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Ausgabe:

1970

Spalte:

530-531

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Möbius, Friedrich

Titel/Untertitel:

Westwerkstudien 1970

Rezensent:

Thümmel, Hans Georg

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 7

530

zierung der Verhältnisse hätte man sich vom Vf. etwas klarer
formuliert gewünscht.

Die Gliederung nach. Bild- und Sinnseite ist so wenig streng
zu nehmen, da5 ihre Berechtigung überhaupt fraglich wird.
Unter .Bildseite' finden sich Dreikonchenbauten (hinter denen der
Deutsche Ritterorden steht, und die letztlich auf den Memor'albau
zurückgehen), der kreuzförmige Zentralbau (als Ausläufer eines
vorgotischen Bautyps), der Vierstützenbau. Wird schon bei dem
letztgenannten Typ gefragt, ob er immer als Zentralbau gemeint
sei, so auch bei den rechteckigen Einstützenräumen. Hierzu
gehören Profanräume, Sakristeien, Kapitelsäle, etc., besonders
auch weitverbreitete Gruppen von Einstützenkirchen. Die wichtigste
Gruppe, die offenbar in Verbindung mit Spitalorden steht,
breitet sich von Böhmen her aus, besonders nach Österreich, wo
der Typus der Dreistützenkirche entsteht. An Zentralbautendenzen
werden vor allem das Zentrieren von Chorumgangskapellen, von
Apsis oder Chor überhaupt, und Westpolygone behandelt, die
ihrerseits wieder den Gesamtbau zentrieren. Die Trierer Liebfrauenkirche
ordnet G. in eine Gruppe zentraler Marienkirchen
ein, deren Prototyp das 610 zur Sta. Maria Rotonda gewandelte
Pantheon ist.

Unter der Überschrift ,Die Sinnseite' sind hauptsächlich Gruppen
von Zentralbauten zusammengestellt, deren Tradition letztlich vom
frühchristlichen Memorialbau hergeleitet wird (den G. irrigerweise
für eine Verallgemeinerung des Hl. Grabes hält). Das gilt
für die weitverbreiteten, aber nur in Österreich gehäuft als Zentralbau
auftretenden Karner, für Spital- und Pilgerkirchen, für
Zentralkrypten wie für Memorialbauten in Gestalt von Chorhauptrotunden
oder Zentral-Anbauten. Dagegen sind die meisten der
angeführten Hl. Grab-Bauten, soweit sie überhaupt der gotischen
Zeit angehören, als solche fraglich. G. will sie auch nur als Brücke
zu Grabbau, Friedhofs- und Spitalkirche verstanden wissen. Auch
Ettal und die Karlshofer Kirche in Prag werden aus der Spitaltradition
hergeleitet. Als eigene Gruppe sind die klösterlichen
Brunnenhäuser behandelt. Dafj in ihnen die Idee des zentralen
Baptisteriums wieder aufleben soll, leuchtet mir jedoch nicht ein.
Dagegen ist dem Vf. eine überzeugende Deutung der englischen
Chapter-houses gelungen, nämlich als gemäfje architektonische
Form für die Sitzungen weltlicher Kapitel, die aus gleichrangigen
Mitgliedern bestehen.

Der Hcrleitung vieler Zentralbauten vom Grab- und Memorialbau
kann kaum widersprochen werden. Doch handelt es sich hier
um derart verblaßte und verallgemeinerte Tradition, dafj kaum
noch von bewu5ter Gestaltung gesprochen werden kann. Dieser
Eindruck verstärkt sich, wenn man bedenkt, dafj nur ein (meist
ziemlich kleiner) Teil der Kirchen gleicher Zweckbestimmung
oder gleichen Symbolgehaltes Zentralbauten sind, während andererseits
Kirchen aller Art als Zentralbauten ausgeführt oder doch
zur Zentrierung tendieren können. Vielleicht hätte sich hier noch
mehr Klarheit gewinnen lassen, wäre der Vf. noch kritischer
gewesen.

Dabei sind gerade die kritischen Partien des Buches Glanzleistungen
, so etwa, wenn die Meinung widerlegt wird, die Templer
hätten für ihre Kirchen den Zentralbau bevorzugt (pp. 289 ss),
oder wenn Theorien über den Chor des Aachener Münsters und
dessen Nachfolge zurückgewiesen werden (pp. 164 ss, 285 ss).
Besonders auf dem Gebiet der Deutung, wo der Phantasie allzuleicht
freier Lauf gelassen wird, ist kritische Haltung gefordert.
Hier ist nicht anders weiterzukommen, als dafj an die Stelle
vorschneller Vermutung von Zusammenhängen die exakte Analyse
von Denkmälern und Quellen tritt, und ehe Bedeutungen konstatiert
werden, sollte erst einmal nach dem Zweck der Räume
gefragt werden. Hier tappen wir weithin im Dunkeln, die Quellen
sagen kaum etwas aus, und jedes noch so kleine Ergebnis muß
mit Dank entgegengenommen werden. Vielleicht hätte, trotz aller
Schwierigkeiten, die vorliegende Arbeit etwas mehr hierin leisten
können.

