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Ausgabe:

1970

Spalte:

443-445

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Büsser, Fritz

Titel/Untertitel:

Das katholische Zwinglibild 1970

Rezensent:

Rogge, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 6

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beitragen, daß recht bald ein umfassendes marxistisches Bild von
der Entwicklung des Friedensgedankens in der Neuzeit erarbeitet
wird" (S. XXXV).

Berlin Joachim Rogge

Büsser, Fritz: Das katholische Zwinglibild. Von der Reformation
bis zur Gegenwart. Zürich/Stuttgart: Zwingli-Verlag [1968], X,
424 S. gr. 8°. Lw. DM 48.-.

Was der jetzige Ordinarius für Kirchengeschichte an der Universität
Zürich als seine Habilitationsschrift vorlegt, ist nach Inhalt,
Anlage und Umfang ein Standardwerk. Der durch das Thema angezeigten
Aufgabe hat sich bisher noch niemand zugewendet, zumindest
nicht so in extenso, wie Büsser das getan hat; und es ist
nun kaum mehr erforderlich, da5 sich in absehbarer Zeit ein anderer
der gleichen Materie widmet. Letzteres mag gleich eingangs
als uneingeschränktes Lob für Büssers Leistung aufgefaßt werden.

Konventionell ausgedrückt: Das vorliegende Werk füllt im
vornehmsten Sinne des Wortes eine Lücke, die bisher in der Zwingli-
forschung bestand. Dafür gebührt dem Vf., der ohnehin seine künftige
Arbeit nun auch ex officio (er ist Leiter des Instituts für Schweizerische
Reformationsgeschichte seiner Universität) der Förderung
der Zwingliforschung verschrieben hat, herzlicher Dank.

Aus zwei Gründen wurde die extensive und intensive Behandlung
des katholischen Zwinglibildes besonders nahegelegt: 1. Kurt
Guggisberg hat vor etwa 3 Jahrzehnten „Das Zwinglibild des Protestantismus
im Wandel der Zeiten" gezeichnet, und 2. hat Adolf
Herte in einem breit angelegten Werk das katholische Lutherbild
im Banne des Cochläus untersucht. Beide Arbeiten haben so wesentliche
Erkenntnisse zutage gefördert, dafj der jetzt durch Büsser
geleistete Forschungsbeitrag in bezug auf Zwingli dringend geboten
erschien.

Der Vf. hat sich der schon von Guggisberg als nicht gerade ersprießlich
avisierten Arbeit (S. VII) mit großer Sorgfalt und mit dem
Ziel möglichster Vollständigkeit (S. VIII) unterzogen. Sicherlich
wird es nicht von Belang sein, Büsser hier und da nachzuweisen,
daß er eine Publikation aus dem weiten Zeitraum von 1523—1967,
den er zu berücksichtigen gedachte, vergessen hat; viel wichtiger
ist auf der ganzen Linie der Eindruck, daß der Vf. nichts Wesentliches
zur Sachkomplettierung ausgelassen haben dürfte.

Das Buch hat 3 Hauptteile, die die römisch-katholischen Stellungnahmen
in drei deutlich markierten Phasen einfangen: I. Die
Zeitgenossen, II. Das Zwinglibild der Gegenreformation 1530 bis
ca. 1830 und III. Das katholische Zwinglibild der neuesten Zeit seit
1830. In sich sind die einzelnen Teile nach Personen (L), systematisch
bzw. thematisch (II.) und topographisch (III.) gegliedert.

Der Vf. geht den literarisch sehr verzweigten Wirkungen nach,
die Zwingiis Persönlichkeit ausgelöst hat. Große Partien des Buches
enthalten in graphisch vorteilhaft abgesetztem Petitdruck z. T. ausführliche
Quellenauszüge aus katholischen Werken, die Büsser im
Kontext interpretiert. Exakte bibliographische Angaben ermöglichen
weitere Nachforschung. Wünschenswert wäre vielleicht gewesen
— gerade angesichts der Fülle des vorbildlich gesichteten
und verarbeiteten Materials — dem Buch eine (am besten chronologisch
-topographische) Übersicht beizugeben, die dann einen
schnelleren Überblick über den Umfang der Beschäftigung mit
Zwingli von Seiten des Katholizismus ermöglicht hätte. Dieser
kleine Mangel wird allerdings durch ein sehr zuverlässiges Personenregister
zum großen Teil ausgeglichen, so daß mit interessierenden
Namen verbundene Bibliographien relativ leicht zu haben
sind.

Büsser geht davon aus, daß bereits deshalb vom katholischen
Zwinglibild nicht viel Günstiges zu erwarten ist, weil der Reformator
„schon für viele Protestanten, besonders natürlich für die
Lutheraner, eine umstrittene, fragwürdige Persönlichkeit gewesen
ist" (S. VII f.). Büsser weist nach, daß in allen Zeiten die Kontroversen
zwischen den Reformatoren selbst von den katholischen
Autoren kräftig benutzt und dramatisiert bzw. potenziert dargestellt
worden sind. Es ist anerkennenswert und wohltuend, daß
der Vf. in seinem verständlichen und auch sachgemäßen Bemühen,
die vielgestaltige Verzerrung des Zwinglibildes als solche auch zu
charakterisieren, nicht zu einem unkritischen laudator facti geworden
ist.

