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Ausgabe:

1970

Spalte:

440-441

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Nicolaus de Dinkelspuhel, Texte zum Problem des Laienkelchs 1970

Rezensent:

Junghans, Helmar

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 6

440

lung beigetragen. Nun sind zwar die Textvarianten nicht bei allen
Dialogen so zahlreich wie bei dem Dialog zwischen dem Pfarrer
und dem Schultheiß, dennoch hätte es sich gelohnt, wenn der Hrsg.
über seine Textänderungen Rechenschaft gegeben und für die Anleitung
zum textkritischen Studium Material bereitgestellt hätte.

Dem Text sind Anmerkungen beigefügt, die allerdings nach
dem „neuesten Stand der Editionstechnik" an das Ende des Bandes
verwiesen wurden. Und da sogar darauf verzichtet wurde, im Text
durch Anmerkungsziffern darauf zu verweisen, muß der Leser
durch Nachschlagen überhaupt erst einmal feststellen, ob es für
seine Frage eine Erläuterung gibt. Die Anmerkungen selbst sind
sehr hilfreich und führen gut in das Frühneuhochdeutsche ein. Es
werden nicht nur fremdgewordene Ausdrücke erklärt, sondern es
werden auch Formen angegeben und vor allem Wörter erläutert,
die inzwischen einen Bedeutungswandel durchlaufen haben und
die eigentlichen Fallen beim Verständnis frühneuhochdeutscher
Texte darstellen. Da diese Glossen fortlaufend zum Text angeordnet
sind, können Wiederholungen nicht ausbleiben. Wenn diese
Anmerkungen schon nicht gleich unter dem Text gebracht werden
können, zu dem sie gehören, so scheinen sie mir in einem alphabetisch
aufgebauten Glossar besser aufgehoben zu sein, wofür es
in frühneuhochdeutschen Textausgaben genug Beispiele gibt.

Die hier aufgezählten Erscheinungen dürfen nun aber keinesfalls
dem Hrsg. oder dem Verlag angelastet werden, als ob sie es
sich besonders leicht gemacht hätten. Sie haben vielmehr im Rahmen
einer sich ausbreitenden Editionstechnik ein sauber gedrucktes
und gut ausgestattetes Werk herausgebracht. Es mufj aber einmal
zur Sprache gebracht werden, daß ein Hang vorhanden ist,
zwar die Herstellung der Bücher zu rationalisieren, aber nicht ihre
Benutzung. Was ist denn eigentlich volkswirtschaftlich gewonnen,
wenn der Hrsg. und einige Mitarbeiter eines Verlages ein paar
Arbeitsstunden sparen, dafür aber hunderte oder gar tausende
von Lesern unter großem Zeitaufwand die Glossen zum Text zusammensuchen
müssen?

Eine Einleitung in die Textausgabe bietet eine kurze Geschichte
des Dialogs, der zwar schon im Mittelalter verwendet
wurde, aber erst durch die Humanisten und die reformationsgeschichtlichen
Ereignisse zur Blüte kam. Ulrich von Hutten
förderte diese Entwicklung ganz besonders, als er in Anlehnung an
Lukian die Dialogform verwendete und verbreitete. Und man darf
gleich hinzufügen, die Humanisten schrieben auch reformatorische
Dialoge. Der Hrsg. unterscheidet zwar zwischen dem humanistischen
, vor allem satirischen, Dialog und dem aus der Feder lutherischer
Theologen, aber er denkt dabei zu sehr an die Trennung
von Luther und Erasmus. Es trennten sich zwar Humanisten von
Luther, doch sie gehörten meist der älteren Generation an. Die
jüngeren Humanisten gingen zur Reformation über. Auch die hier
genannten Vf. der meist anonym erschienenen Dialoge — Urbanus
Rhegius, Martin Bucer, Eberlin von Günzburg und Erasmus Albe-
rus — standen unter humanistischem Einfluß. Wenn diese auch für
den Inhalt ihrer Dialoge aus der Reformation schöpften, so verdankten
sie doch dem Humanismus formale Elemente, vielleicht
sogar Motive für die Wahl der Gesprächspartner in ihren Dialogen.
Es gehörte zur Überzeugung der Humanisten, daß ihre Wahrheiten
im Gegensatz zur scholastischen Spekulation jedem, auch dem Ungebildeten
, einsichtig seien. Gleich im ersten Dialog stellte von
Hutten fest, daß die Lügen des Papstes oft ein Kind durchschauen
könnte und der Dialog geschrieben werde, damit ihn jedermann
erkenne. Auch der Karsthans ist nicht ein Objekt im Dialog
. Er wird nicht „aufgeklärt", sondern er ist selbst das urteilende
Subjekt zwischen den Argumenten Murners und Luthers, wobei
charakteristischerweise sein studierter Sohn scholastische Anschauungen
vertritt. Es ist allerdings auch nicht zu übersehen,
daß der Karsthans nach seinem Flegel ruft, zum Kampf gegen den
Mißbrauch der Gewalt bereit ist. Um so mehr Beachtung verdient,
daß bereits im „Karsthans" von 1521 der darin auftretende Luther
es zurückweist, daß für ihn gekämpft oder jemand totgeschlagen
wird.

