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Ausgabe:

1970

Spalte:

453-455

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Wagner, Heinz

Titel/Untertitel:

Gottes Angebot 1970

Rezensent:

Doerne, Martin

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 6

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zur Mystik und der Betonung der Urbildlichkeit Christi. Sie ist
zwar „eine Linie", die sich durch die gesamte Theologie Luthers
hindurchzieht, darf aber „nicht für die einzige und für das
Ganze" angesehen werden. „Wenn man genau hinhört, ist doch
eigentlich überall der Rechtfertigungsglaube dabei, das Wort zu
ergreifen" (69). Sowohl theologisch wie historisch ist von Luthers
Auseinandersetzung mit dem Bußsakrament auszugehen. Sie ist
„die Wiege der reformatorischen Theologie", wie auch „der Kampf
um die Bufje die Quelle für die aktive Gegnerschaft Luthers gegen
die römische Kirche gewesen" ist (71).

Theologiegeschichtliche Linien werden in dieser Vorlesung,
wie auch sonst in der Lutherforschung und der systematisch-theologischen
Arbeit H.s, deutlich herausgestellt. Gerade so aber werden
z. T. erst die Schwierigkeiten, die einer Formulierung der
Unterschiede der lutherschen und der katholischen Theologie entgegenstehen
, voll erkennbar. Sie sind u. a. „ein Zeichen dafür, wie
weitgehend auch unvereinbare Unterschiede durch die biblischgesättigte
und augustinisch-scholastisch durchgebildete Begriffsund
Formelsprache verdeckt werden können". Daß Luther die
scholastische Theologie eigentlich nur mißverstanden habe, ist für
H. nicht überzeugend. Vielmehr kommt gerade „an dem zunächst
leicht täuschenden Gleichklang" zum Ausdruck, „dafj der Widerstreit
an die Wurzel greifen muß". Luther hat „einen Punkt im
Christentum getroffen, an dem der menschliche Geist immer wieder
dabei ist, sich das Auseinandergehen der Wege zu verhüllen".
Wichtig ist hier für H., dafj nach katholischem Verständnis „die
Seligkeit sozusagen das sich fortsetzende heilige Menschentum ist
— also eine sehr mit Leistung sich erfüllende Gnade, anstatt dafj
Gottes Gemeinschaft mit uns die Seligkeit ist" (41).

H.s sorgsame, den Leser immer an die Quellen heranführende,
eindringende Interpretation der Theologie Luthers, die stets zugleich
christlichen Glauben und theologische Arbeit als Ganzes
im Blick behält, ist nicht nur als Einführung in Luthers Gedankenwelt
wertvoll. Dank der abwägenden Sorgfalt, zugleich aber
Deutlichkeit, in der H. seine Position darlegt, haben wir es hier
auch mit einem bedeutsamen Beitrag zum theologischen, insbesondere
interkonfessionellen Gespräch der Gegenwart zu tun — nicht
zuletzt im Sinne eines kritischen Notabene, das nicht überhört
werden sollte.

Dem Hrsg. ist für seine vorbildliche Arbeit zu danken, die
darauf ausgerichtet war, dem Leser den Text des Kollegmanuskripts
möglichst wortgetreu in die Hand zu geben. Es ist zu
begrüfjen, daß auch mehr skizzenhafte Partien nicht zu einem
ausgearbeiteten Text umgestaltet wurden. Wo Ergänzungen oder
Erläuterungen notwendig erschienen, sind sie als solche kenntlich
gemacht. Nur offensichtliche Irrtümer, stichwortartige Literaturangaben
u. a. wurden stillschweigend berichtigt bzw. ergänzt
und Wortabkürzungen aufgelöst. Der Hrsg. hat ferner eine Reihe
von studentischen Nachschriften aus verschiedenen Jahren, die
über das Manuskript hinausgehende Äußerungen H.s festhalten,
ausgewertet. Einige besonders interessante Partien aus früheren
Fassungen der Vorlesung, die H. zuletzt wieder ausgeschieden
hatte, werden in Form von Beilagen am Schluß des Bandes (219—
240) mitgeteilt. Eine wertvolle Hilfe zur Erschließung des Werkes
bilden die vier Register (Bibelstellen-, Quellen- (= WA], Namen-
und Sachregister), die in gleicher Form auch für die in Vorbereitung
befindlichen sowie als Nachtrag für die beiden früheren
Lutherbände vorgesehen sind.

Berli n Rudolf Mau

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Wagner, Heinz: Gottes Angebot. Predigten im Rundfunk. 2. Aufl.
Berlin: Evang. Verlagsanstalt [1968]. 292 S. 8°. Lw. M 7.80.
Aus zwanzig Jahren regelmäßigen Predigtdienstes im „Sender
Leipzig", später in „Radio DDR" (1946—1966) legt H. Wagner, Professor
der Praktischen Theologie an der Karl-Marx-Universität
Leipzig, diese Auswahl von 48 Predigten vor. Die Grundsatzdiskussion
über die kommunikationstheoretischen, kirchensoziologischen
, in letzter Instanz doch theologischen Aspekte einer „Rundfunkhomiletik
" (vgl. die von M. Josuttis herausgegebenen „Beiträge
zu einer Rundfunkhomiletik", München 1967; dazu die Besprechung

in ThLZ 93, 1968 Sp. 945 ff. von E. Lerle) hat an diesen Predigten
nicht nur einen neuen Besinnungsgegenstand, sondern auch ein
belehrendes Modell. Sie verdienen auch darum Aufmerksamkeit,
weil H. Wagner in diesen zwanzig Jahren eine stattliche Hörergemeinde
gewonnen hat, die durch vielfältige Resonanz, praktizierte
„Mitverantwortlichkeit des Hörers" (Vorwort S. 7) an der
Prägung dieser Predigten, auch an der Mannigfaltigkeit der hier
erprobten Formen und Wege, förderlich Anteil nimmt.

