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Ausgabe:

1970

Spalte:

533-538

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Jørgensen, Poul Henning

Titel/Untertitel:

Die Bedeutung des Subjekt-Objektverhältnisses für die Theologie. 1970

Rezensent:

Widmann, Peter

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 7

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Auch das Wortereignis ist nicht Gegenstand der Hermeneutik,
sondern ein pneumatisches Geschehen. Denn der Geist ist es, der
das Wort zum Ereignisträger qualifiziert. Auslegung und Verstehen
müssen getrennt werden. Die Existenztheologie von heute
ende in einem Descartesianismus: Ich denke, also existiere ich.

Wir fragen uns: Was ist das eigentliche Anliegen des Vf.s? Er
will durch seine Geisttheologie der Theologie wieder eine feste
objektive Grundlage geben, unter Ausschaltung des Subjektivismus
der Existenztheologie. Aber er verkennt das eigentliche Anliegen
dieser Theologie. Auch sie will ja an die Sache selbst heranführen.
Aber sie erkennt deutlich: Die Heranführung beinhaltet wesentlich
das pro me. Ob man Auslegung und Verstehen trennt oder
nicht - darauf kommt es nicht an. Der Vorgang des Verstehens
umschließt immer beides: verbum visibile - verbum invisibile -
beides ist nicht ohne das pro me. Daran ändert auch nichts der
Heilige Geist. Auch ihn habe ich nur in meiner jeweiligen konkreten
Aussage. Der Vf. hat die letzte Intention der Existenztheologie
nicht erfaßt. Sonst hätte er sehen müssen, daß Pneuma-
tologie und existentielle Hermeneutik eigentlich dasselbe wollen,
nur daß diese Hermeneutik um ihre Grenzen weiß, während die
Pneumatologie stärker in Gefahr ist, diese Grenze zu übersehen,
indem sie den Heiligen Geist zu unmittelbar in die menschlichen
Möglichkeiten einbezieht. Wirklich ist sein Anliegen nur gegenüber
einer bestimmten Theologie nach dem Tode Gottes. Eine Theologie,
die den transzendenten Horizont umgeht, ist in der Tat Anthropologie
geworden.

Kiel Werner Schultz

Jergensen, Poul Henning, Pastor: Die Bedeutung des Subjekt-
Objektverhältnisses für die Theologie. Der Theo-Onto-logische
Konflikt mit der Existenzphilosophie, übers, v. S. Diderichsen.
Hamburg-Bergstedt: Reich 1967. 461 S. gr. 8° = Theologische
Forschung. Wissenschaftl. Beiträge zur kirchlich-evang. Lehre,
hrsg. von H.-W. Bartsch, F. Buri, D. Georgi, G. Harbsmeier,
J. M. Robinson, K. Wegenast, 46. Kart. DM 28,-.

J.s Kopenhagener Habilitationsschrift vertritt die These, daß
die Theologie auf das Subjekt-Objekt-Verhältnis (künftig = SOV)
nicht verzichten kann, wenn sie nicht der Mystik verfallen will.
An Existenzphilosophie und Ich-Du-Philosophie (J. bespricht unter
diesen Stichwörtern: Ebner, Buber, Grisebach, Marcel und Heim -
§§ 3; 5; 9), an Jaspers (§ 10) und Tillich (§ 11), doch vor allem
an Heidegger (§§ 2; 6-8) wird zu zeigen versucht, daß der Impuls
zur Überwindung des SOV aus mystischer Religiosität stammt und
daher ins mystische Dunkel führen muß. Der Konflikt mit der
Existenzphilosophie sei ein Konflikt mit der Mystik. Dieser theologische
Streit sei zugleich ein Kampf um die Ontologie, da die
Theologie eine Ontologie brauche, in der Subjekt und Objekt klar
geschieden bleiben, während die Mystik deren prinzipielle Identität
behaupte und daher das SOV anfeinde. Einer von der Mystik abhängigen
Philosophie also habe sich die .Existenztheologie" (als
ihre Hauptvertreter werden behandelt: Bultmann, Gogarten, Ebe-
ling und Fuchs) ausgeliefert, wo sie das SOV bekämpfe; damit
mache sie sich wehrlos gegen die mystische Auflösung der Theologie
(§§4; 6; 13-17). Doch warnt J. auch vor dem SOV; werde es
nämlich „urgiert" und „hypostasiert" (403 f.), so verwandle es sich
in ein Werkzeug der mystischen Identität. Man müsse die Hyposta-
sierung des SOV verhindern. Dies geschieht nach J. durch eine
theologische Deutung und Korrektur des SOV. Das entschärfte
und ungefährlich gemachte SOV schreibt J. klein: subjekt-objekt-
verhältnis (künftig = sov). In den Schlußparagraphen (§§ 18-21)
deutet J. an, welche theologische Rolle er diesem sov zudenkt.
Das sov enthalte eine „selbständige theologische Ontologie" (419),
so daß jede Anlehnung an eine Philosophie überflüssig werde.
Erst damit sei die mystische Gefahr endgültig gebannt; denn jede
Philosophie, weil anthropozentrisch entworfen, tendiere zur Mystik
Diese Abhandlung zeigt einen Verfasser, der weiß, was er will und
der ein systematisches Konzept in langwierigen Einzelanalysen,
die Belesenheit und Scharfsinn verraten, durchzuhalten vermag.
Dennoch hat das Buch Mängel, die m. E. zu härtester Kritik
zwingen.

