Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1970

Spalte:

461-464

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Brunner, Adolf

Titel/Untertitel:

Musik im Gottesdienst 1970

Rezensent:

Albrecht, Christoph

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

461

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 6

46i

menschlichen Miteinanders (Versammlung, Rede, Bad und Mahl)
werden so in ihrem natürlichen Sinn erfahren und als Gleichnisse
des Heils, als .Teilstücke der Wirklichkeit", als Angeld, Ausdruck,
Selbstdarbietung der vollen Wirklichkeit verstanden (S. 426 f.).
Wie sich freilich diese Deutung mit der vom gleichen Vf. betonten
ständigen Notwendigkeit des kündenden Wortes (»ohne das kündende
Wort spricht das Zeichen nicht") verträgt, bleibt schleierhaft
; wenn die unaufgebbare Zuordnung von Wort und Zeichen
überhaupt einen Sinn hat, dann doch den, daß der „natürliche Sinn
des Zeichens" eben nicht aus sich selbst zur Ansprache wird.

Borth/Ostsee Karl-Heinrich Bieritz

Brunner, Adolf: Musik im Gottesdienst. Wesen, Funktion und Ort
der Musik im Gottesdienst. 2., Überarb. u. erweit. Aufl. Zürich-
Stuttgart: Zwingli-Verlag [1968). 173 S. 8°. Lw. DM 18.80.
Die Zürcher Liturgiekommission legte im Jahre 1965 eine neue
reformierte Gottesdienstordnung vor. In dieser Kommission arbeitete
der Schweizer Komponist Adolf Brunner (bekannt geworden
besonders durch seine geistlichen Kompositionen) maßgeblich mit.
In die 2. Auflage seines Buches hat Brunner auch die Ergebnisse
der Kommissionsberatungen eingearbeitet. Trotzdem begegnet
man durchweg den ganz persönlichen Gedanken des Vf.s.

Der erste Teil des Buches (S. 11—48) bringt eine Theologie des
Gottesdienstes, der zweite eine mehr philosophisch orientierte Abhandlung
über das Phänomen der Musik und eine Betrachtung
ihrer heilsgeschichtlichen Funktion (S. 49—106). Im abschließenden
dritten Teil wird über „Liturgiereform und die Musik im Gottesdienst
" gehandelt (S. 109—152). Drei kommentierte Beispiele der
Zürcher Gottesdienstordnung (S. 153—168) werden beigegeben.

Der reformierte Kirchenbegriff ist der Ausgangspunkt für die
theologischen Erörterungen zum Thema Gottesdienst: Die Gemeinde
Christi ist „der heilige Tempel Gottes, außer dem auf Erden
kein anderes Heiligtum existiert (1 Kor 3,17; 2 Kor 6,16; Eph 2,
21—22). Es gibt also keine heiligen Gegenstände, keine heilige
Zeit, in welcher man bestimmte, an sich heilige Handlungen vornimmt
, keinen heiligen Ort oder Raum, der sich gegen die Welt
abgrenzt, kein Allerheiligstes, keinen Altar. Die großartige Identifikation
von Gemeinde und Tempel, welche jede äußere Sakralität
verunmöglicht und erst in der reformierten Theologie konsequent
nachvollzogen worden ist, kommt recht eigentlich einer religiösen
Zeitwende gleich" (S. 16). „Die totale Profanisierung des Diesseits
ist jedenfalls eine Tatsache, die nicht mehr rückgängig gemacht
werden kann, und nur regressive Geister trauern um die verlorengegangene
Einheit des mythischen Weltbildes und suchen die damit
verbundene Sakralität künstlich am Leben zu erhalten" (S. 25).
Die mit solchen Sätzen umrissenen Probleme sind heute in allen
Konfessionen brennend aktuell. So erhofft man sich aus reformierter
Sicht (die diese Problemkreise schon längst besonders intensiv
im Auge hat) eine konsequente Durchführung dieser Gedanken
auch auf dem Gebiete des Gottesdienstes. Daß Brunner
diese Konsequenzen nicht in allen Stücken durchhält, wird am
Ende gezeigt werden.

„Die konkrete irdische Mitte alles christlichen Lebens ist der
Gottesdienst" (S. 31); die leibhaft versammelte Gemeinde gehört so
untrennbar zur Kirche wie der Körper zum Geist. Der Inhalt des
Gottesdienstes ist nach Mt 18, 20 die Gegenwart Christi bei einer
Mehrzahl von Glaubenden. Gottesdienst vermittelt „gegenwärtige
Teilhabe an der Endzeit" (S. 33). Die Gestalt des Gottesdienstes
muß dem NichtChristen verständlich sein. „Es wäre jedoch ungut,
bei der Gestaltung des Gottesdienstes allzu sehr auf missionarische
Erfolge schielen zu wollen. Von der sich auferbauenden Gemeinde
selbst muß eine werbende Kraft ausgehen" (S. 36). Mit Nachdruck
wird auf die Gemeinde als Mitträgerin des Gottesdienstes hingewiesen
: Gottesdienst wird partnerschaftlich gefeiert. Lutherische
und reformierte Tradition sind sich einig in der Auffassung, daß
zu jedem Gottesdienst das gepredigte Wort gehört. Etwas zwiespältig
sind Brunners Ausführungen zur Abendmahlspraxis: „Es
ist wohl anzunehmen, . . . daß die Urchristen bei ihren sonntäglichen
Versammlungen stets das Mahl gefeiert haben. Das sollte
für uns jedoch nicht ausschlaggebend sein. Die Situation, in welcher
sich unsere Volkskirche befindet, ist mit derjenigen der frühchristlichen
Hausgemeinden nicht zu vergleichen. Wir dürfen die missionarische
Seite eines Gottesdienstes ohne Mahlfeier nicht außer Acht
lassen und haben zudem auf eine gewisse Sakramentscheu des
modernen Menschen Rücksicht zu nehmen" (S. 44). — Alle bisherigen
modernen Bemühungen, die ISlütoci, f aittorot aus 1 Kor
14,23 zum durchgehenden Kriterium des christlichen Gottesdienstes
machen zu wollen, scheitern an der Abendmahlsfeier, die dem zufällig
anwesenden Ungläubigen nicht verständlich sein kann. Daß
man aber die Abendmahlsfeier im Sonntagsgottesdienst aus missionarischen
Gründen meint streichen zu sollen (wie Brunner vorschlägt
), ist doch wohl eine höchst fragwürde Argumentation! —
Zustimmung verdient Brunners Feststellung: „Jede liturgische
Bewegung zäumt das Pferd am Schwänze auf. Niemand vermag
von außen her erstarrtes Gemeindeleben zu erneuern. Liturgie
kann nicht konstruiert und der Gemeinde aufgezwungen werden.
Sie muß aus der Erfahrung der Kirche als dem Volke Gottes aufbrechen
" (S. 46). Freilich schließen sich Gemeindeaufbruch und
liturgische Bewegung nicht aus, wie die Liturgiegeschichte zeigt.

