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Ausgabe:

1970

Spalte:

30-32

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Brandon, Samuel G.

Titel/Untertitel:

The trial of Jesus of Nazareth 1970

Rezensent:

Balz, Horst

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 1

80

Die vorliegende Arbeit ist die erweiterte Fassung einer von der
Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom 1966/67 angenommenen
Dissertation. Der Vf., von systematischen Interessen herkommend
, hat sich mit ihr ein exegetisches Exercitium auferlegt
, dessen wesentliches Ziel es ist, eine neue Interpretation
der Zeitbestimmung „auferweckt am dritten Tage nach der
Schrift" innerhalb der vorpaulinischen Bekenntnisformel 1. Kor.
15,3-5 zur Diskussion zu stellen. Die Hypothese wird auf einem
breiten Anmarschweg höchst sorgfältig und gezielt vorbereitet.
Dabei setzt sich L. in selbständiger Weise mit der gesamten
neueren Literatur zu diesem bedeutsamen urchristlichen Text
auseinander.

Ein erster Abschnitt behandelt die sprachliche und formgeschichtliche
Struktur von 1.Kor. 15,3-5 (S. 17-157). Schon
hier zeigt sich, daß L. den Ergebnissen der sog. kritischen Exegese
zwar nicht ablehnend, doch aber zurückhaltend gegenübersteht
. Paulus hat seine korinthischen Gegner nicht naiv mißverstanden
, sondern einfach „keine genaue Einzelkenntnis" besessen
(S.23). Bekenntiiistraditionen eignet er sich zwar selbständig
an, nicht aber so, daß er sie nur als Denkanstöße benutzt
(S.35). Übernommene Formeln müssen stärker als bisher
„als verdichteter Reflex einer umfassenderen Verkündigung"
betrachtet werden (S. 64), wobei in keinem Falle die wortwörtliche
Gestalt sicher ist (S.66). Den beiden Aussagereihen (gestorben
, begraben - auferweckt, erschienen) eignet eine „antithetische
Funktion" (S. 72), die aber nicht gegen die ursprüngliche
Einheitlichkeit der Formel geltend gemacht werden kann
(S.76). Gegen Conzelmann und im Anschluß an J.Jeremias und
E.Lohse wird eine semitische Urgestalt angenommen, die „am
ehesten aus der aramäisch sprechenden Gemeinde von Jerusalem
stammt" (S. 112). Die traditionsgeschichtlich differenzierenden
Analysen von U.Wilckens, W.Kramer und F.Hahn werden als
ungcschichtliche Abstraktionen verworfen. Es ist „kaum begreiflich
", wie man von einer „nicht ganz kurzen Vorgeschichte"
der Formel sprechen kann (S. 154).

Der zweite Abschnitt wendet sich konkreten Interpretationsversuchen
der Aussage „auferweckt am dritten Tag nach der
Schrift" zu (S. 159-350). Das NT selbst bringt die Zeitangabe
weder mit den ersten Erscheinungen noch mit der Auffindung
des leeren Grabes in Verbindung, verwehrt also eine geschichtliche
Ableitung (S. 163). Die Möglichkeit, daß Jesus in einer nicht
mehr genau erkennbaren Form von der „Vollendung" am dritten
Tage bzw. nach drei Tagen gesprochen hat (vgl. Luk. 13,31-33;
Mark. 14,58 parr.), wird dagegen ernsthaft erwogen, jedoch nicht
mit der vorpaulinischen Bekenntnisformel in Beziehung gesetzt
. Die Anfänge der urchristlichen Sonntagsfeier wie auch
gewisse religionsgeschichtliche Analogien scheiden als Ableitungsmöglichkeiten
aus. Die heute weit verbreitete Herleitung
aus Hosea 6,2 grenzt den Hintergrund zu sehr ein und läßt
außerdem noch die Frage offen, in welchem Sinne die Zeitangabe
hier ursprünglich verstanden wurde. Wie schon bei der
Sühneaussage „für unsere Sünden" dürfte Bich auch bei der Angabe
„am dritten Tage" die Wendung „nach den Schriften" in
erster Linie nicht auf einzelne Schriftstellen, sondern auf die
ganze Schrift beziehen, zumal es sich um das Geschick des
Messias handelt. Weiterführen kann dann nur die Rückfrage
nach der jüdischen Schriftauslegung „zwischen den Testamenten
".

Damit ist der Punkt erreicht, an dem L. seine eigene Interpretation
vorträgt (S. 262-290). Er verweist auf die Rolle des
drittenTages in einigen Midraschim. Zweimal findet sich hier das
Theologumenon: „niemals läßt Gott die Gerechten (bzw. die
Israeliten) länger als drei Tage in Not" (Bereschit Rabba par.91;
Either Rabba par. 9). Der Satz wird abgeleitet aus Stellen des
AT, an denen der dritte Tag eine entscheidende Wende markiert
(Gm.22,4; 42,17; Jona 2,1; Esther 5,3; Hosea 6,2). Bereschit
Rabba par. 56 fügt weitere Belege hinzu (Jos.2,16; Ex.19,16;
Eira 8,15), bringt jedoch den theologischen Satz nicht. Der
dritte Tag ist hier als „der Tag der Heilswende" verstanden
(S.264), als „Rettungstag" (S.267). Diese „Theologie des dritten
Tages" sei, so meint L., der Hintergrund für die Zeitangabe
l.Kor. 15.4 b (S. 280), die mithin „eine streng theologische Interpretation
und keine geschichtliche Bestimmung" ist (S.339).
L. zieht abschließend die Linie noch weiter aus und handelt

vom „triduum mortis" in der alten Kirche sowie von der Bedeutung
des fraglichen Bekenntnissatzes in der heutigen theologischen
Problematik, worüber hier nicht referiert zu werden
braucht.