J. hat mit seinem Angriff auf die Existenztheologie viele Vor
gänger. Man hätte sich daher einen zusammenhängenden Bericht
gewünscht, welche Klärungen schon erreicht sind, welche Aufgabe

noch gelöst werden muß, und worin J. das Besondere seiner Arbeit
sieht. Zwar zitiert J. reichlich die ihm nahestehenden Theologen
(Diem, Gloege, Gollwitzer, Iwand, Noller, Soe, Steiger u. a.). Er
macht aber nicht kenntlich, wo er sie für ergänzungsbedürftig hält
und wo er sie korrigieren will. Nach und nach geht dem Leser auf,
daß J. in der Tat an einem wichtigen Punkt von ihnen abweicht.
Von diesen Theologen war nämlich anerkannt, daß ein Problem
vorliegt, wenn die Theologie im SOV denkt. Gloege und Gollwi.zer
z. B. wollten wie schon F. K. Schumann das Dilemma zerbrechen;
entweder redet man objektivierend von Gott, oder man verwe.st
ihn in die Sphäre der Nichtgegenständlichkeit. Sie versuchten, Gott
in seiner Gegenständlichkeit und in seinem An-und-für-sich-Sem
zu wahren, Gott als Gegenüber festzuhalten ohne sich dem SOV
auszuliefern. Man wartet gespannt, wie J. solche Versuche kritisiert
; aber erst auf S. 410 f. kommt er auf sie zu sprechen, indem
er sie ohne Diskussion als .Verlegenheitslösungen" abtut. - Weil
J. seine Gewährsmänner nicht darstellt, sondern nur ihm passende
Zitate einstreut, kann ihm auch der böse Fehler unterlaufen, daß
er Sätze aus Zusammenhängen, die dem seinigen stracks widersprechen
, für sich anführt, ohne etwas anzumerken; A. Oepkes
Buch „Karl Barth und die Mystik" (1928), in welchem dem großen
Streiter für Gottes Gegenständlichkeit Mystik vorgeworfen wurde
(sonst garantiert für J. ein barthianisches Gottesverständnis gegen
Mystik - vgl. S. 288), spannt er ebenso vor seinen Wagen wie
E. Jüngels .Gottes Sein ist im Werden" (1965), wo entscheidende
Parallelen zwischen Barths Theologie und der existentialen Interpretation
aufgewiesen sind.

J.s These ist nur haltbar, wenn die ausschließende Alternative
gilt: Entweder SOV (bzw. .sov") oder Mystik. Er hätte also beweisen
müssen, daß jede Überwindung des SOV zwangsläufig zur
Mystik führt. Es zeigt sich aber, daß J. diese Alternative voraussetzt
. Gleich auf S. 17 schreibt er: .Wird das Subjekt-Objektschema
vollkommen torpediert, ja eliminiert und aufgehoben, wie erreicht
man dann eine Abgrenzung des eigenen theologischen und philosophischen
Standpunktes gegenüber Karl Jaspers' Definition der
Mystik ..." - es folgt ein Zitat, in dem die Aufhebung des Gegenüberstehens
von Subjekt und Objekt als Merkmal der mystischen
Einstellung bezeichnet wird. Abgesehen davon, daß J. hier wie
öfter (z. B. 151.274) Zitate als Argumente benützt - die Form der
rhetorischen Frage beweist, daß J. unter Mystik nichts anderes
verstehen will als eben die Aufhebung des SOV, und jedes Antasten
des SOV als Annäherung an die Mystik. Noch bevor der
Mystik-Begriff behandelt ist, operiert J. damit wie mit einem
Ergebnis, z. B. S. 183: »Mit der Leugnung des Schöpfungsgedankens
ist auch das SOV restlos geleugnet, die Identität: Subjekt =
Objekt ist gesetzt, und religiös sind wir also gerade in der .
Mystik".

In seiner Argumentation geht J. stillschweigend davon aus,
daß alles im mystischen Sumpf verschwimmt, wenn das SOV
angegriffen wird. Auf S. 161 wundert er sich darüber, daß seine
Gegner zwar behaupten, das Existentielle sei nicht unzweideutig
aussagbar, aber dennoch sehr viel darüber sagen. Er hält es für
eine Inkonsequenz, daß sie nicht das mystische Schweigen pflegen.
Das Hauptproblem von Existenzphilosophie und -theologie an
diesem Punkt wird also überhaupt nicht diskutiert, das Problem
der Sprache nämlich: daß man in beschreibenden Aussagen nicht
wiedergeben kann, was vorgeht, wenn wir faktisch sprechen, weil
im Vollzug des Sprechens nicht nur präsent ist, wovon die Rede
ist, sondern zuvor das Einverständnis der Redenden. Wenn man
mit einem Freund spricht, so ist die Freundschaft präsent, ohne
daß mit einem Wort von Freundschaft die Rede ist. Ist das mystisches
Schweigen? Ist also Bultmannns Distinktion zwischen .Reden
über ...' und .Reden aus ...' inhaltlos? J. erklärt, er wolle sich
von diesem „Gegensatz" nicht „cinfangen" lassen (161). Wie eine
.Rede aus', die keine Begrifflichkeit enthält, eigentlich lauten
würde, darüber kann man verwunderte Betrachtungen anstellen!"
(104). - Das Anliegen seiner Gegner übergeht J. auch, wenn er
ihnen die Intention unterstellt, die personale Begegnung „chemisch
frei von Objektivität, von Sachlichkeit" (169) zu halten. Er hält sie
für genügend widerlegt durch den Hinweis, man könne eine
Person überhaupt nicht kennen, ohne eine Menge objektivierbarer
Daten zu beachten (Stimme, Haltung, Umstände usw. - vgl.
161 ff.). „Es ist uns ganz unverständlich, daß man sich nicht klar
machen kann, daß das Personale nicht nur ein reiner Akt. sondern