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Ausgabe:

1970

Spalte:

445-447

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Derungs, Ursicin

Titel/Untertitel:

Der Moraltheologe Joseph Geishüttner (1763 - 1805), I. Kant und J. G. Fichte 1970

Rezensent:

Schott, Erdmann

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 6

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Schwierigkeiten, anderseits sein Ehrgeiz, sein Geltungstrieb, seine
Raff sucht" (S. 246).

Einen Wandel bringt auch die Zeit nach 1830 nicht. Zwar wurde
der in seinem literarischen Erbe relativ unbekannte Zwingli jetzt
durch wissenschaftliche Ausgaben, Bibliographien, Sammelwerke,
Monographien und Zeitschriftenaufsätze mehr erschlossen (was
den zeitlichen Neuansatz um 1830 in dem vorliegenden Buch rechtfertigt
), aber gerechter und objektiver wurde die katholische
Zwinglidarstellung deshalb nicht. Zwingli steht weiterhin im Schatten
Luthers, wenn auch in manchen Veröffentlichungen versucht
wird, auf Grund des leichter zugänglichen Materials die Motive
der Zürcher Reformation und die Ideen Zwingiis „von Polemik
befreit" (S. 280) bekannt zu machen.

Die Unterteilung der Darstellung Büssers nach Ländern ist
praktisch begründet, soll aber auch dokumentieren, daß die
deutsche Führung in der Zwingliforschung um die Jahrhundertwende
von der Schweiz abgelöst wurde und daß heute eindeutig
Italien und Frankreich an der Spitze stehen, „wobei erstaunlicherweise
der französische Dominikaner (gemeint ist Jacques Vincent
Pollet) heute wahrscheinlich der Mann sein wird, der Zwingli auch
im deutschen Sprachgebiet zu seinem Recht kommen läßt" (a. a. O.).
Gerade durch diesen treffenden Satz wird die topographischschematisierende
Einteilung Büssers in dem letzten Hauptteil seines
Buches als sachlich nicht ganz zufriedenstellend charakterisiert.

Der Anderswertung, um nicht direkt zu sagen .Aufwertung'
Luthers im katholischen Raum entspricht generell heute nicht unbedingt
eine solche in bezug auf Zwingli. „Zwingli blieb, von den
wenigen, besonders erwähnten Ausnahmen (Sarpi, Aufklärer, Pollet
, Vasella) (abgesehen) bis in die neueste Zeit hinein ein Ketzer.
Und nicht bloß das! Ähnlich wie in der ganzen protestantischen,
vor allem deutsch-literarischen Literatur blieb Zwingli natürlich ein
Reformator zweiter Güte" (S. 411). Was Gottfried W. Locher generell
zum Zwinglibild des Protestantismus gesagt hat (RGGa VI,
Sp. 1960), überträgt Büsser in etwa kritisch auch auf die Mängel
des katholischen Zwinglibildes bis in die Gegenwart hinein, daß
nämlich „vielfach überhaupt nur die Differenzpunkte zu Luther
betont, alles andere der Reformation gemeinsame Gut aber übersehen
wurde. Daß Zwingli auf großartige Weise und selbständig
die Botschaft von Gottes Gnade in Jesus Christus, Lehren von Gott,
von Christus und vom Heiligen Geist, vom Wort Gottes, von der
Rechtfertigung, vom Glauben, von der Kirche und den Sakramenten
, vom Staat entwickelt hat; daß Zwingli auf durchaus eigene
Weise zum Reformator geworden ist, nach eigenen Motiven gehandelt
und seine besondern politischen, religiösen und persönlichen
Voraussetzungen als Reformator mitgebracht hat, wird praktisch
fast vollkommen unterdrückt" (S. 412).

Durch Vasella und besonders Pollet (cf. meine Rezension zu
dem seine Studien bisher zusammenfassenden Buch: Huldrych
Zwingli et la Reforme en Suisse d'apres les recherches recentes,
Paris 1963, in: ThLZ 91, 1966 Sp. 56 ff.) zeichnet sich eine Wende
ab, die zu der Erkenntnis im Katholizismus führen könnte, daß es
wohl lohne, sich mit dem Zürcher Reformator zu beschäftigen und
in ihm „einen Lehrer der christlichen Kirche kennen" zu lernen,
„dessen Stimme unter allen Umständen gehört zu werden verdient"
(S. 413).

Daß Büsser diese Bemerkungen, ja seine ganze vorliegende
Arbeit „im Interesse des konfessionellen Friedens" und angesichts
des die Fronten in Bewegung bringenden ökumenischen Zeitalters
meint, bringt er hinlänglich zum Ausdruck.

Berlin Joachim Rogge

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Derungs, Ursicin: Der Moraltheologe Joseph Geishüttner (1763 —
1805), I.Kant und J.G.Fichte. Studien zu den philosophischen
Grundlagen der „Theologischen Moral" Joseph Geishüttners.
Regensburg: F. Pustet 1969. 348 S. 8° = Studien zur Geschichte
der kath. Moraltheologie, hrsg. v. M. Müller, 16. Kart. DM 39.—.
Der früh verstorbene Linzer Moraltheologe J. Geishüttner ist
ein Vertreter der späten Aufklärung. Sein Hauptwerk „Theologische
Moral in einer wissenschaftlichen Darstellung" erschien 1802
in Linz und wurde 1804 in Augsburg und 1805 in Linz unverändert

neu aufgelegt. Geishüttner hat sich philosophisch an Kant und
Fichte orientiert, „ohne jedoch Kant oder Fichte auch nur einmal
zu nennen" (S. 29). Sein Anliegen ist es, eine theologische Moral
zu schreiben, „die zugleich wissenschaftlich ist" (S. 47). Wissenschaftlich
ist die theologische Moral nur dann, „wenn sie ihre
Grundsätze auch philosophisch prüft" (S. 48). Darum setzt sich
Geishüttner mit den philosophischen Strömungen seiner Zeit auseinander
; er will „die Vereinbarkeit, ja innere Harmonie (zeigen),
die zwischen göttlicher Offenbarung und ,den innersten Tiefen des
menschlichen Geistes' besteht" (a. a. O.).

