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Ausgabe:

1970

Spalte:

489-496

Autor/Hrsg.:

Holtz, Gottfried

Titel/Untertitel:

Magische Motive zwischen Dichtung und Philosophie des neunzehnten Jahrhunderts 1970

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 7

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Traum erzählte, und ich es wagte, ihn so zu deuten, sie möge
vielmehr nicht zweifeln, einst das zu sein, was ich sei, sagte sie
rasch ohne alles Bedenken: Nein, nein, das ist mir nicht gesagt,
wo er, da auch du, sondern: Wo du, da auch er! Ich bekenne dir
Herr, wie ich mich dessen erinnere, was ich schon wiederholt
bemerkte, ich wurde von dieser deiner Antwort durch meine
wachende Mutter, indem sie durch die naheliegende falsche Auslegung
nicht verwirrt wurde, sondern so schnell das Richtige
erkannte, mächtiger ergriffen, als durch den Traum selbst, wodurch
dem gottesfürchtigen Weibe die erst viel später eintretende
Freude zum Trost in ihrem gegenwärtigem Kummer so lange vorhergesagt
wurde. Denn es vergingen noch fast neun Jahre . . .".

Im Zentrum des Berichtes steht der Traum, den Monika gehabt
hat. Christus erscheint als Jüngling im glänzenden Gewände; er
kennt die Not der Monika vorher; er fragt um zu trösten, nicht
aus Neugierde. Er kann ihr ein Bild zeigen, das in ferner Zukunft
Wirklichkeit werden soll: Augustin steht dort wo seine Mutter
Monika steht. Für Augustin steht im Rückblick fest, daß in diesem
Traum Gott gehandelt hat. Den jungen Augustin beeindruckte
jenes Traumbild begreiflicherweise nicht; von einer Realität
Christi hielt der damalige Anhänger des Manichäismus nichts.
Umso mehr beeindruckte ihn damals die Sicherheit, mit der
Monika bei ihrer Deutung bleibt. Die Festigkeit der Mutter unter
dem Eindruck des Traumes berührt auch den Sohn. Die Mutter
hat durch diesen Traum neue Kraft bekommen, sie kann wieder
mit ihrem ungläubigen Sohn zusammen sein, was ihr vorher zeitweise
unmöglich war. Für sein Leben war dieser Traum seiner
Mutter von entscheidender Bedeutung. Hätte sie damals keine
neue Kraft bekommen, hätte sie ihn nicht wieder an ihren Tisch
gezogen, was wäre aus ihm geworden? Daher leitet er die Erscheinung
Christi im Traum mit diesen Worten ein: »Et misisti
manum tuam ex alto ..." Gott hat hier gehandelt.

c) Ergebnisse

Von einer kirchengeschichtlichen Fragestellung her werden
bekannte Vorgänge durch Träume neu beleuchtet. Die Wende in
der Kirchengeschichte um 300 ist auch von den Träumen her
greifbar. Die Traumbilder aus dem 3. Jahrhundert hängen mit
Verfolgung und Leid zusammen, sie sind entstanden an der Grenze
des Todes. Alle Träume sollen helfen, den Tod zu bestehen; sie
haben in diesem Sinne tatsächlich geholfen. Christus kommt in
diesen Träumen offensichtlich vor, weil er durch Leiden hindurch
den Tod überwunden hat und nun im Jenseits auf seine Nachfolger
wartet. Die Märtyrer können ihr grausames Schicksal bestehen
; die Christen können einen Sinn in den Verfolgungen
sehen. Anders liegt es bei den Träumen des 4. Jahrhunderts. Die
Träume fallen nicht an das Lebensende, sie bedeuten vielmehr
wichtige Wendepunkte im Leben des Träumenden. Durch Träume
werden entscheidende Weichen für die Zukunft gestellt. Konstantin
wagt 312 im Alter von 27 Jahren den entscheidenden Schritt; er
hat im Sinne der Vision von 312 noch ein weiteres Vierteljahrhundert
wirken können. Martin von Tours eilte 335 als 13-jährigcr
Soldat zur Taufe; ihm waren danach noch über 60 Lebensjahre

