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Ausgabe:

1970

Spalte:

32-34

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schweizer, Eduard

Titel/Untertitel:

Jesus Christus im vielfältigen Zeugnis des Neuen Testaments 1970

Rezensent:

Niederwimmer, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 1

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Jesus von Nazareth, der für die urchristliche Tradition als Sohn
Gottes galt, von den Römern wegen Aufruhrs gegen die Militärregierung
in Judäa hingerichtet werden ? Er versucht dieser Frage
zunächst überlieferungsgeschichtlich näherzukommen. Während
das Heidenchristentum um Paulus an den Geschehnissen um den
Tod Jesu keinerlei historisches Interesse gehegt habe und von
ihnen stets nur in mystischen, suprauaturalen Kategorien gesprochen
habe (vgl. 1. Kor. 2,8), sei im Jerusalemer Judenchristentum
ein alter Prozeßbericht in Form einer jüdischchristlichen
Apologie der Messianität Jesu überliefert worden,
galt es doch, Jesu handfeste Kritik am Tempelbetrieb sowie
seinen schmachvollen Tod am Kreuz mit den traditionellen
Heilserwartungen in Einklang zu bringen (S. 17ff.). Bezeichnend
für die Lage der Jerusalemer sei, daß die faktische Verurteilung
Jesu wegen Aufruhrs gegen Rom noch nicht als Problem empfunden
wurde. Das änderte sich erst mit der Redaktion der Evangelien
nach 70 n., die sowohl die Jerusalemer Messiasapologie wie
die transzendentale heidenchristliche Christologie aufgriffen und
zudem noch das besondere Problem zu lösen hatte, das sich aus
dem antirömischen Verhalten Jesu für christliche Gemeinden
unter unmittelbarem römischen Machteinfluß ergab (S.23f.).

Um die politischen Verhältnisse zu klären, gibt Brandon eine weitgreifende
Ubersicht über die jüdischen Widerstandsbewegungen im
Anschluß an die Entsetzung des Tetrarchen Archelaus und die Unterstellung
von Judäa und Samaria unter direkte römische Militänegie-
rung im Jahre 6 n. (S.25ff.). Das harte Regime eines Pontius Pilatus
half vorhandene Gegensätze verschärfen und fühlte zu manchen Zusammenstößen
. Nach Mk. 15,7 fiel gerade das Auftreten Jesu in Jerusalem
mit einem Aufstand unter Führung des Barabbas zusammen.
In Mk. 13 habe sich entgegen der pazifistischen Intention der Ag. die
Erinnerung daran erhalten, daß die Jerusalemer Gemeinde auf die
Tempclentweihung durch Gaius 39-40 n. in zelotischer Weise reagierte
und deshalb auch 70 n. die Flucht in die Wüste geplant habe,
um sich dort mit der Widerstandsbewegung zu vereinigen (S.451.).
Dem kam aber ihre völlige Aufreibung durch die Römer zuvor (S.59).

Die Rettung für die heidenchristlichen Gemeinden konnte nur
in der völligen Lösung von den Jerusalemer Ursprüngen und in
der Anpassung an die neue Situation bestehen. Jesus mußte deshalb
in dem für Rom bestimmten Markus-Evangelium von allen
jüdisch-zelotischen Zügen befreit werden. Die Juden verdammen
ihn, der Centurio bekennt ihn aber als Gottessohn (S.75ff.).
Während noch die Jerusalemer Vorlage Jesus als den national-
messianischen Märtyrer angesehen habe, versuchte Mark, den
Anstoß des römischen Todesurteils dadurch zu beseitigen, daß er
den jüdischen Führern mit ihrem Diktum der Gotteslästerung
die Schuld am Tode Jesu gab, während er Pilatus in seltsam
naiver Verkennung der Machtverhältnisse durch die Laune des
Volkes zum Handeln gezwungen sah. In unwürdigem Ränkespiel
wurde so statt des Aufruhrers Barabbas Jesus getötet
(S.81-105). Die übrigen Evangelien folgen Mark, mit nur geringen
Veränderungen; sie behalten die apologetische Intention
bei. Das Matth.-Evangelium sei vom pazifistischen Geist alexan-
drinischer Judenschaft getragen und schildere Jesu als Friedensheld
, während es den blinden Haß der Judenschaft noch über
Mark, hinaus dramatisiere (S. 109ff.). Die Schilderung des Luk.-
Evangeliums gilt als ganz von der Darstellung des Weges des
Evangeliums - weg von den Juden und hin zu den Heiden - bestimmt
. Die Juden stoßen unter der Macht der Finsternis die
Botschaft von sich (Luk. 22,53). Während bei Luk. der Protest
Jesu gegen den Tempel zurückgedrängt wird (S. 118), kann
andrerseits der Vorwurf subversiver Tätigkeit Jesu in aller Ausführlichkeit
formuliert werden (Luk. 23,1 ff.). Die Scheu vor
unmittelbaren politischen Konsequenzen für die Gemeinde
scheint gegenüber Mark, nachgelassen zu haben (S.120). Das
Joh.-Evangelium sieht zunächst die jüdischen Führer voll von
Furcht vor einer durch Jesus entfachten nationalen Revolte
(Joh. 11,47), was schließlich dazu führt, daß das gesamte jüdische
Volk seine Kreuzigung vorbereitet, um die eigene Sicherheit
zu retten; der Kampf zwischen dem Licht und der Finsternis ist
voll ausgebrochen (S.134). Die Glaubwürdigkeit historischer
Einzelzüge wird in dem großen dualistischen Drama nicht weiter
reflektiert (S. 136ff.).

