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Ausgabe:

1970

Spalte:

522-523

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Palladius, Peter

Titel/Untertitel:

Skrifter af Peder Palladius; 8 1970

Rezensent:

Kjöllerström, Sven

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Theologische Litcraturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 7

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deckt" worden ist. Er ist der erste Theologe, der die Personeinheit
von Gottsein und Menschsein Jesu als „gleich sichere" Grundlage
für die Realpräsenz neben das Verständnis der Einsetzungsworte
stellt und gleichzeitig den Sachgehalt der Himmelfahrt Jesu in
systematischen Zusammenhang mit der Personeinheit bringt. Das
2. Kapitel beschäftigt sich mit den christologischen Implikationen
der Stellungnahme der lutherischen Theologen im Bremer Abendmahlsstreit
mit Albert Hardenberg. Hier kam Johannes Timann
in Bremen das Verdienst zu, Luthers Argumentation der zwanziger
Jahre wieder in das Gespräch der fünfziger Jahre einzubringen
, was wiederum zu Spannungen mit Melanchthon führen
mußte, der gegen seine Schüler erneut sein Verständnis der
communicatio idiomatum einschärfen mußte. Mit diesem unterschiedlichen
Verständnis der communicatio idiomatum beschäftigt
sich das 3. Kapitel. Es untersucht umsichtig und eingehend
Melanchthons Haltung in dieser Frage und stellt ihr die Kritik
der Melanchthonschüler gegenüber: der Thüringer Theoloqen um
Johann Friedrich den Mittleren sowie Hörnhusens und Wigands.
Vor allem aber wird hier das Verdienst Johannes Bötkers notiert,
der als erster den Begriff der communicatio idiomatum realis zum
Spezifikum des lutherischen Verständnisses der Personeinheit gemacht
hat - in bewußtem Gegensatz zu (wie Mahlmann einmal
formuliert) der „Kunst, jeden Satz des Jesuszeugnisses zugleich
zu bejahen und zugleich zu verneinen" (S. 246). Daß Gott selbst
die Taten Jesu tut - diese Intention führt entschieden zu Luther
zurück. Bötkers Christologie setzt beim irdischen Jesus an und
rückt die Himmelfahrt an die letzte Stelle der Bemühungen der
Realpräsenz. Damit sieht Bötker auch das ehristologische Problem
im Streit um Oslander gelöst, mit dem sich das 4. Kapitel des
Buches beschäftigt. Im Streit mit Osiander stellt sich heraus, daß
es in der Überholung melanchthonischer Dcnkmodelle, denen auch
Osiander verpflichtet ist, um die Heilsfrage geht und damit um
das Überleben der Reformation Luthers über die erste Generation
hinaus. Diese Beobachtung demonstriert Mahlmann in der großen
Breite theologischer Stellungnahmen im Osiandrischen Streit.
Somit ist aber eine Christologie entstanden, die nicht mehr an die
Abendmahlslehrc gebunden ist, sondern zu sich selbst gekommen
ist. Und so befaßt sich das 5. Kapitel als das umfangreichste des
Buches mit dem ersten christologischen Entwurf des Johannes
Brenz und seiner Auswirkung auf die Lehre von der Realpräsenz.
Daß Brenz Bötkers theologische Leistung rezipiert, ist der Grund
dafür, daß Bötker vergessen worden ist. Andererseits darf nicht
übersehen werden, daß Brenz die Eigentümlichkeit seiner Position
in der Auseinandersetzung nicht mit den Schweizern, sondern mit
der römischen Theologie gefunden hat und somit die mögliche
Deutung impliziert, daß Luthers Kritik an den Schweizern in
bruchlosem inneren Zusammenhang mit seiner Kritik an Rom
steht. Mahlmann stellt deutlich heraus, in welch starkem Maße
Brenzens christologischer Beitrag Schrifttheologie ist - trotz
aller spekulativ anmutenden Aussageformen. Den gefährlichsten
Schritt freilich tut Brenz dort, wo er die Inthronisation Jesu in die
Gottesherrschaft der Modalität der Notwendigkeit unterstellt. Dies
wird im Verein mit dem von der theologia crucis ablösbaren
Gottesverständnis Brenz' eine starke innere Belastung für die
werdende lutherische Christologie und Abendmahlslehre werden.
Ferner mußte die tiefe Berührung mit Luther zu neuen sachlichen
und persönlichen Spannungen mit Melanchthon führen, die dann
auch in den Verhandlungen der Stuttgarter Synode von 1559 ihren
stärksten Ausdruck fanden. Im Kapitel 6 untersucht Mahlmann den
Versuch kritischer Aneignung des ersten Stadiums lutherischer
Christologie bei Martin Chemnitz und ergänzt diese Untersuchung
im Schlußabschnitt durch eine Wündigung von Selncckers Stellungnahme
von 1561. Für beide Theologen ist charakteristisch der
starke Rückgriff auf die Exegese und der Rekurs auf die Menschheit
Jesu, was für Chemnitz Kritik an Bötker und Brenz bedeutet.
Chemnitz' Entwicklung der drei genera der communicatio idiomatum
beweist gleichzeitig den Versuch, so weit wie möglich im
Rahmen melanchthonischer Lehrtradition zu formulieren.

