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Ausgabe:

1970

Spalte:

581-583

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Wolff, Hans Walter

Titel/Untertitel:

Die Stunde des Amos 1970

Rezensent:

Bič, Miloš

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581

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 8

582

Wölfl, Hans Walter: Die Stunde des Arnos. Prophetie und
Protest. München: Chr. Kaiser 1969. 215 S. kl. 8°.
DM 14,50.

H.WT. Wölfl, z.Z. Nachfolger G.v.Rads in Heidelberg, gehört
zu den führenden Mitarbeitern am Biblischen Kommentar
, der seit Jahren in Neukirchen erscheint. Die Aufgabe
Wolffs ist, im Rahmen dieses Werkes das Zwölfprophetenbuch
zu bearbeiten. Nach den Propheten Hosea und Joel
folgte nun Arnos. Jedes Prophetenbuch erfordert lleißige Vorarbeiten
, und man kann dem Verfasser nur dankbar sein, daß
er auch dem gewöhnlichen Leser ohne tiefere theologische
Bildung einen Einblick in seine Werkstät te gewährt. Das vorliegende
Buch „Die Stunde des Arnos" ist eben ein solches
,Nebenprodukt'. Der Vf. schreibt selbst dazu: „Die Kirche
ahnt weithin noch gar nicht, welch ein hochexplosiver Sprengstoff
mit dem Buch dieses Propheten in die Grundmauern
ihres Kanons eingelassen ist. .. Einer wie Arnos kann nicht
zum Schweigen gebracht werden" (S. 7). „Für die Zukunft
der Kirche und der Gesellschaft im ganzen kann Arnos in diesen
Zeiten höchst aktuell werden. .. Vielleicht gelingt es dem
Aniosbuch beute, christliche Gemeinden und revolutionäre
Gruppen an einen Tisch zu führen und sie dann sogar auf
einen Weg zu bringen" (8).

Diese Worte deuten bereits die Intention des Vfs. an, der
öfters während seiner Vorarbeiten am Aniosbuch vor die Öffentlichkeit
trat, um die Ergebnisse seines Studiums mit anderen
zu teilen und im gegenseitigen Gespräch sich die Tragfähigkeit
seiner Schlüsse nachzuprüfen. Einzelne Beiträge
wurden im Bundfunk, andere vor Arbeitsgemeinschaften verschiedenster
Art vorgetragen, für Studenten wurden Predigten
auf Amostexte gehalten usw. Da unter den Laien in den
letzten Jahren ein starkes Mißtrauen gegen die wissenschaftliche
Theologie entstanden ist, versucht Wolff in einer speziellen
Abhandlung über die „Exegese für Nichtexegeten" die
wissenschaftliche Arbeit eines Theologen der Gemeinde zu
erklären und zu begründen. So entstand „Die Stunde des
Arnos".

Der erste Teil des Buches befaßt sich mit dem Propheten
und seiner Verkündigung (11—67) mit aktualisierenden
Schlußfolgerungen für heute.

Arnos ist zweifelsohne „einer der profiliertesten Propheten
überhaupt" (12). Aber so wie ihn sein Zeitgenosse, der Priester
Amazja von Bethel, damals nicht begriffen hat, so verstehen
ihn viele auch heute nicht, wenn sie nicht mit allem
Ernst die Worte des Propheten wahrnehmen: „Jahwe griff
mich hinler der Herde weg", „Jahwe sagte zu mir". „Jede
anthropologische Deutung dieses biblischen Prophetentyps
kann nur die Beihe der politisch-psychologischen Zerrbilder
vom Schlage Amazja« verlängern" (16).

Das ist jedoch nicht die einzige falsche Vorstellung, die
man sich von Arnos machen kann. Seit der Vulgata bzw. seit
der Niederschreibung der Targumim wird Arnos als Hirt oder
Viehzüchter aufgefaßt. Wolff sagt dazu noch ausdrücklich
,Laie' (16), ohne zu beachten, daß die Septuaginta anderer
Meinung war und offenbar eine ältere Tradition erhalten hat,
die sich neben der jüngeren, in der Vulgata und den Targu-
mitn fixierten, bis zum Ende des ersten nachchristlichen Jahrtausend
* gehalten hat! (Nähere Ausführungen sind hei M. Bic,
Bas Buch Arnos, EVA Berlin 1968 nachzuschlagen.)

