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Ausgabe:

1970

Spalte:

503-506

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gnilka, Joachim

Titel/Untertitel:

Der Philipperbrief 1970

Rezensent:

Gräßer, Erich

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 7

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„lebendig machen" und „Lebendigmacher" gebrauchen, die Vf. auch
für die aramäische Jesusüberlieferung annimmt (Stamm chejä;
S. 15-34). Dazu wäre zu sagen, daß an Stellen wie Mk 3, 4; 5, 23-
Lk 8, 50 die Bedeutung „lebendigmachen" durchaus sinnvoll erscheint
, an anderen wie etwa M 1, 21 oder Lk 2,11 jedoch der
Sinn „retten" und die Übersetzung ou£eiV gefordert ist; sonst
wäre das beabsichtigte Wortspiel mit dem Namen „Jesus" „Gott
rettet" gar nicht möglich. In solchen Fällen scheint es mir fraglich,
ob die syrische Übersetzung zum ursprünglichen aramäischen bzw.
hebräischen Verbum führt; es muß mit Stämmen wie jäscha'
Hiph. bzw. nasal Hiph. gerechnet werden. Überdies gehören in
der eschatologischen Situation beide Bedeutungen eng zusammen:
„Leben" ist das Ergebnis des „Gerettetwerdens' (vgl. 1 Qp Hab 8,2;
1 QGen Ap 20, 29): Der von Jesus Geheilte und zum vollen Leben
Befreite ist auch ,heil" im endzeitlichen Sinne, d. h. gerettet für
das Gottesreich.

In einem zweiten Kapitel (S. 35-42) wird die Buße untersucht
und dazu festgestellt, dafj für die griechischen Begriffe neravoeTv
und u^Totvoioc als syrische Äquivalente tüb und tejäbüthä verwendet
werden. Diese meinen nicht nur „Sinnesveränderung", sondern
eine die ganze Existenz erfassende Umkehr; sie enthalten
außerdem das Moment der Wiederholung. Hier würde m. E. die
Bultmannsche Wendung vom „neuen Selbstverständnis" beiden
Begriffsqruppen, der aramäischen und der griechischen. Genüge
tun; dafj der hebräisch-aramäische Begriff für Bufje in der neu-
testamentlichen Zeit auch, die Wiederholung mitenthalte und bewußt
mache (S. 41), erscheint mir zweifelhaft.

Das dritte Kapitel (S. 43-94) gibt wichtigen Aufschluß über
die Terminologie von der Totenauferstehung. Das Syrische bievet
anstelle des griechischen „Aufwecken" bzw. „Aufcrweckt-Werden"
das „Aufstellen" bzw. „Auferstehen". Das bedeutet, daß die Osterbotschaft
der palästinischen Urgemeinde nicht, wie etwa von
W. Kramer behauptet wird, gelautet haben kann: „Gott hat Jesus
auferweckt", sondern: „Gott hat ihn aufgestellt"; d'c „Auferstehung
" (avdoraois) >st c'nc .Aufstellung" (vgl. dazu meine Schrift:
„Was wissen wir von Jesus?", S. 66-68). Dem griechischen «Mp9l)
entspricht ein aramäisches „Gesehenwerden" (Etpeel von chezä);
freilich darf man aus diesem Verbum nicht folgern, es handle sich
bei den Erscheinungen des Auferstandenen nicht nur um eine
Vision, sondern um eine „äußere, den Sinnen aufgezwungene
Realität" (S. 44).

Im letzten Kapitel wird das griechische t€X05 Ende (der
Welt) mit der syrischen Wiedergabe schülämä Vollendung (der
Weltzeit) verglichen, in welcher die Elemente der Erfüllung und
Neuanschaffung mit enthalten sind.

Es soll grundsätzlich nicht bestritten werden, daß der Umweg
über die syrische Übersetzung an die Muttersprache Jesu heranführen
kann; allerdings ist das Aramäische des palästinischen
Pentateuchtargum und des Targum Ps.-Jonathan dafür geeigneter.
Ferner ist es fraglich, ob alle vom Vf. angeführten Stellen authentische
Jesusworte bzw. palästinische Jesusüberlieferung sind; bei
manchen könnte das Griechische der ursprüngliche Text sein.
Schließlich muß bei einzelnen Jesusworten auch mit dem Hebräischen
als Ursprache gerechnet werden (Gleichnisse, Halacha). Zum
Schluß einige weniger wichtige Fragen: Steht die Anmerkung bei
Abschnitt 44 (S 78) richtig, gehört sie nicht zu Abschnitt 48?
Sollte es nicht statt des avtOTOHfitU auf S. 86 richtig dvtcrn)Ht
heißen? Ist das Rätsel von Joh 20,17 mit der Erklärung auf S. 72
richtig gelöst? (Vgl. dazu mein Buch „Der Paraklet", S. 168).

Tübingen Otto 75ctz

Gnilka, Joachim, Prof.: Der Philipperbrief. Auslegung. Freiburg-
Basel-Wien: Herder 1968. XXI, 226 S. gr. 8° = Herders theologischer
Kommentar zum Neuen Testament, hrsg. v. A. Wiken-
hauser, A. Vögtle, R. Schnackenburg. X, 3.

