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Ausgabe:

1970

Spalte:

450-451

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Rendtorff, Trutz

Titel/Untertitel:

Christentum außerhalb der Kirche 1970

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 6

450

Familie messen wollte. Die einzige Möglichkeit, die das Recht
einem Menschen bot, um sich aus der Gruppe der von der Gesellschaft
so oft verachteten Personen zu befreien, war die Legitimation
durch eine nachfolgende Ehe oder durch einen speziellen
Hoheitsakt.

2. Es fällt gerade bei diesen von G. Schubart aufgezeigten Tatsachen
auf, welche Mühe die Juristen aufwandten, um die Un-
ehelichen-Frage durch das Recht menschenwürdig zu lösen. An
vielen Beispielen wird deutlich, daß eine klare Ausrichtung auf
Verständnis und Vernunft das Rechtsbewufjtsein der damaligen
Juristen lenkte. Das Ringen um eine menschenwürdige Position
des unehelichen Kindes wurde ausgelöst durch das Wissen um eine
höchst sittliche Verantwortung. Die Bemühungen um das Formulieren
eines Unehelichen-Rechtes damals — so Gertrud Schubart —
sind „ein Spiegel einer Zeit, dessen Bilder zum Nachdenken anregen
und Erkenntnisse vermitteln können, die Verhältnisse der
eigenen Zeit deutlicher zu sehen".

Basel Aat Dekker

LITERATURGESCHICHTE
UND CHRISTLICHE DICHTUNG

Schneider, Reinhold: Leben und Werk in Dokumenten, hrsg. von
Franz Anselm Schmitt. Ölten und Freiburg i. Br.: Walter-Verlag
[1969]. 376 S. m. 172 Abb. auf Taf. 8°. Lw. DM 22.-.
Mit dieser Dokumentation hat Fr. A. Schmitt, Direktor der
Badischen Landesbibliothek, Karlsruhe, und des ihr zugehörigen
R.-Schneider-Archivs für Lebensgeschichte und Gesamtwerk des
1958 verstorbenen großen Schriftstellers eine einzigartige Orientierungshilfe
geboten, heute um so mehr willkommen, als R. S. im
Gedränge des Jahr für Jahr mit Novitäten überfluteten Büchermarktes
beinahe schon vergessen zu werden droht. Der Hrsg. gibt
in dem breiten Mittelteil (39—238) eine in acht Abschnitte gegliederte
chronikartige Überschau über Schneiders „Leben und Werk";
sie wird bereichert durch unveröffentlichte Manuskripte (mit
Handschriftproben), zahlreiche zwischen dem Autor, seinen Verlegern
, Freunden und Zeitgenossen gewechselte Briefe, auch durch
stattliche Bildbeigaben. — Nicht weniger verdienstlich ist die von
Dr. Bruno Scherer O. S. B. vorgelegte Bibliographie (281—335), die
R. Schneiders Werk samt den fremdsprachlichen Übersetzungen in
549 Titeln, die ihm gewidmete Literatur in weiteren 406 Nummern
ausbreitet. Das vorzüglich ausgestattete Werk diente zugleich als
Katalog für die von Juli 1969 bis Februar 1970 zuerst in Karlsruhe,
dann in Baden-Baden, schließlich in Freiburg veranstaltete Rein-
hold-Schneider-Ausstellung.

Die Chronik des Hrsg.s vermittelt einen lebendigen Eindruck
von den bis zuletzt fortgehenden körperlichen wie seelischen
Beschwerungen, erst recht aber von der unerhörten Produktivität
dieses kaum fünfundfünfzigjährigen Lebens. Sie zeigt R. S. in
einer Vielzahl von fruchtbaren, großenteils freundschaftlichen Beziehungen
zu Mitträgern des geistigen, kirchlichen, öffentlichen,
künstlerischen Lebens seiner Zeit, Theodor Heuß, Albert Schweitzer,
Leopold Ziegler, Hermann Hesse, Jochen Klepper, Leo von König,
Hans Fronius, bis zu dem nahe verbundenen Freunde Werner
Bergengrucn. — Die überkonfessionelle Wirkungskraft des christlichen
Trostamtes, des R. S. namentlich während des zweiten Weltkrieges
unerschrocken übte, hat ihr Echo in der Dankadresse evangelischer
Christen vom August 1945, an deren Spitze Martin Niemöllers
Name steht (149 f.). Theologisches Interesse hat der Briefwechsel
mit Thomas Mann 1953/54 (189 f.), der in Schneiders
Gedenkrede auf T. M. (abgedruckt in: Pfeiler im Strom, 327 ff.)
nachklingt.

Den öffentlichen Würdigungen, die Schneider durch die philosophische
(Freiburg) und die rechtswissenschaftliche (Münster)
Ehrenpromotion, bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen
Buchhandels 1956, schließlich beim Totengedenken im Freiburger
Münster und bei der Beisetzung im heimatlichen Baden-
Baden zuteil wurden, stehen gewichtig seine eigenen Beiträge zur
Seite, „Sclbstporträt und autobiographische Notizen", Proben aus
den Tagebüchern 1931 und 1935, vor allem die Frankfurter Paulskirchenrede
„Der Friede der Welt" 1956 (258 ff.). „Es müßte geschehen
, was noch niemals geschehen ist, wenn die Welt, die wir
kennen und lieben, gerettet werden soll" (269).