Was ist die Bedeutung des Buches von Mahlmann? Forschungs-
geschichtlich stellt es einen weiteren Ansatz dar, von der traditionellen
Sicht der Dogmengeschichte des Protestantismus loszukommen
. Auf Grund souveräner Kenntnis der Quellen bietet es an
nicht wenigen Punkten eine Korrektur Otto Ritschis und hilft,
das verpflichtende Erbe des Lebenswerkes Hans Emil Webers ein

weiteres Stück weit aufzuschließen und breit zu untermauern.
Dadurch, daß Mahlmann in dem von ihm untersuchten Zeitraum
eine „Gegenbewegung gegen die traditionell-metaphysiche Christologie
" entstehen sieht, die in ständigem Rückgriff auf das Christuszeugnis
des Neuen Testaments, speziell der Evangelien-Christologie
nicht als Zweinaturenlehre, sondern als Personeinheitslehre versteht
, ist das Buch so etwas wie eine Fortsetzung des dogmengeschichtlichen
Werks Werner Elerts für die Zeit der werdenden
lutherischen Orthodoxie (beispielsweise schreibt Mahlmann: „Brenz
geht . .. auf der unanfechtbaren Grundlage von Chalkcdon mit
Chalkedon über Chalkedon hinaus" (S. 141). Hierzu kommt, daß
sich das Buch über weite Strecken hin wie ein Beitrag zur gegenwärtigen
christologischen Kontroverse liest, da es Mahlmann
gelingt, die Denkbewegungen des beschriebenen Jahrzehnts für
den heutigen Leser zu interpretieren. Wiederum widersteht Mahlmann
der Versuchung, die Probleme zu modernisieren. Auf den
letzten beiden Seiten gibt er sich Rechenschaft über die Grenzen
der christologischen Arbeit zwischen 1551 und 1561 (und darüber
hinaus). Er sieht sie im Fehlen einer kritischen Reflexion des
traditionellen Natur- und Personbegriffs.

Leider kann auf die Fülle von interessanten Einzelbcobach-
tungen nur kurz hingewiesen werden, etwa auf die Beobachtung,
daß der Terminus Ubiquität zuerst von Albert Hardenberg in die
Diskussion eingeführt worden ist (S. 50). Mahlmann macht dem
Leser die Lektüre seiner tiefgründigen und eindringenden Interpretationen
nicht immer leicht und gerät bisweilen an die Grenze
der Lesbarkeit (S. 97: „Diese grobe Einstellung der Melanchthoni-
schen Lehre von der um willen der Genugtuung des Gott in Sub-
sistenzeinheit verbundenen Menschen Jesus dem Sünder zugerechneten
Gerechtigkeit dient Osiander denn auch ..."). Trotzdem
wächst bei der Lektüre des Buches die Überzeugung: Solche
Untersuchungen brauchen wir, um eine für die Theologie wenig
schmeichelhafte Blindheit für die Wirkungsgeschichte der Reformation
endlich zu überwinden.

KBrner/ThUr, Ernst Kooh

(Palladius, Pedcr:) Skrifter af Peder Palladius. Hidtil utryktc
latinske skrifter ved Martin Schwarz Lausten under medvirken
af N.J. Green-Pedersen. K0benhavn: Gad 1968. VIII, 197 S.
gr. 8J Carlsbergfondet og I. Oskar Andersens Fond af Dct
danske Sprog-og Litteraturselskab under tilsyn af N. K. Andersen
, P. J. Jensen. Dän. Kr. 40,-.

In den Jahren 1911-1926 gab dr. phil. Lis Jacobsen die dänischen
Schriften des dänischen Superintendenten für Seeland, Peder
Palladius, heraus. Dct danske Sprog- og Litteraturselskab hat
jetzt auch Peder Palladius' lateinische, bisher ungedruckte Schriften
erscheinen lassen. Als Herausgeber zeichnet cand. theol. Martin
Schwarz Lausten in Zusammenarbeit mit stud. mag. Niels J0rgen
Green-Pedersen. Mehrere von den jetzt zum ersten Mal gedruckten
Schriften von Peder Palladius entdeckte Lausten in verschiedenen
Bibliotheken und Archiven: im Staatlichen Archivlager in Göttingen
, im Staatsarchiv in Greifswald, in Det Kongelige Bibliotek
in Kopenhagen, in Rigsarkivct in Kopenhagen und Stiftsbiblio-
teket in Växjö (Schweden). Die äußerst sorgfältig ausgearbeitete
Edition umfaßt 35 verschiedene Schriften, in der Hauptsache
Briefe sowie Entwürfe zu sog. Kasualreden oder Begräbnis- und
Hochzeitsansprachen. Ein Fragment von einer vermutlich umfangreicheren
Schrift handelt von der „crux" und „benedictio" der Ehe.
Der älteste Beitrag, „Expeditio pro pastoribus", stammt von 1541
und ist zugleich die älteste von Pedcr Palladius fünf „expeditiones"
mit Anweisungen und Ermahnungen an die Pfarrer seines Sprengeis
. Der letzte Beitrag ist ein Schreiben an die Superintendenten
über die Feier von drei aufeinander folgenden Bettagen anläßlich
deS Todes von Christian III. am 1. Januar 1559. Dieses Schreiben
trägt das Datum des 8. Februar 1559. Einige Monate darauf starb
Palladius.

Die wichtigsten Beiträge der vorliegenden Sammlung sind vier
katechetische Arbeiten und Palladius' „Iuditium de libello confes-
sionis D. Andreae Osiandri" vom 5. Januar 1552.

Peder Palladius, wie die Männer der Reformation überhaupt,
schätzte Luthers Kleinen Katechismus ganz besonders hoch. Gleich
nach seiner Heimkehr aus Wittenberg 1537 übersetzte Palladius