Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1970

Spalte:

519-520

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Grane, Leif

Titel/Untertitel:

Protest og Konsekvens 1970

Rezensent:

Löfgren, David

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

519

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 7

520

KIRCHENGESCHICHTE: REFORMATIONSZEIT

Grane, Leif: Protest og Konsekvens. Faser i Martin Luthers
taenkning indtil 1525. Oslo: Gyldendal [1968). 225 S. 8°.

Leif Grane hat seine größten Leistungen in der Forschung in
dem Grenzgebiet zwischen Scholastik und Reformation vollbracht.
Sein letztes Buch behandelt Luthers Protest gegen die via moderna
und die daraus folgenden Konsequenzen für sein Denken und
praktisch-religiöses Handeln.

Wie fruchtbar die Kenntnis von Luthers ursprünglicher Abhängigkeit
und stufenweise erfolgender Befreiung von der Spätscholastik
sein kann für das Verständnis vom theologischen Werdegang
des Reformators, zeigt sich nicht am wenigsten in Granes
Durchforschen von Luthers verschiedenen .Entwicklungsphasen"
bis zum Jahre 1525.

Der Ausgangspunkt und gleichzeitig das durchgehende Thema
des Buches ist die philosophische Schulung des jungen Studenten
Luther in der via moderna (Kap. 1). Die Trennung des Occamis-
mus zwischen Vernunft und Offenbarung, dessen abweisende Haltung
gegenüber dem Aristotelismus und nicht am wenigsten die
Behauptung, die einzelnen Dinge können in intellektueller Weise
unvermittelt verstanden werden, waren Überzeugungen, die der
junge Student in Erfurt in das darauf folgende Studium der
Theologie mitbrachte. „Wenn die wahre Wirklichkeit die einzelnen
konkreten Dinge auch in der menschlichen Welt sind, dann wird
jeder Kompromiß im Verhältnis zu Normen und Forderungen
undenkbar" (S. 31). Luthers Ernsthaftigkeit im Ringen mit dem
Problem der Schuld hat hier ihre Wurzeln, eine Ernsthaftigkeit,
die als ein Resultat des konsequenten Denkens, das die philosophische
Schulung des jungen Luther geschaffen hat, verstanden
werden kann.

Unter Verwendung dieser These versucht Grane, die Gedanken
des Mönches während des Klosterkampfes (Kap. 2), die Bibelauslegungen
des jungen Dozenten in Wittenberg (Kap. 3), die
Kritik des Professors an der Scholastik, die im Jahre 1517 in den
Thesen vom Ablaß gipfelte (Kap. 4), die Auseinandersetzung des
Reformators mit dem kanonischen Kirchenrecht (Kap. 5) und dem
römischen Begriff der Autorität (Kap. 6) zu verstehen.

Ohne dafj sich Luther selbst der Wurzeln und Motive seines Denkens
ganz bewußt war, ist damit die Reformation eine Bewegung
geworden, die er nicht aufhalten konnte. Die Konsequenzen
seines Protestes, vor allem gegen die Scholastik, versucht Grane
sowohl in bezug auf Luthers Grundgedanken als auch in bezug
auf sein praktisch-kirchliches Engagement in den zwanziger
Jahren, vor allem seine neue Sozialethik und seine Lehre von den
Sakramenten (Kap. 7) und nicht am wenigsten seine Auffassung
vom Verhältnis zwischen Kirche und Staat (Kap. 8) zu beschreiben.

Unterdessen hatte sich ein neuer Gegner angemeldet. In der
Auseinandersetzung mit den „Schwärmern" und mit der Stellungnahme
im Bauernaufruhr nimmt Luthers Denken eine neue Richtung
(Kap. 9). Im Laufe dieses Kampfes meldete sich noch ein
Gegner an, der Humanist Erasmus, der Luther Anlaß gab, eine
gründliche und zusammenfassende Darstellung seiner ganzen
Auffassung zu geben (Kap. 10).

Granes Buch gibt einen überzeugenden Beweis für die Geschlossenheit
, die das Denken des Reformators prägt. Was Luther
schreibt oder sagt, ist oft Antwort auf gegebene Herausforderungen
. Die Antworten Luthers gehen nichtsdestoweniger immer
von einem bestimmten Zentrum aus. Er zeichnet sich außerdem
durch eine außergewöhnlich große Einheit von Gedanken und
Willen aus. Karl Jaspers, der eigentlich Luther wegen seines
Hasses gegen die Philosophie wenig schätzt, hat Luther gelobt,
weil dieser schon zu seiner Zeit die Grundgedanken der Existenzphilosophie
, welche erst in unserer eigenen Zeit Anklang gefunden
hat, verwirklicht habe.

Grane steht also der „existentialistischen" Lutherforschung nahe.
Der Lutherforscher ist Biograph. Luthers Theologie ist eine
Spiegelung der geistigen Geschichte eines einzelnen Menschen.
Gleichzeitig aber analysiert Grane systematisch das Gedachte. Es
zeigt sich, daß die Gedanken „Konsequenzen" haben, d. h. es gibt
ein steuerndes Zentrum Seite an Seite oder eher parallel und
vereint mit dem Zentrum des existentiellen Kampfes. Und dieses

Zentrum hat nach Grane seine Wurzeln in der philosophischen
Schulung des jungen Luther.