beschieden. Hieronymus wurde durch seinen Traum 374 im Alter
von (vermutlich) 27 Jahren auf einen neuen Weg geführt; er lebte
nach seinem qualvollen Traum noch 35 Jahre und hat die Tendenz
zur Askese und einseitigen Beschäftigung nur mit kirchlicher Literatur
durchgehalten. Der von Augustin berichtete Traum seiner
Mutter gab ihr eine Hilfe, die ihr Leben wie auch das ihres
Sohnes geprägt hat. In den Träumen deuten sich Tendenzen an,
die für die Kirchengeschichte wesentlich sind: In Konstantins
Traum deutet sich das Bündnis zwischen Staat und Kirche an, die
Soldaten kämpfen unter dem Zeichen des Kreuzes. Bei Martin von
Tours wird eine kaiserlich gekleidete Gestalt als falscher Christus
entlarvt, es wird so gegen das Staatskirchentum protestiert. Hieronymus
wird im Traum zur radikalen Abkehr von dieser Welt
geführt; diese Forderung taucht in der Kirchengeschichte häufig
auf. Auch theologiegeschichtlich sind die Traumbilder von Interesse.
In einer Zeit, in der die Lehre von Christus in immer festere Formeln
gefaßt wird, in der bestimmte Worte auf Christus angewendet
werden müssen und andere nicht auf ihn angewendet
werden dürfen, begegnen wir in den Träumen einem vielfältigen
Christusbild. Er wird gesehen als Hirt, der Schafe melkt und den
Märtyrer im Paradies begrüßt, als Kampfrichter, der den Siegeszweig
überreicht und den Märtyrer an das Tor des Lebens führt,
als weißhaariger Himmelskönig mit jugendlichem Antlitz, als
übergroße Gestalt, die Milch zur Stärkung bringt, als vorüber-
eilende Gestalt, die dem Märtyrer einen Gürtel zuwirft und damit
zur Nachfolge aufruft. Allein diese Christusbilder in den fünf
Märtyrerträumen sind von einer überraschenden Vielfalt. Bei
Cyprian erscheint Christus als majestätischer Jüngling mit energischen
Forderungen oder auch als trauriger Jüngling, der über
das Verhalten seiner Kirche unwillig ist. Bei Laktanz geht es nur
um ein Christuszeichen, Martin von Tours sieht einen von Engeln
umgebenen Christus, später begegnet er einer kaiserlich gekleideten
Gestalt, die sich fälschlich für Christus ausgibt. Hieronymus
erlebte einen gewaltsamen Christus als himmlischen Richter, der
ihn schlagen läßt und in Schrecken setzt. Augustins Mutter sah
einen Jüngling, der ihre Sorgen kannte und half. Für den psychologisch
interessierten Leser werden die dabei auftretenden Widersprüchlichkeiten
, Verhüllungen, Überschneidungen und Unsicherheiten
Aussagekraft haben.

Bei aller Verschiedenheit der Christusbilder läßt sich doch ein
gemeinsamer Zug herausstellen: Christus tritt immer in helfender
Funktion in Erscheinung. Er hilft den Märtyrern in ihrer Todesnot,
er hilft Konstantin vor der Schlacht, er belobigt Martin von Tours,
er konnte auch Monika helfen. In Cyprians Brief 11 begegnen wir
zwar einem unwillig-traurigen Christus, doch soll auch er den
verfolgten Christen zur Einsicht helfen. Selbst der radikal fordernde
Christus bei Hieronymus läßt sich in diesem Sinne interpretieren
: Hieronymus fühlt sich rückschauend nicht bedrückt oder
eingeengt; er fand damals jenen Weg, der für ihn der rechte war.
Durchgängig kann für alle Träume gesagt werden, daß diese für
die Betroffenen von ganz entscheidender Bedeutung waren, sei es
nun als Hilfe zum Sterben oder als Wegweisung für das weitere
Leben.

Magische Motive zwischen Dichtung und Philosophie des neunzehnten Jahrhunderts

Von Gottfried Holtz, Rostock

(illo Haendler /um 80. Geburtstag

Wer einen Teil seiner Arbeitskraft dem Problem des Aberglaubens
gewidmet hat, wird auch der Frage nach der Strcuung-i-
breite magischer Motive begegnet sein. Man wird die Rolle der
Dichtung im Fragenbereich ins Auge fassen müssen. Um nicht im
Uferlosen zu landen und auch um Scheinfragen zu meiden, scheiden
wir die magische Dichtung im strengen Sinn - Märchenliteratur,
Bearbeitungen der Faustsage, magische Novellistik der Romantik,
Meyrinks Golemroman u. ä. - aus der Umschau aus. Wir konzentrieren
die Aufmerksamkeit auf Grundmotive in der klassischen
Dichtung, die dem Aberglauben entgegenkommen könnten, ohne
magische Nebenmotive ganz zu vernachlässigen. Im Vordergrund
wird der so oft angenommene Zusammenhang aller Dinge stclun
und die Einordnung des Zufalls in ihn, mithin das zeitliche und

räumliche Zusammentreffen von Ereignissen aus verschiedenen
Kausalketten und der Haltung des Menschen dazu. Die Astrologen
und Mantiker fragen interessiert, ob und wie man den Gang der
Dinge erkennen und berechnen kann, die magischen Praktiker,
wie man ihn beeinflufjt und beherrscht.

I.

Daß wir H. Ibsens Drama „Die Frau vom Meer" herausstellen,
wird der Kritik nicht entgehen, das Werk stamme aus einer
symbolistischen Periode des Dichters. Aber wie kommt der große
Realist und Gesellschaftskritiker dazu, dem Koinzidenzproblem
den entscheidenden und daneben einigen umstrittenen Problemen
des Volksglaubens einen abgestuften Rang einzuräumen? War er