angenommen worden ist, hat es sich
zur Aufgabe gesetzt, die dem Matth.-Ev. eigentümlichen Reflexionszitate
„hinsichtlich ihrer Auswahl aus dem AT und
ihrer Einfügung und Verteilung im Matth.-Ev. theologisch zu
beurteilen" (S. 17). Dabei legt sie besonderes Gewicht auf die
diese Zitate einleitende Erfüllungsformel („. . .auf daß erfüllt
werde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat..."),
die R. als Ausdruck eines „speziell matthäischen Erfüllungs-
glaubens" (S. 19) ansieht. Deshalb nennt er auch die so eingeleiteten
Beflexionszitate des Matth. „Erfüllungszitate". Methodisch
gesehen ist die Arbeit einerseits ein Beitrag zur Re-
daktionsgesehichte, da die Einleitungsformeln und Zitate auf
eine spezifisch matthäische Theologie hin befragt werden, und
andererseits der Versuch einer genauen formgeschichtlichen
Bestimmung der Rellexionszitate, weil hier neu nach dem
„Sitz im liehen" und der theologischen Funktion solcher Zitierungen
gefragt wird. Dabei erweist sich natürlich eine textkritische
und spraehgeschichtliehe Untersuchung der Zitate
als notwendig, zumal G. Strecker in seiner Untersuchung zur
Theologie des Matthäus „Der Weg der Gerechtigkeit" (1962)
erneut, die These aufgestellt hat, daß Matth, seine Zitate aus
einer frühchristlichen Testimonicnsammlung übernommen
habe.

So ergibt sich für B. nach einem knappen Bericht über den
Stand der wissenschaftlichen Diskussion folgender Aufbau
seiner Untersuchung: In Teil I wird die Erfüllungsformel in
ihrem Verhältnis zu et.-jüdischen Krfüllungsformeln untersucht
. In Teil II sc hließt sich eine Untersuchung zun» Text

der Erfüllungszitate und zur Funktion der Zitate im Ganzen
des Evangeliums an. Der Teil III bildet den Schwerpunkt der
Arbeit, weil in ihm die theologischen Bezüge der Zitate behandelt
werden (A. das Schriftverständnis der Erfüllungszitate
und B. die ehristologischen Bezüge,. In Teil IV wird
abschließend die „Eigenständigkeit des Matth.-Ev. hinsichtlich
der Erfüllungszitate" herausgearbeitet — nämlich im Vergleich
zum zeitgenössischen Judentum, innerhalb der synoptischen
Tradition und der Apostelgeschichte sowie im Verhältnis
zum .loh. Ev.

Die wesentlichen Diskussionspartner sind für B. K. Sten-
dahl ^"The Scholl of the Matthew and its Use of the Ohl
Testament" 1954) und G. Strecker („Der Weg der Gerechtigkeit
" 1962). Einmal bestreitet er Stendahls These, die Schrift benutzung
des Matthäus sei parallel zu der von Quinran (bes.
im Habakukkommentar) zu verstehen — nämlich aus der ex -
egetischeu Arbeiteines christlichen Schulbel liebes; zum anderen
widerlegt er die These Streckers, die Zitate des Matthäus
seien aus einer Zitatensammlung übernommen, stünden oft in
Spannung zum Kontext und dienten im wesentlichen der historisierenden
Tendenz des Evangelisten, d.h. seinem Interesse
, die Geschichte Jesu im Rahinen eines heilsgeschichtlichen
Schemas als ein zeitlich zurückliegendes und geographisch
fernes, einmaliges Geschehen zu verstehen. Demgegenüber
möchte R. Matthäus wieder stärker als einen eigenständigen
Theologen und Christuszeugen erkennbar machen, dem
es in erster Linie um die Verkündigung des Messias Jesus
geht, der als der Erhöhte in seiner Gemeinde gegenwärtig ist.
Wenn sich in der Geschichte Jesu die Verheißung da* messin-
nischen Heilswillens Gottes erfüllt hat, dann ist diese Verheißung
auch noch für die Gemeinde Jesu wichtig, dann ist
auch die Geschichte der Gemeinde Erfüllung dieser Verheißung
.

R. versteht es, in seiner gründlichen Untersuchung wahrscheinlich
zu machen, daß die Zitate nicht so sehr die historische
Faktizität der Geschichte Jesu bezeugen sollen, als
vielmehr ihren Offenbarungscharakter. So ist für R. der „Sitz
im Leben" dieser Zitate nicht die exegetische Arbeit eines
christlichen Schulbetriebs, sondern die Verkündigung der Gemeinde
von der Heilsoffenbaiung Gottes in Jesus Christus. —
Zur Unterstützung dieser Hauptthcse arbeitet R. u.a. heraus,
wie die Erfüllungsformel Gott als den Urheber der Pmpheten-
rede bezeugt und damit die Geschichte Jesu als Frfüllung des
göttlichen Heilswillens und wie sich diese Erfüllung der Pro-
phetie — im Unterschied zu jüdischen Parallelen — für Matthäus
in einem einmaligen Geschehen, nämlich in der Geschichte
Jesu ereignet (s. Teil I). Die auffälligste Parallele
zum Umgang des Matthäus mit der Prophetie sieht, auch B.
im Habakukkommentar von Qumran. Aber im Unterschied
zum Lehrer der Gerechtigkeit, der sich in seiner Auslegung
der Prophetie auf eine persönliche Sonderoffenbarung beruft,
liegt für Matthäus die Offenbarung nicht in seiner Auslegung,
sondern im Leben Jesu und in der Überlieferung von der Geschichte
Jesu (S. 142), die selbst die einzig gültige Auslegung
der at. Propheten sind. — In der Untersuchung des Textes der
Erfüllungszitate erkennt B„ daß Matthäus verschiedene Vorlagen
benutzt, die er jeweils im Interesse seiner Aussagen ausgewählt
und von seinem Kontext her bearbeitet („targumi-
siert") hat. Im Gegensatz zu Strecker erkennt. B. Hinweise
darauf, daß Matthäus mit den Zitaten nicht nur (Vir, vergangene
Geschichte Jesu, sondern zugleich die gegenwärtige Gemeinde
als Gemeinde des gegenwärtigen Herrn im Blick hat.
(2,6; 12.18-21; 13,35). So sind es nach B. auch gar nicht beliebige
Einzelheiten des Lebens Jesu, die als Erfüllung prophetischer
Weissagungen bezeichnet werden, sondern die Geschichte
Jesu als ganze. Damit erklärt sich für R. die Häufung
der Zitate in der Kindheitsgeschichte: Hier ist Jesus
noch nicht der Handelnde. Die Zitate machen also deutlich,
daß Gott selbst in der Geschichte Jesu von Anfang an der
eigentlich Handelnde ist. Die übrigen Zitate gelieren entweder
zu den Summarien und kennzeichnen das ganz« Wirken