Die Philosophie — so stellt Brunner zu Beginn des 2. Kapitels
fest — zeigt „im allgemeinen wenig Neigung, das Phänomen der
Musik in den Kreis ihrer begrifflichen und systematischen Bemühungen
einzubeziehen" (S. 49), weil „im Gegensatz zur bildenden
Kunst . . . die Eindrücke der Außenwelt in der Musik eine geringe
Rolle" spielen (S. 50).

Brunners Ausführungen berühren u. a. folgende Themenkomplexe
: Unhörbare und hörbare Musik; Wort und Ton (nach
Brunners Meinung bildeten beide „im Frühlicht der Kultur auf
einer Bewußtseinsstufe, zu der wir kaum mehr Zugang finden,
gleichsam einen gemeinsamen Ausdruckskörper" S. 53); Form und
Inhalt; die Lebensfunktion des Spieles (anknüpfend an J.Huizinga:
Homo ludens); Musik als natürliche Schöpfungsordnung; Musik
in der gefallenen Welt; Christlicher Glaube und die kreativen
Gaben; Singen als Medium des Heiligen Geistes; Singen als Verkündigung
und Antwort; Weltliche und geistliche Musik; die
Stellung des Christen zur weltlichen Musik. — An einem so fundamentalen
Satz wie diesem: „Wer das Singen aus der Kirche verbannen
will, macht sich einer unbiblischen Intellektualisierung des
Gottesdienstes schuldig" (S. 96) wird deutlich, wie sehr die reformierte
Kirche sich in diesem Punkte von Zwingiis Anschauung
entfernt hat. Ob man aber so zugespitzt formulieren kann: „Ohne
das Singen würde dem Wort eine entscheidende, nämlich die
pneumatische Dimension fehlen" (S. 95), ist doch wohl recht fraglich
. Auch dem gesprochenen Wort kann durchaus die pneumatische
Dimension innewohnen.

Das dritte Kapitel beginnt mit grundsätzlichen Erwägungen
über den Gottesdienst heute und Fragen der Liturgiereform. Der
Sonntagsgottesdienst wird als „das Herz der Gemeinde" bezeichnet
(S. 117); er ist für Experimente ungeeignet. Dafür möge man
andere Gemeindeversammlungen benutzen. Was sich dort bewährt,
kann später Eingang in den Sonntagsgottesdienst finden. Die
Liturgiereform darf die Überlieferung nicht einfach ignorieren,
muß aber das Überkommene dem gegenwärtigen Gottesdienstverständnis
einfügen. Als „natürlicher Aufbau (?) des Gottesdienstes
" (S. 121) ergibt sich nach Brunners (= heutiger reformierter
) Auffassung eine Fünfgliedrigkeit: 1. Das Zusammentreten
der Gemeinde (Sammlung), 2. die Hinwendung zu Gott (Anbetung
), 3. das Hören des Wortes (Predigt), 4. die Teilnahme am
Mitmenschen (Fürbitte), 5. der Entschluß zu einem gehorsamen
Leben (Sendung). Als sechster Teil kann zwischen Fürbitte und
Sendung das Abendmahl eingegliedert werden. Brunner erläutert
die Ausführung der einzelnen Teile und ihre zweckmäßige Aufteilung
(Pfarrer, Gemeinde, Lektor, Chor, Orgel). — Daß die Orgel
„ursprünglich ein Jahrmarktsinstrument aus Alexandrien ist"
(S. 143), kann nicht unwidersprochen hingenommen werden (vgl.
Dietrich Schuberth: Kaiserliche Liturgie. Göttingen 1968), — auch
wenn dann bei Brunner noch eine „sakrale Ehrenrettung" folgt:
„Die Art ihrer indirekten Tonerzeugung garantiert eine gewisse,
vom Spieler distanzierte Musikübung [?]... Der Organist ... ist
mehr als andere Musiker gewohnt, hinter seiner liturgischen Aufgabe
zurückzutreten. Alle diese Faktoren haben der Orgel einen
eigentümlichen, fast unpersönlichen Dienstcharakter verliehen und
ihr zu einer klar umrissenen, unbestrittenen Stellung in der Kirche
verholfen" (ebd.).

Auch in der reformierten Schweiz sind die herkömmlichen
kirchlichen Musizierformen in Frage gestellt. Bei der von Brunner