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Ausgabe:

1970

Spalte:

540-541

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Mouroux, Jean

Titel/Untertitel:

Eine Theologie der Zeit 1970

Rezensent:

Pannenberg, Wolfhart

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Theologische Literatuizcitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 7

540

S. 272-325), vor allem über Porphyrius, Proclus und Damascius.
Dabei kommt die theurgisch-religiöse Wendung des Neuplatonis-
mus zur Sprache (S. 277 und 295), ebenso die Wendung zum
scholastischen Denken (S. 280 und 320), die in der völligen Übernahme
des Aristotelismus begründet war (S. 322).

Die Darstellung der Gedankenwelt von «Marius Victorinus und
Augustin" durch R A. Marcus (Abschnitt V, S. 329-419) ist
eine willkommene Ergänzung zu den entsprechenden Kapiteln in
den Dogmengeschichten, vor allem durch die Betonung des komplexen
Charakters der Beziehungen zwischen platonischer Philosophie
und christlichem Glaubensdenken, aber auch durch die
Feststellung, daß in der Anthropologie Augustins manche Res'bc-
stände manichäischer Lehre zurückgeblieben sind (S. 355). D s
gleiche Urteil gilt für Abschnitt VI (S. 423-533), worin I. P.
Sheldon-Williams „die Tradition der griechischen christlichen
Platoniker von den Kappadoziern bis zu Maximus und
Eriugcna" schildert. Hier ist der wichtigen Frage nachgegangen,
in welcher Weise ein philosophisches Gebäude auf der Grundlage
der christlichen Lehre errichtet werden konnte, insbesondere bei
Gregor von Nyssa, .dem ersten christlichen Philosophen" (S. 455).
An dessen Grundgedanken knüpfte Preudo-Dionysius Areopagi';1
an, dessen Schriften im Jahre 528 zum ersten Male erwähnt
wurden (S. 473). Ausdrücklich hingewiesen sei auf das Kapitel
über „die Philosophie der Ikonen" (S. 506-517), die ja eine gewisser
Bedeutung für den Anglikanismus hat. Nicht minder lesenswert
ist das Kapitel über Eriugena (S. 518-533); wer diesen iro-
schottischen Theologen der karolingischen Zeit schätzt, wird über
die Nachricht erfreut sein, daß sein Hauptwerk Periphyseon (so
lautet der ursprüngliche Titel) in einer Neuedition von Sheldon-
Williams zu erwarten ist (S. 684). Eriugena hat die Inhalte des
christlichen Piatonismus in drei seiner wichtigsten Zeugen dem
scholastischen Mittelalter überbracht: in seinen Übersetzungen den
Areopagitcn, der Ambigua des Maximus Confessor und des Traktates
De hominis opificio des Gregor von Nyssa.

Die „christliche Gedankenwelt des Westens von Boethius bis
zu Anselm" ist durch H. Liebeschütz in Abschnitt VII
(S. 535-639) dargestellt worden. Boethius hat sowohl die Haupt-
begriffc des scholastischen Denkens geprägt als auch dessen Voraussetzung
dahin bestimmt, daß die Lehranschauungen von Plato
und Aristoteles als gegenseitige Ergänzungen zu bewerten sind:
seine Dichtung De consolatione als anschauliche Zusammenfassun7
seiner Überzeugungen war vom 9. bis 16. Jahrhundert in Hunderten
von Manuskripten verbreitet. Nach einem Überblick übev
die Denkprobleme der zwei „dunklen Jahrhunderte" nach dem
karolingischen Zeitalter sind dem Versuch einer philosophischen
Auslegung des Glaubens, wie ihn Anselm von Canterbury vornahm
, eindringliche Ausführungen gewidmet (S. 611-629). Lieb<-
schütz erörtert die Frage, wie Anselms Argumentation für das
Dasein Gottes zu verstehen ist, und bejaht dabei die Interpretation
Karl Barths, der das Denken Anselms einem streng theologischen
Rahmen eingeordnet hatte (S. 627); er verweist dabei auf die
gleichartige Deutung, die Dom Franciscus Salesius Schmitt (Anselm
v. C., Proslogion, Stuttgart 1962) gerade dem Proslogion gegeben
hatte. Es ist zu bedauern, dafj die Analysen von Heinrich Scholz
(in: Mathesius Universalis, 1961 S. 62-74 und 215-218) nicht
herangezogen sind; Scholz! weist nämlich darauf hin, dafj Seneca
das Argument als erster formuliert hat; vielleicht läßt sich diese
Tatsache in der Richtung einer Identität von theologischer und
philosophischer Auffassung des Gottesbeweises verstehen.