Sechs von den neun Gruppen der Sammlung, im ganzen 30
Predigten, sind in den Gang der Kirchenjahrzeiten eingefügt, in
ebenso sachbezogener wie dynamisch-beweglicher Auslegung des
Kirchenjahr-Kasus. Die letzte Gruppe „Ende des Kirchenjahres"
bietet u. a. zum Erntedankfest 2, zum Reformationsfest 3 Predigten
. — Von den übrigen drei Gruppen („Trinitatiszeit") besteht die
erste aus „Krankenpredigten", für die im Rahmen des Gesamtprogramms
jährlich ein Sonntag eigens bestimmt war. Sechs weitere
Predigten stehen unter dem Leitwort „Glaubenshilfe", acht
folgende tragen die Überschrift „Mitmenschlichkeit". — Zu drei
Fünfteln liegen den 48 Predigten Texte aus der „Ordnung der
Predigttexte" zugrunde, z. T. in glücklicher Kürzung. 15 Texte sind
dem Alten Testament entnommen. Mehrmals wird der vorgegebene
Text auf einen Vers bzw. einen Satz konzentriert.

Drei Merkmale geben Wagners Rundfunkpredigten ihr eigenes
Profil und, wie man urteilen darf, einen Ehrenplatz im Gesamtbild
heutiger Predigtliteratur.

1. Das ausgewogene Gleichgewicht zwischen der kirchlichen
Ortung und dem menschlich-ansprechenden Grundwillen der Predigt
. Daß auch die an weiteste Öffentlichkeit adressierte Rundfunkpredigt
ihren „Sitz im Leben", nicht anders als die gottesdienstlichen
Gemeindepredigt, in der Kirche hat, das weiß und bewahrheitet
Wagner für dies besondere Genus öffentlich-christlicher
Glaubensrede in guter, für manche seiner engeren Berufsgenossen
vielleicht überraschender Selbstverständlichkeit. — In diesen Predigten
ist Gegenwart wie Geschichte der Christenheit als Mitzeugin
des Evangeliums immerzu präsent. Die Reihe der Blutzeugen von
den Märtyrern zu Lyon (110) bis zu den Bekennern und Opfern des
Hitlerregimes, z. B. in der Gedenkpredigt für D. Bonhoeffer: Was
bedeutet Christsein? (92 ff.) unter ausgiebiger Anführung von Bon-
hoeffers eigenem Zeugenwort. In der Pfingstpredigt über Hebr
12,1.2 (131 ff.) die „Wolke der Zeugen" als Schaubild für die
geistliche Realität der geglaubten Kirche. Die Geschichte der
Böhmischen Brüderunität (86 ff.) als Lehrbeispiel für die fortzeugende
Macht des Wortes, aber auch für Gottes Verborgenheit
in ihrem Anfechtungs- und Prüfungscharakter (Jes 55, 8 ff.: „Gott
ist anders"). Ausblick auf die ökumenische Weite und Weltverantwortung
der Kirche (das Alpendorf ,Agape' 144; Kagawa 74.84).
Nicht zuletzt das unscheinbare, aber überführende Gestaltwerden
des Geistes Christi in persönlichen Lebens- und Leidensgeschichten
(der frühvollendete Theologiestudent als Wahrheitszeuge für 2 Kor
12,9; 166 ff.). — Aber die bewußte Kirchlichkeit bleibt kräftig
distanziert von einer falschen „Binnenkirchlichkeit" (Vorwort)
dank der unverstellten Menschlichkeit des Predigers. Die
Predigt „Über die Freundschaft" (1 Sam 18,1^1; 209 ff.) spricht
eingangs freimütig von dem Dilemma, „daß wir Sonntag für Sonntag
gewaltige Themen verhandeln und uns Woche für Woche in
alltäglichen Verhältnissen bewegen müssen". Ihre gewinnenden
Proben leistet die Menschlichkeit des Predigers in der (heute seltenen
) Gabe, Dinge und Vorgänge des Werktages gleichnishaft-
durchsichtig zu machen für das geheime Wirken von Geist und
Wort am einzelnen. Ein Beispiel für viele ist die Predigt „Läuterung
" über Jes 64,7; 176 ff.: Besuch in der Meißener Porzellanmanufaktur
.

2. Die Predigten zeigen eine hohe Meisterschaft in der thematischen
Verdichtung des je gepredigten Schriftwortes. Das lange
verachtete, zeitweise in unguten Formalismus versandete homiletische
Kunsthandwerk der thematischen Integration und Gliederung
kommt hier zu neuer Ehre, schon in den (anspruchslosen, aber
bündigen) Überschriften, erst recht in den meist einprägsam formulierten
Gliederungssätzen, an deren Folge der Hörer zielstrebig
Schritt für Schritt vorangeführt wird. Ein Meisterstück ist die Konfrontation
von 1 Kor 13 (Gibt es solche Liebe?, 221 ff.) mit dem
Einspruch einer „klugen Frau": Ich kann das nicht glauben (1). Ich
habe das nicht erlebt (2), Ich bringe das nicht fertig (3). — Zu dem
gekonnten Kunsthandwerk gehört auch die öfters geübte bedachte