Was bleibt also? Als Nachfolger des Johannes in einer apokalyptischen
nationalen Bewegung hatte Jesus sich mit Zeloten
umgeben (Matth. 16,17; Mark. 3,17), um den Kampf für die

Gottesherrschaft gegen alle politische Fremdherrschaft machtvoll
zu führen (S. 144). Als er anläßlich des Passah im Jahre 30 n.
den Jerusalemer Tempel stürmte, um die messiamsche Wende
herbeizuführen, wurde er im Zuge der Bekämpfung der Barab-
bas-Revolte gefangengenommen und auf Betreiben der jüdischen
Führung von den Römern zwischen zwei Zeloten gekreuzigt
(Mark. 15,27). Damit wurde er für seine Anhänger zum nies-
sianischen Märtyrer, und die Hoffnung galt seiner machtvollen
Wiederkehr zur Befreiung Israels (S. 150). Daß aus dieser Hoffnung
die Botschaft einer universalen Erlösuugsreligion wurde,
sei allein das Werk des Paulus gewesen.

Brandon legt ein geschlossenes Gesamtbild vor, das nicht nur
unkritische Leser zu fesseln vermag. Es ist aber selbst unter der
Voraussetzung, daß die auf den Ausgleich mit Rom bedachten
Schreiber der Evangelien der Bewegung Jesu nachträglich pazifistische
und versöünliche Züge gegeben haben, in eler uar-
gebotenen Pauschalität nicht zu halten. Nicht nur die einseitige
Interpretation der Zinsgroschenfrage als Zeichen der antikaistr-
lichen Haltung Jesu (S.65ff.), die Voraussetzung der zelotischen
Haltung der Jünger (S.78 u.ö.) und schließlich die Vermutung
eines Großangriffs Jesu auf den Tempel (S.83ff.) beruhen auf
starken Vergröberungen, sondern auch grundsätzlich sind die
Überlieferungen über das Wirken Jesu vollkommen eklektisch
behandelt. Es wurde zwar Jesus als zelotischer Messiaspiätcnuent
ausgeliefert und hingerichtet, und die Evangelientradition hat
dieses Moment richtig festgehalten. Soweit wir aber überhaupt
über das Wirken Jesu von Nazareth informiert sind, müssen wir
sagen, daß die Intrigen der sadduzäischen Aristokratie dieses Urteil
bewirkt haben, nicht aber die römerfreundliche und auf Ausgleich
der Schwierigkeiten bedachte Jesusinterpretation eines
Markus einen römerfeindlichen Jesus nachträglich zum Römer-
freund und Judenfeind gestempelt hat. Das Liebesgebot Jesu
schließt die radikale und gewaltsame Errichtung der Theokratie
durch die Zeloten aus; Jesu Verkündigung von der Herrschaft
Gottes weiß nichts von einem nationalen Aufstand, sondern
spricht im Gegensatz zu den politischen Herrschaftsverhält-
nissen vom Dienen (Mark. 10,42f. par.). Wohl wird man den Einfluß
der politischen Machtverhältnisse auf die Gestalten der urchristlichen
Überlieferung stärker als bisher berücksichtigen
müssen. Die Vorliebe für ein idealistisches und pazifistisches
Jesusbild ist allzu verbreitet. Man kann aber sowohl der Jesusinterpretation
Brandons wie seiner elektischen und von den Ergebnissen
der Formgeschichte kaum berührten Evangelienkritik
nur sehr kritisch begegnen. Insgesamt: Ein fesselndes
Buch, das viele Anregungen bringt, sich aber selbst durch seine
methodischen Schwächen enge Grenzen setzt.

Kiel Horst K. Balz

Schweizer, Eduard: Jesus Christus im vielfältigen Zeugnis des
Neuen Testaments. München-Hamburg: Siebenstern Taschenbuch
Verlag [1968]. 191 S. 8° = Siebenstern-Taschenbuch
, 126. DM 3,60.

Über die Entstehung des vorliegenden Buches berichtet der
Vf. selbst (S.9): „Ich habe es zunächst im Herbst 1966 geschrieben
, als ich in den ersten Wochen meines Dienstes in Japan
neben dem Text des griechischen Neuen Testamentes verhältnismäßig
viel Muße, aber wenig Literatur zur Hand hatte. So versuchte
ich zusammenzufassen, was mir daran wichtig geblieben
war. Ich habe das Geschriebene dann im Winter 1967/68 in einer
Vorlesung für Hörer aller Fakultäten kritisch geprüft und es anschließend
daran an manchen Stellen ergänzt, auch verschiedentlich
noch Literaturhinweise hinzugefügt, besonders dort, wo ich
anders denke als die meisten heutigen Forscher". Seinem Inhalt
nach ist das Buch nicht leicht zu bestimmen. Es beginnt wie ein
traditionelles Jesus-Buch (S. 18-54), verfolgt hernach die chri-
stologische Entwicklung der nachösterlichen Zeit (S. 55-92),
stellt dann das paulinische Christuszeugnis dar (S.93-122), das
Christuszeugnis der Evangelien (S. 123-165), und bespricht zuletzt
die Texte, die den Übergang zur frühen Kirche markieren
(S. 166-184). Im Mittelpunkt steht immer die christologische
Problematik. Man könnte von einer gemeinverständlichen Ein-