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Ausgabe:

1970

Spalte:

463-464

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Franz, Gunther

Titel/Untertitel:

Visitation und Konsistorium 1970

Rezensent:

Franz, Gunther

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463

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 6

464

postulierten Aufgabe jeder Sakralität zugunsten einer totalen
Profanisierung (s. o.) ist es allerdings nicht einsichtig, weshalb die
evangelische Kirchenmusik sich durch .das Experimentieren mit
Jazz, Negro Spirituals und Schlagern ... in einer nicht ungefährlichen
Krise befindet. . . . Der Schlager, der als Produkt der Unterhaltungsindustrie
an die Masseninstinkte appelliert, ist vollends
ungeeignet, als Medium der Auferbauung zu dienen" (S. 148). Diesen
Sätzen stimmt der Rez. zwar persönlich voll zu, aber ihre
theologische Motivierung müßte doch wohl von Brunner noch
einmal tiefer durchdacht werden.

Die Vorzüge des Buches bestehen darin, daß ein Musiker seine
Gedanken über die Theologie des Gottesdienstes und die Philosophie
der Musik in einer weithin unkonventionellen Weise zusammenträgt
und auch da anregend wirkt, wo er vielleicht mitunter
etwas subjektiv-apodiktisch verfährt. Für den deutschen
Lutheraner ist vor allem die authentische Einführung in die gegenwärtigen
liturgischen Bemühungen in der reformierten Schweiz
von Interesse.

Dresden Christoph Albrecht

REFERATE ÜBER THEOLOGISCHE DISSERTATIONEN IN MASCHINENSCHRIFT

Franz, Gunther: Visitation und Konsistorium. Die Kirchenleitung
der Grafschaft Hohenlohe im 16. Jahrhundert. Diss. Tübingen
1969. 226, 106 S., 1 Kte (Die kirchliche Verwaltung der Grafschaft
Hohenlohe 1581).

Die Dissertation entstand bei Prof. Diem aus der Bearbeitung
eines Bandes Grafschaft Hohenlohe für die von E. Sehling begründete
Ausgabe der Evang. Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts.
Sie hat sich aber keineswegs auf die Auswertung der Ordnungen
beschränkt, sondern - nach einer Forderung von Karl Müller (Aus
der akademischen Arbeit, Tübingen 1930, S. 175) - immer versucht
die Durchführung der Gesetze und die Praxis der Kirchenleitung
zu erhellen, um ein lebensnahes Bild zu gewinnen. Dabei
entstand eine weithin neue Sicht der hohenlohische Kirchengeschichte
im 16. Jahrhundert.

Zur Orientierung: Die Grafschaft Hohenlohe gehörte zum
fränkischen Reichskreis. Der größte Teil kam 1806 an Württemberg
, Schillingsfürst an Bayern. Hohenlohe ist bis heute durch
seine vielen Teilungen bekannt. In der Erbeinigung von 1511
wurde trotz der Teilung in die Hauptlinien Neuenstein und Waldenburg
die Einheit des Gesamthauses möglichst zu bewahren
versucht. Öhringen blieb wegen des dortigen Stiftes als „Hauptstadt
" der Grafschaft in gemeinsamen Besitz.

Zu Beginn der Arbeiten wurden die Nachrichten über die
kirchliche Verwaltung und Gerichtsbarkeit am Vorabend der Reformation
zusammengestellt. Der Berufung des lutherischen Predigers
Kaspar Huberinus von Augsburg als Stiftsprediger nach
Ohringen folgte erst 1546 eine Reform des Gottesdienstes und der
Lateinschule in Öhringen, und erst nach dem Augsburger Religionsfrieden
erfolgte 1556 die gemeinsame Einführung der Reformation
durch den von Württemberg beurlaubten Superintendenten Johann
Hartmann. Die Visitationen von 1556, 1558 und 1571 unter seiner
Leitung waren trotz ihrer Seltenheit die wichtigsten Akte der
Kirchenleitung, da es keine Konsistorien oder ähnliches gab. Nur
die Examina der Kandidaten durch die Öhringer Kirchendiener
bildeten eine regelmäßige Einrichtung. Die Funktionen eines Ehegerichtes
wurde von den Kanzleien wahrgenommen. Die Kirchenzucht
spielte in Hohenlohe eine besondere Rolle; sie wurde trotz
interessanter Pläne und Ordnungen im wesentlichen bis Ende des
16. Jahrhunderts allein von den Pfarrern geübt.