L.s Hypothese bedeutet, daß die Wendung „am dritten Tag"
genauso als soteriologische Interpretation zu verstehen ist wie
die vorausgehende Wendung „für unsere Sünden". Doch leuchtet
das nicht ohne weiteres ein, ganz abgesehen davon, daß hier
einer knappen Formulierung eine übergroße Bedeutungslast aufgebürdet
wird. Daß der Tod Christi ausdrücklich soteriologisch
interpretiert wird, ist einsichtig. Doch gilt nicht dasselbe von
der Auferweckung Christi, da sie bereits an sich ein Heilsgeschehen
darstellt. Außerdem setzt die Logik jener „Theologie
des dritten Tages" voraus, daß der Tod Christi als Katastrophe
verstanden ist, was wiederum durch die soteriologische Interpretation
„für unsere Sünden" verwehrt wird. In sich problematisch
sind darüber hinaus Verbreitung und Alter jener von
den Midraschim bezeugten „Theologie des dritten Tages". Wer
die Bekenntnisformel l.Kor. 15,3-5 traditionsgeschichtlich anders
beurteilt als L., wird ihm gleichfalls nicht folgen können.
Endlich bemerkt L. zwar, daß schon 1920 G.Kittel auf jenes
jüdische Theologumenon vom dritten Tag aufmerksam gemacht
hat (Rabbinica, S.35f.), unterläßt aber den Hinweis, daß ebenfalls
bereits Kittel die heute von L. vorgetragene Hypothese
kurz erwogen, dann jedoch entschieden verworfen hat. So bleibt
bei aller immensen Arbeit, die L. geleistet hat, zuletzt der Eindruck
zurück, daß eine für modernes Empfinden „fatale" urchristliche
Angabe exegetisch erleichtert werden soll. Die Frage
nach den unausgesprochenen hermeneutischen Voraussetzungen
, die L. mehrfach an andere Exegeten richtet, möchte der
kritische Leser an ihn selber zurückgeben.

Als Nachwort bringt L. eine kurze Auseinandersetzung mit
J. Blank, Paulus und Jesus (München 1968). Literaturverzeichnis
, Schriftstellen-, Autoren- und Sachregister erhöhen den Wert
des Buches als Informationsquelle.

Leipzig Günter Haufe

Brandon, S. G. F., Prof.: The Trial of Jesus of Nazareth. London:
Batsford [1968]. 223 S. m. 2 Ktn, 26 Abb. a. Taf. gr. 8°. Lw.
42 s.

Das vorliegende Buch des Professors für vergleichende Religionsgeschichte
in Manchester, S. G. F. Brandon, gehört in die
große Zahl der allgemeinverständlichen Untersuchungen historischer
Prozesse, die die Nachkriegszeit hervorgebracht hat. Es
führt die vom Vf. schon früher (The Fall of Jerusalem and the
Christian Church, 1951; Jesus and the Zealots, 1961) im Anschluß
an R. Eisler verbreiteten Thesen über den zelotischen
Charakter der Bewegung Jesu am Beispiel seines Prozesses und
seiner Hinrichtung durch die Römer durch. Das Erscheinen des
Buches in einer Historic-Trials-Series und seine Ausstattung
mit vorzüglichen Abbildungen machen deutlich, daß es auf Breitenwirkung
angelegt ist. Durch die Art der Darstellung, den
30-seitigen Anmerkungsteil, die beigegebene englische Synopse,
die Bibliographie (die J.Carmichael nicht nennt) und ausführliche
Register wird zugleich der Anspruch auf wissenschaftliche
Geltung erhoben.

Brandon geht von einer Sichtung der Überlieferungsverhältnisse
der urchristlichen Aussagen über den Prozeß Jesu aus
(Kap. 1), schildert dann ausführlich die politisch-rechtliche Lage
in Palästina von 4 v.Chr.-70 n.Chr., um schließlich die besonderen
Einflüsse des jüdischen Kriegs auf die Situation der judenchristlichen
Gemeinde einerseits und der heidenchristlichen
andrerseits zu untersuchen (Kap. 3). Erst nach diesen ausgedehnten
und über seine früheren Arbeiten kaum hinausführenden
Darstellungen folgen Analysen der Passionsgeschichten (Kap.4
bis 5), die zur Frage führen, was sich denn als eigentliches historisches
Geschehen hinter den teilweise divergierenden Berichten
fassen lasse (Kap. 6). Ein Ausblick auf die Aufnahme der evangelischen
Prozeßmotive in der frühen christlichen Tradition und
besonders in der Kunst schließt die Untersuchung ab (Kap. 7).

Die entscheidende Frage lautet für Brandon: Wieso konnte