Einen besonderen Reiz hat gleich eingangs die Analyse der
Stellungnahmen einiger kontemporärer römisch-katholischer Theologen
, die Zwingli außerordentliche Beachtung bei aller Gegnerschaft
geschenkt haben. Büsser führt die wirklichen Kriterien
solcher Gegnerschaft zum ersten Mal substantiiert durch gute Zitation
vor, während bisher fast ausschließlich pauschal Fabri,
Eck, Murner, Salat und andere als Zwinglifeinde rubriziert wurden.
Die Genannten haben sich z. T. ausführlicher mit dem Schweizer
Reformator auseinandergesetzt als das von anderen im Vergleichszeitraum
in bezug auf Luther gesagt werden könnte. Die Prärogative
kirchenrechtlicher Maßnahmen steht bei Luther eher im Vordergrund
als bei Zwingli, dem vor autoritativ gefällten Sprüchen
mehr als Luther die Ehre sachlicher Auseinandersetzung zuteil
wurde.

Bereits die genannten Zeitgenossen erkannten in Zwingli den
Theologen und Politiker und nicht zuletzt den Luthergegner. Das
Etikett erklärter Ketzerei bei Zwingli stand bei allen Genannten
fest, mögen sie nun primär als Theologen, Vertreter der Kirchenautorität
, Historiker (Salat) oder Politiker urteilen. Faber beginnt
mit der Reihe der Anklagen und Vorwürfe, die sich außer auf bereits
Angeführtes auf die geistige Urheberschaft Zwingiis für Täufer
und Sektierer bzw. Bilderstürmer beziehen. Derselbe weist —
mit klarem Blick für diese wesentliche und konsequenzenreiche
Thematik! — auf Zwingiis Abendmahlslehre hin, die ja im Grunde
kein einfaches Lehrpunkt-Problem, sondern eine Divergenz in der
gesamten Christologie veranschaulicht. So gab sich der Konstanzer
Gcneralvikar und spätere Wiener Bischof erhebliche, aber letztlich
erfolglose Mühe, durch theologische Argumente die Zürcher Reformation
zu verzögern (S. 22 f.). Wenn auch die Originalität Johann
Ecks neuerdings in Zweifel gezogen wird, ist doch sein Einfluß auf
die Urteilsbildung seiner Kirche nicht zu unterschätzen. Wenn er
nach gründlichem Studium der Schriften Zwingiis (S. 43) große Anstrengungen
zum Erweis der Ketzerei macht, dürfte klar sein, daß
er „die meisten Grundlagen gelegt hat für das, was die katholischen
Historiker und Theologen in den folgenden Jahrhunderten
über Zwingli gewußt und weitergegeben haben".

Die Motivationen und Angriffsflächen für die Bekämpfung
Zwingiis sind auch in der Gegenreformation unterschiedlich. Es
nimmt nicht wunder, daß in dieser Zeit „keine einzige wirklich
erfreuliche kath. Arbeit über Zwingli zustande gekommen ist" (S.
162). Ein geschlossenes „Gesamtbild" hat es genau so wenig über
den vielbeachteten Reformator gegeben wie in der Reformationszeit
selbst. In der endlosen Kette von Negativa über Zwingli in der
katholischen Literatur von 1530 bis 1830 bilden lediglich der ire-
nische verständnisvolle Sarpi und deutsche Aufklärer die Ausnahmen
, die jedoch die Regel eher bestätigen als in Zweifel ziehen.

Büsser läßt das (katholische) Zwinglibild Luthers in einem besonderen
Kapitel eigen thematisch werden. Es lag nahe, den Gegensatz
zwischen den Reformatoren auch über die Reformationszeit
hinaus triumphierend und schadenfroh auszuschlachten (S. 164).
Dafür legt Büsser zahlreiche Beispiele vor. Und in der Kontroverse
Luther/Zwingli nimmt — wiederum verständlicherweise — der
Abendmahlsstreit einen erheblichen Raum ein. Die Spaltung im
evangelischen Lager wurde nicht allein schadenfroh quittiert. Das
Waffenarsenal Luthers gegen Zwingli wurde dabei eifrig benutzt.
Daß man katholischerseits den Abendmahlsauffassungen Luthers
erheblich nähersteht als denjenigen Zwingiis, versteht sich für den
Kenner der Materie von selbst.

In dem Kapitel, das Zwingli als notorischen Ketzer im Blickfeld
der römisch-katholischen Stellungnahmen bis 1830 kenntlich
macht, werden als Lehrpunkte besonders hervorgehoben: seine
Lehre vom Heil erwählter Heiden, sein angeblicher Pelagianismus,
seine Anschauungen über Vorsehung und Prädestination, seine
Trinitätslehre und seine Sakramentsauffassungen. „Die Zusammenstellung
der Irrtümer Zwingiis ging später in verkürzter Form in
sozusagen alle enzyklopädischen Darstellungen über" (S. 233).

Erheblicher, wenn auch nicht sehr häufiger katholischer Kritik
unterlag von 1530 bis 1830 die Lebensführung Zwingiis und die
Durchführung der Schweizer Reformation überhaupt. Fehlinformationen
, Unterstellungen und Verleumdungen durchziehen viele
katholische Werke. Auch hier bilden einige Aufklärer die Ausnahme
, indem sie Zwingiis Gelehrsamkeit rühmen. Generell gilt
aber: „Wirklich wichtig sind für die katholischen Autoren nur die
ganz persönlichen .Motive' Zwingiis: einerseits seine sexuellen