Nach dem Tode Hartmanns 1575 bemühte sich vor allem Graf
Wolfgang (IL, ab 1586-1610 in Weikersheim) ebenso wie die anderen
Bereiche der Regierung auch die Kirche neuzuordnen. Die bisher
herrschende „Unordnung" (im Sinne von größerer oder geringfügiger
Ungleichheit in den Zeremonien oder dem Katechismus)
sollte durch die Kirchen-, Visitations-, Kapitel- und Konsistorial-
ordnungen von 1578/79 beseitigt werden. Der aus der Markgrafschaft
Brandenburg geholte neue Generalsuperintendent David
Meder konnte die Brandenburger Vorbilder vor allem wegen des
Widerstandes des Neuensteiner Rates Hyso nur teilweise durchsetzen
. So wurde kein Konsistorium im Sinne eines geistlichen
Gerichtes nach sächsischem Typ beschlossen, sondern - zwar unter
Berufung auf die Württemberger Ordnung, aber den besonderen
lokalen Umständen entsprechend - ein (bei Bedarf zu erweiternder
) Konvent der Öhringer Geistlichen mit nur beratender Funktion
. Durch die Streitigkeiten der Geistlichen konnte dieses Ersatzkonsistorium
kaum in Funktion treten, auch die wichtigen Neuordnungspläne
des 1581 zur Hilfe geholten Jakob Andreä, die nach
seiner Abreise wieder stark umgeändert wurden, führten zu keiner
Bildung von Konsistorien. Nach 1586 ist eine Auflösung der kirchlichen
Einheit zu beobachten, die selbst zum Ende des gemeinsamen
Kirchenexamens in Ohringen führte. Weder hat ein Generalkonsistorium
bis zur Mitte des 18. Jahrh. oder gar bis 1806 bestanden
und die Kirchenverfassung bestimmt, noch gab es im 16. Jahrh.
- von den Ehegerichten abgesehen - Spezialkonsistorien.

Die Übertragung der Visitationen auf sieben Spezialsuper-
intendenten 1579 (später die Hofprediger) brachte - wenn richtig
beobachtet wurde - einen Wandel, da den Spezialsuperintendenten
1580 ausdrücklich verboten werden sollte, sich in Verhandlungen
einzulassen und selber die Gemeindeglieder zu ermahnen. Sie
sollten nur die Antworten auf die Fragenkataloge, die seit 1589
auch rein politische Bereiche umfaßten, gewissenhaft verzeichnen.
1610 wurde als Hauptaufgabe der Superintendenten bezeichnet,
die peinlich genaue Haltung aller Befehle und Ordnungen zu überwachen
, ja vierteljährlich (!) zu überprüfen, ob die Pfarrer und
Schulmeister nicht etwa den Text verändert hatten. Gleichzeitig
mit der Verfestigung der Lehre erfolgte die Vergesetzlichung der
Kirchenleitung. Die große Hilfe und Stärkung, die die hohenlohische
Kirche durch die Fürsorge der Grafen erfahren hat, kann
ebensowenig bestritten werden wie die dadurch erfolgte immer
weitere Entfernung von Luthers Intentionen in bezug auf die
Kirchenleitungen.

Woronowicz, Ulrich: Die Funktion des Schlagers in der Gesellschaft
und seine Bedeutung für das Menschenbild in der christlichen
Verkündigung. Diss. Halle 1968. 313 S.
Ziel der Arbeit ist eine stärkere Konfrontation der Praktischen

Theologie mit den seelischen Funktionsabläufen, die durch das

Medium des Schlagers wechselseitig manifestiert und ausgelöst

werden.

Der 1. Hauptabschnitt beschäftigt sich mit der Form des
Schlagers. Dazu gehören: Begriffsdefinition, die industrielle Herstellung
der Lieder und ihre Lebensdauer. Texte und Weisen
werden strukturell untersucht. Im letzten Teil des 1. Hauptabschnittes
wird der Entstehungsgeschichte des Schlagers nachgegangen
und auf sein enges Verhältnis zum Tanz hingewiesen. Das
Verhältnis des Schlagers zum Volkslied wird untersucht, mit dem
Ergebnis, daß der Schlager in der modernen Gesellschaft die
Funktion erfüllt, die früher dem Volkslied zufiel.

Der 2. Hauptabschnitt behandelt den Inhalt des Schlagers,
der ja weithin das Liebeslied unserer Zeit ist. Das umfangreiche
Material wurde nach Motivgruppen geordnet. In Abschnitt A wird
das Motiv der Liebessehnsucht behandelt, in Abschnitt B der Höhepunkt
der Liebesbeziehung, in C die Erinnerung an das Liebesglück
und die Enttäuschung über den Partner. Diese drei Hauptmotive
zergliedern sich in weitere Einzelmotive, die jeweils zur
Darstellung kommen. Sie werden dann mit den gleichen Motiven
im Volkslied und im Kunstgedicht verglichen und schließlich
psychologisch gedeutet, wobei vor allem die Freud'sche Tiefenpsychologie
sich als das geeignetste Deutungsinstrument bewährt.
Die Übermacht erotischer Sehnsucht und die sie begleitende Angst,
das große Lebensglück zu verfehlen, die ständige idealisierende
Überhöhung der Realität als Grundgegebenheit des Erotischen, die
Aura, die das Erotische ausstrahlt und umgibt, die Bedeutung der
Tagträumerei, die Manifestation einer unterschwelligen Erosreligion
, die Lebenssteigerung durch den Aufbruch in eine den
Alltag transzendierende Welt — das sind die Themen, die der
Schlager auf seine Weise behandelt und zum Ausdruck bringt. Die
Theologie soll dies erkennen und versuchen, darauf zu antworten.
Dazu ist nötig, daß wir unser Menschenbild korrigieren. Es muß
viel stärker dynamisch gefaßt werden, als wir bisher gewohnt sind.