Ein großer deutschsprachiger Kommentar zum Phil fehlt seit
E. Lohmeyers Auslegung im Meyerschen Kommentar (1930). Die
renommierte katholische Reihe legt also auf jeden Fall ein
notwendiges Werk vor, bedenkt man die Intensität der Paulus-
Forschung in den zurückliegenden Dezennien und die Wichtigkeit,
die dem Phil darin zukommt. Gnilka (im folgenden: G) setzt
darum auch sehr umfassend und gründlich an. Mehr als 10 Seiten

„Texte und Literatur" eröffnen das Buch. Dann folgt eine ausführliche
„Einleitung" (1-27). Da neue Quellen jedoch nicht bekannt
geworden sind, vermag G hier über die Stadt Philippi, die Gründung
einer (vorwiegend heiden-christlichen) Gemeinde durch
Paulus (etwa um 50 auf der sog. 2. Missionsreise), die Echtheit
des Briefes und seine frühe Bezeugung (durch Polycarp, erste
Hälfte des 2. Jh.s) nur längst Bekanntes zu wiederholen. Allerdings
kann er sich in der „Bezeugung des Textes" auf das Materbl
des von K. Aland geleiteten Münsterschen Institutes für Neutest.
Textforschung stützen und eine tabellarische Übersicht vorlegen,
die von P" (um 200) bis zu zwei Minuskeln aus dem 18. Jh. alles
umfaßt (26 f.). Ausführlich handelt G über die Teilungshypothesen
, sammelt Argumente und Vermutungen, um sich dann
für das ihm Wahrscheinlichste zu entscheiden. In der Frage
der Einheitlichkeit ist das die Annahme, daß im jetzigen
Phil zwei ursprünglich selbständige Briefe redaktionell miteinander
verkoppelt wurden: Brief A („Der Gefangenschaftsbrief")
1,1-3, la; 4, 2-7. 10-23; Brief B („Der Kampfbrief") 3, 1 b-4,
1. 8 f. In der Frage der Abfassungsorte und -Zeiten
wird für Brief A die (nach den keineswegs neuen Argumenten bloße
Vermutung bleibende) ephesinische Hypothese übernommen: Paulus
schreibt etwa 55/56 aus einer Kerkerhaft in Ephesus. Für Brief
B wird als Abfassungsort und -zeit der Apg 20, 2 f. angedeutete
Aufenthalt in Korinth angenommen (etwa 56'57). Diese Tcilungs
hypothese ist - obwohl frei von wilden Konstruktionen - kaum
mit weniger Ungereimtheiten belastet, als die Annahme der Einheitlichkeit
. Die Schwierigkeit, 4, 10-20 dem Kampfbrief zuzuweisen
, sieht G z. B. selber, hält sie aber nicht für groß genucr,
um eine nochmalige Teilung vorzunehmen (10 f.). Uni 4, 2-7
als Fortsetzung von 3,1 a auszugeben ist ebenso willkürlich, wie
3,1 b die Eröffnung des Kampfbriefes sein zu lassen (auch wenn
man ein Präskript der Schere des Redaktors geopfert sein läßt).
Wenn schon Redaktion, dann scheint uns eine weitergehende
Teilungshypothese überzeugender (also drei Briefe, wie u. a.
Schmithals, Bornkamm und Marxsen annehmen). Hier hat also der
vorliegende Kommentar keinerlei Fronten geklärt, es sei denn
diese: Entweder man nimmt gar keine Teilungshypothcsen vor,
oder wenn doch, dann konsequente.

In der Auslegung des Textes wird gemäß der Anlage dieses
Kommentars eine fortlaufende Interpretation geboten, in die
gelegentlich Exkurse eingestreut sind („Die Episkopen und Dia-
kone", 32 ff.; Ei>v XpKjxu eTvau, 76 ff.; „Das vorpaulinischc
Christuslied", 131 ff.; „Die philippischen Irrlehrer", 211 ff.).

Die wichtigsten Ergebnisse scheinen mir die folgenden zu sein:
Brief A hat seine „Mitte" in der Paraklese 1,27-2,18 (Lohmeyers
Martyrologie wird durchweg abgelehnt). Er wendet sich in einer
angeblich „charakteristischen vornehmen Zurückhaltung" (104) und
mit dem „Grundakkord" der Freude an eine Gemeinde, in der die
erste Liebe zu erkalten beginnt (107). Irrlehrer sind noch nicht in
sie eingebrochen. Allerdings muß G dann die avruieiuevoi. von
1,28 ganz im Unbestimmten lassen (99 f.). Daß Paulus sie nicht so
scharf anfällt, wie die „Hunde" von 3,1 b, ist m. E. kein Argument
für ihre häretische Harmlosigkeit!). - In 2,6-11 sind „zwei
ehedem selbständige Bekenntnisfragmente bzw. -topoi zusammengewachsen
. Das eine ist auf die MopcpT) öeou gerichtet und
bietet sich in den VV 6 und 7 dar" (137 f.). Es hat seine relictions-
geschichtliche Entsprechung allein im Poimandrestraktat und im
Perlenlied (146). „Das andere ist Christus dem Erniedrigten und
zum Kyrios-Richter Erhöhten gewidmet und in den VV 8-11
erhalten" (138). Es ist „vom biblischen Schema Erniedrigung-
Erhöhung geprägt" (144). Also ein mixtum compositum aus judenchristlichen
und heidenchristlichen Elementen, von der H=nd eines
„vorpaulinischen Dichters" (138) mit „neuer Zielsetzung zu einer
Einheit" zusammengefügt. Dabei ist mit Eingriffen und Veränderungen
zu rechnen (in V 8 rechnet G um des Parallelismus mem-
brorum willen Oavdxou 6e creavpov dazu, in VV 10 und 11
EKoupavCuv noa hniyeiiav not MadaxdovCuiv und ziq 6o5av
öeov norepo^) r „Letztlich aber ist es nicht möglich, das Ursprüngliche
zu rekonstruieren" (138).

In Brief B ist die Situation angeblich dadurch eine völlig veränderte
, daß inzwischen „Pseudomissionare" mit einer gefährlichen
Irrlehre in die Gemeinde eingefallen sind. Darum weicht die vornehme
Zurückhaltung einer groben Ausfälligkeit. Auch sei die