D. behandelt in einem „vorbereitenden Teil" Leben, Persönlichkeit
und Werk J. Geishüttners (S. 35—61); es folgen drei weitere Teile
mit den Überschriften: 1. Der Begriff „übersinnlich" und „übernatürlich
" in der „Theologischen Moral". Seine philosophische Herkunft
und Tragweite (S. 65—132), 2. Gott, Religion und Offenbarung in der
„Theologischen Moral". Philosophische Herkunft und Tragweite
dieser Begriffe (S. 135—219), 3. J. Geishüttner und das System
Johann Gottlieb Fichtes (S. 223-326). Ein Rückblick (S. 327-329)
und ein Register, getrennt nach Namen und Begriffen (S. 331—348),
beschließen die sorgfältige Untersuchung. Obgleich das „Fichtesche
Gedankengut" das ist, „was beim ersten Lesen der .Theologischen
Moral' gleich in die Augen springt", da Geishüttner die Begrifflichkeit
aus Fichtes „Wissenschaftslehre" in der Einleitung der „Theologischen
Moral" entfaltet, widmet D. doch erst den dritten Teil
seiner Untersuchung dem spezifisch Fichteschen Gedankengut,
„weil Geishüttner die Kantische Position (Kluft zwischen Phäno-
menon und Noumenon) durch die Hinwendung zu Fichte keineswegs
überwunden hat" (S. 223). Darum behandeln die ersten beiden
Teile die Auseinandersetzung Geishüttners mit der Philosophie
Kants und des im Banne Kants stehenden jungen Fichte („Versuch
einer Kritik aller Offenbarung").

Es würde zu weit führen, den Gang der Untersuchung im einzelnen
nachzuzeichnen. Nur auf einige Ergebnisse sei hingewiesen.
Geishüttner identifiziert den theologischen Begriff „übernatürlich*
mit dem philosophischen „übersinnlich", der bei Kant entschieden
ethisch gefärbt ist. Dadurch kommt er zu einem Glaubensbegriff,
bei dem übersinnlicher Glaube (= Vernunftglaube) und „historischer
" Glaube auseinanderfallen. Obwohl er sich bemüht (wohl
auch gegenüber Kant) den Wert des historischen Glaubens hervorzuheben
, bleibt er doch zu sehr seinen philosophischen Voraussetzungen
verhaftet, als daß er ihm mehr als eine dienende Stellung
zum übersinnlichen Glauben einräumen könnte (S. 115). D.
stellt kritisch fest: „es gibt vom philosophisch Übersinnlichen zum
theologisch Übernatürlichen keinen kontinuierlichen Übergang"
(S. 118). — Geishüttners Offenbarungsbegriff verdeutlicht D. an der
Unterscheidung zwischen natürlicher und offenbarter Religion:
diese unterscheiden sich nicht nach Inhalt und Form; denn: „Bezüglich
des Inhalts ist jede Religion übersinnlich, bezüglich der
Form ist jede Religion natürlich-sinnlich" (S. 165); damit entfällt
eine Einteilung in natürliche und übernatürliche Religion. Jede
Religion ist zugleich „natürlich" (= sinnlich-symbolisch) und „übernatürlich
" (= vernünftig-moralisch). Außerdem beruht jede Religion
auf Offenbarung, nämlich auf Uroffenbarung, durch welche
dem Menschen der Begriff des Übersinnlichen mitgeteilt werden
mußte (S. 168); Geishüttner gehört zu den Vorläufern des Traditionalismus
im 18. Jahrhundert! Warum aber dann noch eine besondere
Offenbarung? Weil „der Mensch durch eigenes Verschulden
die von Gott ursprünglich gegebenen übersinnlichen Wahrheiten
verloren hatte" (S. 175). Der Offenbarungsinhalt bleibt
immer gleich. Es darf daher keine Schriftauslegung geben, „,die
mit den sittlichen Begriffen im Widerspruch steht'" (S. 183). — Die
Christologie wird von der Idee des Gottesmenschen her entworfen:
der Gedanke der völligen Angemessenheit zwischen Gott und dem
menschlichen Willen führt auf die Idee vom Gottmenschen, „ ,da der
Gottheit nichts als sie selbst völlig angemessen oder gleich ist"
(S. 195); der wirkliche Gottmensch, Christus, ist „der vollkommenste
Fall der moralisch verstandenen Gottessohnschaft" (S. 197).
Die Kirche, der Leib Christi, wird dementsprechend „von der apriorischen
.Tugendgesellschaft' und der Idee des Reiches Gottes her
verstanden" (S. 210); ihr steht das Satansreich gegenüber, „.eine
Rotte solcher Wesen, die einen verkehrten, dem sittlichen Gesetze
widerstreitenden Willen haben'" (S. 211). Der Staat ist Rechtsgesellschaft
; Staat und Kirche verhalten sich wie Legalität und
Moralität. — Die Transsubstantiation ist, da der Substanzbegriff