Dieser Entwurf zu Luthers Theologie ist Granes besonderer
Beitrag zur Lutherforschung. Übrigens begnügt er sich in diesem
Zusammenhang damit, schon ziemlich bekannte Forschungsresultate
weiterzugeben. Die unkritische Abhängigkeit von G. Ebeling
und H. Östergaard-Nielsen ist auffallend, aber deren Einfluß wird
glücklicherweise auf eine wohltuende Weise durch Anregungen
von u. a. W. Link und R. Hermann ausgeglichen.

Diese Abhängigkeit kann aber nicht die Tatsache verdecken,
daß wir in Grane einen jungen und vielversprechenden skandinavischen
Luther-Forscher haben, mit der Fähigkeit, die Gedankenwelt
des Reformators klar zu erhellen und lebendig zu gestalten.
Besonders wertvoll ist die Analyse des „Protestes" Luthers. Was
anfänglich Fundament von Luthers gedanklichen Bemühungen war
(via moderna), wurde später sein Gegner, Damit wurde er nicht
nur dazu geführt, die mittelalterliche Anthropologie und Soterio-
logic zu mißbilligen, sondern auch die ganze Art. wie die Scholastik
Theologie betrieb. Grane greift nicht die brennende Frage auf,
die von katholischen Lutherforschern heute gestellt wird, nämlich
ob sich Luther mit seiner Mißbilligung nicht grundlos außerhalb
des traditionellen christlichen Erbes des heiligen Thomas und der
via antiqua stellte. Eine Stellungnahme zu dieser Frage erwarten
wir jetzt mit großer Spannung in der weiteren Produktion des
fleißigen Kopenhagener Professors.

Grane schließt mit dem Jahr 1525 ab. Er meint, nach diesem
Datum komme nichts Wichtiges mehr dazu im geistigen Werdegang
Luthers. Alles, was Luther später sagt, sind Variationen schon
behandelter Themen und früherer Standpunkte.

Die Frage ist aber, ob nicht gerade das, was man den existentiellen
Zug bei Luther zu nennen pflegt, mit den Jahren zwar
nicht verschwindet, aber doch weniger auffallend wird zugunsten
einer mehr nuancierten und durchdachten Totalauffassung, in der
die Ansätze der Lehre von der Dreieinigkeit, der altkirchlichen
Christologie und seiner Schöpfungsthcologic verstärkt werden.

Grane schreibt auf dänisch und er wendet sich an einen grö
ßeren Leserkreis als den Fachtheologen. Nichtsdestoweniger
ist sein Buch sehr wohl als theologisches Lehrbuch im Denken
der Reformation geeignet. Eine Übersetzung des Buches auf deutsch
und englisch ist wünschenswert; Bücher dieser Art sind leider
eine Seltenheit. Grane schreibt nämlich sowohl klar und fesselnd
als auch nuanciert über schwere Probleme, so daß das Interesse
beim Leser von der ersten bis zur letzten Seite wachgehalten wird.

Lund ünvid UtgttU

Mahlmann, Theodor: Das neue Dogma der lutherischen Christologie
. Problem und Geschichte seiner Begründung. Gütersloh:
Gütersloher Verlagshaus G. Mohn [1969], 271 S. gr. 8°. Lw.
DM 34,-.

Dem Titel dieser Marburger Habilitationsarbeit ist nicht ohne
weiteres zu entnehmen, womit sie sich befaßt. Der Leser ist
jedoch sehr bald von der Art und Weise gefangen, in der er
durch - wie Vf. mit Recht feststellt - forschungsgeschichtlichc
terra incognita geführt wird: durch die Anfänge lutherischer
Christologie im Jahrzehnt zwischen 1551 und 1561.

Zum Inhalt des Buches: Die Denkbewegung lutherischer Christologie
in diesem Zeitraum wird in 6 Kapiteln vorgeführt. Das
1. Kapitel geht von der Abendmahlslehre der Confutatio Herzog
Johann Friedrichs des Mittleren von 1559 aus und zeigt an ihr,
wie ihre Verfasser eine Lehre von der Realpräsenz gewinnen
wollen, die streng auf den Literalsinn der Einsetzungsworte bezogen
ist und von expliziten christologischen Erwägungen absieht.
Ein solches Vorgehen bedeutet historisch ein Zurückschneiden
von Luthers Methode im ersten Abendmahlsstreit auf die Position
Melanchthons. Freilich war alsbald der Rückgang vom Wort auf
das Subjekt des Wortes nicht zu umgehen. Und so begegnet man
notwendigerweise bei Paul von Eitzen und bei Westphal Erwägungen
, die eben doch christologischer Art sind. Die Exegese der
Abendmahlsworte Jesu setzt bestimmte christologische Grundentscheidungen
voraus, deren Erwägung in diesem Stadium der
Entwicklung jedoch nie verselbständigt wird. Das wird erst anders
bei Johannes Bötker aus Hamburg, der von Mahlmann erst „ent-