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Ausgabe:

1970

Spalte:

448-449

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Schubart-Fikentscher, Gertrud

Titel/Untertitel:

Die Unehelichen-Frage in der Frühzeit der Aufklärung 1970

Rezensent:

Dekker, Aat

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 6

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durch den der Tätigkeit ersetzt werden muß, «Verwandlung der
Naturttätigkeit in Selbsttätigkeit" (S. 271). „Die unsichtbare Tätigkeit
(Substanz) ,ist vor der Verwandlung bloße Naturtätigkeit,
statt welcher aber bei der heiligen Handlung (Konsekration) die
Selbsttätigkeit Jesu eintritt" (S. 270 f.), — ein bemerkenswertes
Seitenstück zu heutigen Versuchen, die Transsubstantiationslehre
neu zu interpretieren! — Im sittlichen Handeln hat die Gesinnung
den Primat. Sie „.macht das Formale und Charakteristische des
Willens aus" (S. 317). „Gesinnung steht in diesem Verhältnis für
Gottesliebe und gibt der Moral nicht nur Lebendigkeit und hohes
Ethos, sondern auch Einheit unter der alles prägenden Kraft der
Liebe" (S. 319). Die drei göttlichen Tugenden z. B. sind „gläubige,
hoffende und liebende Gesinnung". „Alle Pflichten und Tugenden
(werden) zurückgeführt auf die eine Tugend und Gesinnung: die
Liebe zu Gott, welche durch die Selbsttätigkeit bedingt ist und zur
unbeschränkten Selbsttätigkeit oder zu Gott strebt" (S. 326). Die
Unterscheidung zwischen läßlicher Sünde und Todsünde „darf
nicht als eine Regel zur Ausübung der Handlungen, sondern nur
zur Beurteilung der schon ausgeübten gebraucht werden. In erste-
rer Hinsicht ist sie soviel als nicht vorhanden" (S. 321). Der Pro-
babilismus ist zu verwerfen, „weil er der Vernunft, der Heiligen
Schrift und der Lehre der Väter widerspricht" (S. 322). Abschließend
urteilt D. über Geishüttner: „Wenn auch sein eigentliches
Anliegen, die Vereinbarkeit von Vernunft und Offenbarung zu
beweisen, nicht überzeugend verwirklicht wurde, so muß doch
bedacht werden, daß er mit der Hinwendung zur Transzendentalphilosophie
in der Darstellung der katholischen Sittenlehre eine
echte Aufgabe in Angriff genommen hat, die bis heute noch nicht
gelöst ist" (S. 329).

Halle/Saale Erdmann Schott

Luther, Christian: Das kirchliche Notrecht, seine Theorie und seine
Anwendung im Kirchenkampf 1933—1937. Göttingen: Vanden-
hoeck & Ruprecht 1969. 204 S. gr. 8° = Arbeiten zur Geschichte
d. Kirchenkampfes, in Verb. m. H. Brunotte u. E. Wolf hrsg. v.
K. D. Schmidt f, 21. Kart. DM 21.—.

L. setzt ein mit der Unterscheidung zwischen „positivem und
überpositivem oder gesetzlichem und übergesetzlichem Recht, wobei
man unter positivem oder gesetzlichem Recht das kodifizierte,
jeweils gültige Recht versteht; anderes Recht ist überpositiv oder
übergesetzlich zu nennen" (S. 11). Auch beim Notrecht kann man
zwischen positivem und überpositivem Notrecht unterscheiden, je
nach dem dieses Recht gesetzlich verankert ist oder nicht. Die 1933
gültigen Kirchenverfassungen hatten Bestimmungen über ein Notrecht
, das aber im Kirchenkampf nicht praktiziert wurde. Daher
klammert L. dieses positive kirchliche Notrecht aus und behandelt
nur das übergesetzliche kirchliche Notrecht, wie es von 1933—1937
ausgebildet und praktiziert wurde. Das Jahr 1937 als Terminus ad
quem ergab sich, weil nach der Auflösung der Kirchenausschüsse
die faktische Macht des Staatskirchenrechts und der politische
Druck so stark wurden, dafj Notrecht „von seinen Trägern nur noch
insofern gewahrt werden (konnte), als sie jede noch verbleibende
Gelegenheit ergriffen, um die konkrete Lage kirchlich annehmbar
zu gestalten. Größer angelegte notrechtliche Überlegungen blieben
nur Theorie. Insofern hatte nur noch die Praxis Einfluß auf die
konkreten Verhältnisse" (S. 128). L. behandelt zunächst die Ausbildung
der Theorie des kirchlichen Notrechts, und zwar in der
Weise, „daß in chronologischer Reihenfolge die wichtigsten Stellungnahmen
zum Notrecht einer interpretierenden und kritischen
Betrachtung unterzogen werden", angefangen von dem Gutachten
der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Münster (18. 1. 1934)
bis hin zu Plänen des Jahres 1937 nach dem Rücktritt des Reichskirchenausschusses
(S. 14—132); ein „Rückblick und Ausblick" (S.
133—140) formuliert die Ergebnisse. Die Anwendung des kirchlichen
Notrechts im Kirchenkampf 1933—1937 wird „an Beispielen
aus einzelnen Landeskirchen bzw. Kirchenprovinzen der Evangelischen
Kirche der altpreußischen Union gezeigt" (S. 141). Da L.
sich auf die vorliegenden territorialgeschichtlichen Arbeiten stützen
mußte, bleibt seine Darstellung lückenhaft. Er behandelt Brandenburg
(S. 141-147), Westfalen (S. 147—153), Grenzmark Posen-Westpreußen
(153—158), Thüringen (S. 158—161), Schlesien (S. 162-170),
Nassau-Hessen (S. 170—175), Schleswig-Holstein (S. 175—180), Lübeck
(S. 181-186) und (ev.-luth.) Sachsen (S. 186-194). Die Reihenfolge
bezeichnet das Maß, in dem das Notrecht in den betreffenden
Gebieten verwirklicht wurde. Die Praxis des Notrechts in Brandenburg
ist als vorbildlich an den Anfang gestellt; sie war „an einigen
entscheidenden Punkten sehr viel geschickter" als die (im übrigen
ebenso entschiedene) Westfalens (S. 153). Auch in der Grenzmark
und Thüringen wurde das Notrecht insoweit verwirklicht, „als es
die Umstände erlaubten" (S. 196) j nicht aber in den anschließend
genannten Gebieten. „In Schlesien glaubte man, die theoretisch als
notwendig erkannte Strenge und Radikalität nicht durchsetzen zu
dürfen", was zum Schisma führte; in Nassau-Hessen hat man ohne
ersichtlichen Grund die Finanzen der Kirche mit Ausnahme der
Kollekten nicht angetastet. In Schleswig-Holstein hat man längere
Zeit hindurch gezögert und dem Landeskirchenausschuß gegenüber
eine verhängnisvolle Nachgiebigkeit gezeigt. „In Lübeck hat man
das Notrecht nicht ergriffen, als man durch den Fall Jannasch
eigentlich hierzu hätte verpflichtet sein sollen". In Sachsen wird
„die notrechtliche Praxis eines Kirchenausschusses vor Augen geführt
", wobei man „Unvereinbares in Einklang zu bringen" versuchte
(S. 197). Eine zuverlässige Charakteristik für die Anwendung
des Notrechts in der gesamten DEK wird sich erst geben
lassen, wenn die Bearbeitung der noch fehlenden Kirchengebiete
erfolgt ist. Schon jetzt ist aber einiges deutlich; L. zählt es in elf
Punkten auf, von denen wenigsten zwei erwähnt seien: „3. Nirgends
ist es der Bekennenden Kirche gelungen, die ganze Kirche
zu erobern. Man ist also in der Theorie von einer falschen Einschätzung
der Lage ausgegangen". „11. Der Staat hat schließlich
ab 1937 und besonders unter den verschärften Bedingungen des
Krieges in wesentlich stärkerem Maße als vorher die Praxis des
Notrechts lahmgelegt" (S. 198).