Dem Geleitwort von Fr. Heer folgend, gibt Walter Nigg in dem
Essay „Reinhold Schneiders Erbe" eine meisterliche Charakteristik
des Werkes. Er nennt R. S. „einen großen Laientheologen", ebenbürtigen
Ranges mit Chomjakow, Solowjew, Peguy, Bernanos.
Schneider war ein Mensch in der Anfechtung, in welcher der Christ
nur aus der Tiefe zu Gott schreien kann". „In seinen Büchern sind
Fragen enthalten, mit denen heute ein denkender Mensch sich abgeben
muß, die dem im satten Wohlbehagen ertrunkenen Christen
bitter not tun und an denen wir nicht vorbeigehen dürfen, wenn
wir uns nicht eines sträflichen Leichtsinns schuldig machen wollen*.
Nigg lädt im besonderen die studierende Jugend zur Vertiefung
in die „bestürzenden Schriften der letzten Phase von R. S." ein:
„Sie können nichts Moderneres finden" (18).

Das schöne Buch gibt Anlaß, einen langher gehegten dringlichen
Wunsch auszusprechen. Der heute schon gefährdeten, nichtsdestoweniger
notwendigen Fortwirkung R. Schneiders steht die
Zersplitterung seines umfassenden Werkes in einer Mehrzahl von
Verlagen und einer kaum überschaubaren Vielzahl von Einzeldrucken
hindernd im Wege. Ein Verlag, der das Wagnis auf sich
nähme, entweder das ungekürzte Ganze oder doch die Reihe der
wichtigsten Werke vom „Leiden des Camoes" bis zu „Winter in
Wien" und zu der kostbaren Nachernte der von Curt Winterhalter
im Herder-Verlag herausgegebenen Bände als „Gesammelte Werke"
herauszubringen, würde der Christenheit beider Konfessionen in
der Bundesrepublik und weit darüber hinaus einen Dienst tun, der
Hunderte von anderen Veröffentlichungen an dauernder Fruchtbarkeit
überträfe.

Göttingen Martin Doerne

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Rendtorff, Trutz: Christentum außerhalb der Kirche. Konkretionen
der Aufklärung. Hamburg: Furche-Verlag (1969). 98 S. kl. 8° =
Stundenbücher, 89. DM 3.80.

Die Hauptthese dieses sehr wichtigen Büchleins lautet: „Christlichkeit
und Kirchlichkeit sind nicht dasselbe" (S. 9); es gibt eine
„verborgene Christlichkeit unserer Gesellschaft", ein „Christentum,
das abseits von den Bahnen kirchlicher Lenkung und Organisation
gelebt wird" (S. 33). Und dieses Christentum ernst nehmen heiße,
die Alternative durchbrechen, daß es nur entweder gute Kirchenchristen
— oder Neuheiden gibt. So setzt sich das Buch für die sogenannten
Randsiedler oder bloßen „Taufscheinchristen" ein, ja für
solche, die völlig außerhalb der Kirche doch Christen sein wollten,
einfach indem sie faktisch Christlichkeit übten und gewisse Grundaussagen
des christlichen Glaubens bejahten. Das soll die organisierte
Kirche nicht in Frage stellen (sie soll durchaus „ihre eigene
Identität aufrechterhalten", S. 7), macht ihr aber doch schwere Vorwürfe
, besonders in der Richtung, daß sie ihr spezifisch Christliches
hat in Gegensatz zum Menschlichen geraten lassen — wofür Beleg
sei: eine (immer noch) autoritäre Art (schon im Stil des Gottesdienstes
, s. S. 66), die weitverbreitete erklärte Vernunftfeindschaft
sowie die faktische Zumutung (die es unter heutigen soziologischen
Verhältnissen darstellt), total und ausschließlich in der Kirchengemeinde
sozial und ideell integriert zu sein („Die Loyalität gegenüber
Institutionen und Korporationen ist sinnvoll begrenzt", S. 30).
Vor allem aber macht sich Rendtorff deswegen zum Anwalt der
bloßen „Taufscheinchristen", weil die organisierte Kirche (besonders
seit der Dialektischen Theologie der zwanziger Jahre) dazu
übergegangen sei, gerade diese .Christen' samt ihrer .religiösen
und idealistischen' Ideologie zur vornehmlichstcn Zielscheibe ihrer
Polemik, wenn nicht des Spottes, zu machen und damit die eigenen
Kinder als verlorene Söhne zu betrachten (nicht selten unter ausgesprochener
Sympathieerklärung für die totalen und radikalen
Heiden, wie man ergänzen möchte). Den theologischen Haupteinwand
gegen die bloßen .Namenschristen', daß nur Konvention oder
allerhand anrüchige Motive sie noch Kirchensteuern zahlen lassen,
gibt Rendtorff an die Kirchen folgendermaßen zurück: „Mit dem
gleichen Recht, mit dem das Verhältnis der christlichen Zeitgenossen
zur Kirche und zum Christentum verdächtigt und heruntergedeutet
wird auf unklare, bloß psychologische, soziologische oder
andere Motive, könnte man genauso gut das kirchliche Leben in
den Gemeinden, in ihren Gruppen und frommen Kreisen analysie-