Ein Beispiel möge dies demonstrieren: Ist der Grundrifj eines
Bauwerks annähernd punktsymmetrisch konzipiert, so kann in
architektonischer Hinsicht von einem Zentralraum gesprochen
werden. Nicht ganz so verhält es sich mit einem Raum. Ein
schlichter Rechteckraum kann in einen Zentralbau oder gerichteten
Raum verwandelt werden, je nachdem, ob sich das Hauptinventarstück
in der Mitte oder an einer Seite befindet. Gleiches g'lt für
die Einstützenräume. G. bezeichnet durchaus das Problem durch
verschiedenartige Definitionen: Die Architektur ist zwar auf ein
Zentrum bezegen, doch ist die Mitte verstellt, der R um ist
zentrifugal, nicht zentripetal (pp. 12, 96, 106 s). Ob ein wirklicher
Zentralbau vorliegt, wird letztlich an der Gewölbebilding, dem
zentrierenden Schirm, entschieden. Doch scheint mir eine andere
Frage wichtiger, nämlich ob der Altar sich in den Einstützenkirchen
an der Wand oder an der Mittelstütze befand. Diese
Frage wird in ganz anderem Zusammenhang im Nebensatz beantwortet
(p. 132): in den Einpfeilerkirchen stand fast regelmäßig
der Altar am Pfeiler. Ein solcher Raum ist dann aber nicht zentrifugal
zu nennen, vielmehr betont der Pfeiler den Altar als Ausrichtungspunkt
. Die Frage nach dem Platz der Altäre zu s'.ellen,
wäre auch an anderer Stelle nützlich gewesen.

Eine knappe Kritik mußte vor allem die m. E. schwachen
Stellen herausarbeiten, an denen eine Weiterarbeit lohnt. Darüber
sollte nicht vergessen! werden, dem Vf. für seine sorgfältigen
Einzeluntersuchungen an einer umfangreichen Materialsammlung
zu danken, die uns erstmalig eine Übersicht über den gotischen
Zentralbau ermöglichen. Eine reiche Illustration erleichtert die
Lektüre.

Greifswald Hans Georg Thihnmel

Möbius, Friedrich: Westwerkstudien. Jena: Friedrich-Schiller-
Universität 1968. 186 S. m. 20 Abb. a. Taf. gr. 8°.

Seit sich die kunsthistorische Forschung von der rein stilkritischen
Betrachtung löste und auf dem Gebiete der Architektur
stärker nach Funktion und Bedeutung des Bauwerkes und seiner
Teile fragte, standen besonders zwei Themen im Vordergrund:
Krypta und Westwerk. Letzterem ist die vorliegende Arbeit gewidmet
, die die überarbeitete Fassung einer Jcnenser philos.
Habilitationsschrift von 1967 darstellt. Behandelt ist der älteste
Vertreter, das Westwerk zu Centula (gew. 799), weil nach Meinung
des Vf.s sich ,am Ursprungsbau . .. Zweck- und Bedeutungsfaktoren
am reinsten erweisen' lassen (p. 7).

Nach einer Diskussion der Ergebnisse früherer Forschung
durchleuchtet M. die Verhältnisse Centulas. Als sehr verdienstvoll
ist anzuerkennen, dafj hier ein Kunsthistoriker sich in Nachbargebiete
eingearbeitet hat. Das Ergebnis ist ein) sehr aufschlußreiches
Porträt des Grafen, Provinzstatthalters und Laienabtes
Angilbert wie des Klosters Centula als Zentrum der Provinz
Ponthieu. Das Ineinander von geistlicher und weltlicher Herrschaft
wird ebenso deutlich wie die soziologische Struktur des Klosters
als einer staatlichen Verwaltungszentrale. Doch ist zu fragen, ob
nun auch das Westwerk eine befriedigende Erklärung erhält.
Wozu ist dieses relativ selbständige architektonische Gebilde geschaffen
worden, das turmartig der Klosterkirche im Westen
angelagert ist?

M. versucht, meist im Anschluß an die ältere Forschung, mehrere
Zwecke nachzuweisen. So verlegt er (1.) die Hoftage, die
Angilbert als Provinzstatthalter abhielt, und als deren Ort die
Kirche bezeugt ist, in das Westwerk. Die Hypothese wird mit der
vermuteten Eignung des Raumes für solchen Zweck begründet.
Weiterhin (2.) versucht M., das Centuler Westwerk als Stätte des
Sendgerichts zu erschließen, was einige Wahrscheinlichkeit für
sich beanspruchen kann. Weniger einleuchtend erscheint mir
(3.) der Wehrzweck, den M. für das Westwerk in Anspruch nimmt.
Dessen fortifikatorischer Wert war gering; und der Vf. tendiert
denn auch stärker dahin, im Westwerk den Wehrgedanken symbolisiert
zu sehen. Die Bestimmung des (4.) Kultzwcckes schließlich
kann sich auf ein besseres Quellcnmaterial stützen. M. arbeitet
hier besonders zwei Gesichtspunkc heraus, den „Salvatorkult" und
die Rolle des Volkes. Er sieht in dem (bei den Karolingern
beliebten) Salvatorpatrozinium im Westwerk den triumphierenden,
herrschenden Christus repräsentiert, der wiederum Bild des
irdischen Kaisers ist - so daß die Verehrung des Salvators durch
das Volk zur Darstellung der Unterordnung unter die kaiserliche
Macht wird. Da der Kultzweck der Hauptzweck war, mit dem die
von gleicher Struktur bestimmten Nebenzwecke zusammenwachsen
konnten, versteht M. das Westwerk als Abbild frühfeudaler
Gesellschaftsverhältnisse.