An der Theorie des Notrechts kritisiert L. hauptsächlich „die
fehlende oder unzureichende Beachtung des kirchlichen positiven
Rechts" (S. 136); die Überbrückung des Dualismus von Wesens- und
Rechtskirche ist nicht gelungen. „Was ,aus dem innersten Wesen
der Kirche (übergesetzlich)' kommt, ist damit noch nicht als gültiges
Kirchenrecht in der DEK erwiesen" (S. 53 vgl. 29. 90. 92.
117. 124 f. 129. 140). Insoweit hat die Bekennende Kirche einen
„Mangel an Rechtmäßigkeit aufzuweisen" (S. 136). Dennoch sind
eine Reihe bleibend wichtiger Ergebnisse der Theorie jener Zeit zu
verzeichnen, die L. in vierzehn Punkten aufführt. Ein besonderes
Problem bildet das Notrecht der Ausschüsse. Hinsichtlich der Zahl
der Notrechtsträger ist kein grundsätzlicher Unterschied (S. 104),
ebenso nicht „hinsichtlich der staatlichen Beauftragung, da auch die
Bekennende Kirche gerne eine Staatshilfe . .. angenommen hätte"
(S. 105), auch nicht hinsichtlich einer kirchlichen Vokation (S. 104).
Es stand erstmals Notrecht gegen Notrecht (S. 108). Der Unterschied
liegt auf dem Gebiet der Theologie, dem das Notrecht dient.
Die Ausschüsse versuchten Unvereinbares zu vereinen und sind
daran gescheitert.

Halle/Saale Erdmann Schott

Schubart-Fikentscher, Gertrud: Die Unehelichen-Frage in der Frühzeit
der Aufklärung. Berlin: Akademie-Verlag 1967. 216 S. 8° =
Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften
zu Leipzig. Philol.-hist. Klasse, Bd. 112, 3. Kart. M 11.30.

Gertrud Schubart bietet mit ihrer juristisch-historischen Spe-
zialstudie ein höchst interessantes Buch dar. Es ist kaum zu erwarten
, daß der Theologe in einer theologischen Zeitschrift hierzu eine
ebenbürtige und sachverständige Beurteilung bieten kann. Man
muß hier nur dankbar sein, daß sich die verschiedenen Fakultäten
gegenseitig die Resultate ihrer Untersuchungen zugänglich machen,
um dann eventuell gemeinsam den Weg weiterzugehen. Zweierlei
verdanken wir Frau Professor Schubart:

1. Es wird eine kompakte und dennoch sehr leserliche — im
Anhang sogar fesselnde — Fülle von Material geboten, und zwar
über ein Thema, das auch in der Ethik immer wiederkehrt und
noch nie bewältigt wurde. Die Analyse wirft ein helles Licht auf
die Rechtslage des unehelichen Kindes in der Frühzeit der Aufklärung
. Es fällt auf, welch große Rolle damals die Unehelichen-
Frage spielte. Sie hebt sich scharf vom Hintergrund des immer
geltenden Ehelichen-Rechtes in einer Gesellschaft ab, die alles an
der Einheit der gesetzlich geordneten, auf Einehe beruhenden