In dem abschließenden Abschnitt VIII (S. 643-669) hat
R. Walzer eine zuverlässige Einführung in die „frühe islamische
Philosophie" gegeben, beschränkt sich aber angesichts des immer
noch fragmentarischen Zustandes unserer Kenntnisse auf die
Erläuterung des muslimischen Begriffs „falsafa" (Philosophie)
sowie seiner Vorbedingungen. Die Güte der arabischen Übersetzungen
von Texten der griechischen Philosophie macht die
Tiefe der Einwirkungen auf die mittelalterliche Rezeption des
Aristoteles erklärlich. Dabei haben arabische Neubildungen philosophischer
Begriffe auch Neubildungen im scholastischen Latein
hervorgerufen: mähiyya („Washeif, von mäh „was") regte zur
Wortbildung quidditas an, und qabbliyya („Vorhersein", von qablu
„vorher, früher") wurde mit prioritas übersetzt (S. 645). Auf einer
Harmonisierung aristotelischer und platonischer Anschauungen

unter Verwertung des christlichen Aristotelismus in Alexandrien
beruhte die Auswertung der neuplatonischen Tradition in einer
theistischen Philosophie, wie sie vor allem bei Al-Faräbi (gest.
950 in Alcppo) an den Tag trat. Dessen Werk wurde insbesondere
durch Avicenna (980-1037) und Averroes (1128-1198) fortgesetzt
und auf diesem Wege der lateinischen Scholastik bekannt.

Der Anhang enthält S. 670-691 eine gut ausgewählte Bibliographie
und S. 695- 711 als Schlüssel zum Gesamtwerk ein Verzeichnis
der behandelten Namen, Sachen und Begriffe. Das buchtechnisch
hervorragend ausgestattete Werk ist als ein unerläßliches
Hilfsmittel des Forschers und auch des fortgeschrittenen Studenten
zu beurteilen und mit Dankbarkeit zu begrüßen, da es in zuverlässiger
Weise die philosophischen Voraussetzungen und Parallelbewegungen
überblickt, wie sie die dogmengeschichtlichen Entwicklungen
des kirchlichen Denkens begleiten.

Bethel >>■ Bielefeld Alfred Aden

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(TPh 31, 1969 S. 290-326).
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mann 1969. 54 S. kl. 8°. DM 6,80.

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Mouroux, Jean: Eine Theologie der Zeit. Übers, v. M. Scheier.
Freiburg-Basel-Wien: Herder [1965]. 350 S. 8°. DM 36,80.

Man schlägt heute ein theologisches Buch über das Zeitproblem
mit besonderen Erwartungen auf. Seit die Frage nach dem Sein
sich mit der Erfahrung der Zeit verbunden hat und seit der Entdeckung
der Relativität der Zeit ist eine Revision der ontologischen
Voraussetzungen all der traditionellen Theorien der Theologie
fällig geworden, die auf der Zeitunabhängigkeit des wahrhaft
Seienden beruhen. Dazu gehört in erster Linie die Gotteslehre
selbst und besonders der Gedanke der göttlichen Ewigkeit, die
traditionell dem Zeitprozeß entgegengesetzt worden ist als ewige
Gegenwart, obwohl andererseits das Offenbarwerden Gottes als
Thema einer Geschichte gedacht wurde, die ihre Erfüllung in
einer noch ausstehenden eschatologischen Zukunft finden soll.
Bedeutet diese Geschichte gar nichts für Gott selbst? Fügt sie
seiner Wirklichkeit nichts hinzu, und ließe ihr Fortfall Gottes
Herrlichkeit unbeeinträchtigt? Andererseits, wie konnte Jesus die
Zukunft Gottes als schon gegenwärtige Wirklichkeit proklamieren?