Eine weitere Mißdeutung: Wenn der Vf. zum Ausdruck
,Basansknhe' (Arnos 4,1) sagen kann: „...das ist rassiges
Mastvieh. Derart schockierend kann Arnos führende Damen
beleidigen" (20. vgl. auch: „Er redet die Damenwelt der Residenz
als ,Basanskühe' an", 65), dann ist es einfach eine Profanierung
. Aus den ugaritischen Texten (Zyklus AB) wissen
wir doch, daß gerade Basan ein dem Baal heiliger Landstrei-
fen war, wo er mit seiner schwesterlichen Gattin, der Göttin
Anal, zu verkehren pflegte. Und die begegnete ihm dort in
Färscgestnlt und gebar ihm einen Stier! Die Bezeichnung
,Basanskühe' charakterisiert demnach die Frauen von Nordisrael
als Verehrerinnen Baals und lehnt somit ihren Gottesdienst
als Götzendienst ab. Es genügt nicht nur zu sehen, daß
Arnos im Namen Jahwes auftritt, sondern daß er seine Vorstellung
Gottes aufs schärfste der seiner Zuhörer gegenüberstellt
und nachweist, daß der ganze nordisraelitische Kult
verkehrt ist und daß man nicht Jahwe, sondern Baal verehrt
, trotzdem man meint, Jahwe zu dienen. Das kommt leider
in der Arbeit Wolffs nicht genügend klar zum Ausdruck,
auch wenn er in einem anderen Zusammenhang richtig sagt:
„Was für eine Parodie auf Gottesdienstanweisungen!" (21).

Das Volk hat also seinen Gott verlassen. Der gottesdienstliche
Eifer entstammte nur dem Menschcnwillen, nicht dem
Gottesgehorsam („Denn so liebt ihr es, ihr Israelsöhne!" 21).
Darum wird auch Jahwe das Volk verlassen. „Die Botschaft
ist unerhört neu in Israel" (30). Jahwe wird einschreiten,
„und dieses Einschreiten bedeutet das Ende der bisherigen
Geschichte Israels" (30). Wichtig ist, daß der Vf. dadurch
auch die Kirche von heute gewarnt weiß. Es ist ihm überhaupt
hoch anzurechnen, daß er das Buch Arnos nicht nur als
eine längst überholte und für uns höchstens interessante,
aber unverbindliche Angelegenheit betrachtet, sondern ständig
betont, wie durch jenen alten Propheten, über den wir
sonst so wenig wissen, Gott den Menschen eines jeden Zeitalters
anredet. Eben darum sollte sein Buch die größte Verbreitung
linden. Es ist frei von all dem Material, das einen
Kommentar einem durchschnittlichen Leser unlesbar macht,
redet ihn aber gerade darum unmittelbar persönlich an, so
daß er begreifen muß, daß er selbst durch das Propheten« ort
angesprochen ist.

Die Selbstsicherheit des Glaubens (39), die Arnos bei seinen
Zeitgenossen angreift, ist eine Gefahr, vor der keine Kirche
verschont bleibt, die sie jedoch nicht gestehen will. Mißzustände
im Verhältnis zu Gott haben notwendigerweise verfehlte
Beziehungen zum Mitmenschen zur Folge. Recht und
Gerechtigkeit werden vergewaltigt (56f.), Mord und Raub
treten an ihre Stelle (59), dem Armen und Schwachen wird
seine Menschenwürde abgesprochen, die Reichen und Mächligen
meinen, solche ausbeuten und mißbrauchen zu dürfen.
Trotz dieser so starken sozialen Töne wird Arnos „sowohl als
Sozialreformer wie als politischer Revolutionär nur mißverstanden
" (66). Das betont Wolff mit vollem Recht. Aber auch
da bleibt er von der Versuchung zu moralisieren nicht verschont
, wenn er z. B. von dem „Mißbrauch von Mädchen" (61)
spricht, mit denen schamlos Vater und Sohn Verkehr pflegen.
Der Prophet dachte dabei nicht an eine Braut des Sohnes und
also eine künftige Schwiegertochter des Vaters. Das hebräische
Wort, nacarah (Arnos 2,7„ Mädchen') ist dem Ausdruck
zonot (Hos 4,14, ,Dirnen', gemeint Tempeldirnen) zur Seite
zu stellen. Wir kommen somit auf dieselbe Ebene, auf der
sich auch die oben erwähnten ,Basanskühe' bewegten. Arnos
prangert da wiederum den durch den Baalismus entstellten
Kult Nordisraels, der die Menschenwürde des Nächsten nicht
achtet und somit Göll um seine Ehre beraubt. Über diesen
entarteten Kult weiß Wolff in seinem Eioseakommentar sehr
deutlich zu berichten.

Auf diesem Hintergrund bekommt die Aufforderung des
Propheten: „Suchet das Gute und nicht das Böse, damit ihr
am Leben bleibt . . ." (53), die gleichbedeutend ist mit einem
anderen Wort : ,.Suchet, mich", „Suchet Jahwe", erst ihre
volle Bedeutung. Jahwe ist kein Gott, den sich der Mensch
erst zurechl machen dürfte. Dieser Gott ist das Gute selbst.
Das muß jede Zeit hören, auch die unsrige. Nur dann dürfen
wir auf das Leben hoffen, wenn wir mit dem ganzen Herzen
diesen Gott suchen werden.

Der zweite Teil des Buches bietet eine „Exegetische Einführung
für Nichtexegeten" (69 ff.) anhand auserwählter
Verse aus Arnos 3 und 4. Mit seinem außerordentlichen theologischen
Scharfsinn und einem bewundernswerten pädagogischen
Feingefühl führt der Vf. den Laien in die verantwortungsvolle
Arbeit eines Theologen ein. Aber auch jeder Theologe
wird seine Erklärungen mit Nutzen lesen.