Damit sind wir schon in den Inhalt der Dialoge hineingeraten,
mit dem sich zu befassen für den Historiker und Theologen gleicherweise
sehr interessant ist. Und dafür sei dem Hrsg. und dem
Verlag gedankt, daß sie diese Möglichkeit für den Studienbetrieb
geschaffen haben.

Leipzig Helmar Junghans

Damerau, Rudolf: Texte zum Problem des Laienkelchs. Nikolaus
von Dinkelsbühl (1360—1433). Tractatus contra errores Hussita-
rum. De sub utraque. Textkritische Ausgabe. Gießen: Schmitz
[1969]. II, 353 S. 8" = Studien zu den Grundlagen der Reformation
, 6. Kart. DM 27.—.

Nikolaus von Dinkelsbühl gehörte zur Wiener Theologischen
Fakultät und gilt als „zum Nominalismus Ockhams neigender
Eklektiker". Als Gesandter des Herzogs Albrecht V. nahm er am
Konstanzer Konzil teil, wo er durch die Verhandlung über die hus-
sitischen Lehren auf die Frage gestoßen wurde, ob das Abendmahl
unter einer oder unter beiderlei Gestalt ausgeteilt werden sollte.

Mit dieser Frage beschäftigten sich die hier edierten Texte. Der
erste ist unter seinem Anfang „Barones Regni Bohemie" bekannt,
hat aber auch schon einige andere Bezeichnungen erhalten. Der
Hrsg. hat ihm durchaus sachgemäß den von einem Schüler des
Nikolaus verwendeten Titel „Tractatus contra errores Hussitarum"
gegeben. Dieser Traktat widerlegt die Argumentation der „Demonstratio
per testimonia Scripturae, patrum atque doctorum communi-
cationem calicis in plebe Christiana esse necessarium", die bisher
Jakob von Misa zugeschrieben wurde, was auch der Hrsg. tut, für
die aber neuerdings Johannes von Jesenitz als Vf. in Anspruch genommen
wird, worauf der Hrsg. nicht eingeht.

Nikolaus von Dinkelsbühl versuchte, die Reformideen des
Konstanzer Konzils im Mönchtum durchzusetzen und gehört mit
in die Melker Reform. Von 1421 bis 1424 las er im Melker Studienhaus
über das 4. Buch der Sentenzen des Petrus Lombardus. Von
dieser „Lectura Mellicensis" hat Alois Madre über 200 erhaltene
Abschriften festgestellt, was für ihre große Verbreitung spricht.
Der Hrsg. hat daraus die quaestio 3 der distinctio 9 „An sit de lege
ewangelica et de necessitate salutis sacramentum Eukaristie su-
mere sub utraque specie" unter dem Titel „De sub utraque" als den
zweiten Text in dem vorliegenden Buch veröffentlicht.

Damit hat der Hrsg. Texte herausgebracht, die seiner Darstellung
„Der Laienkelch" zugrunde liegen, die 1964 als Band 2 der
„Studien zu den Grundlagen der Reformation" erschienen ist. Sie
wurde in ThLZ 93, 1968 Sp. 120 f., besprochen, wobei die Vermutung
ausgesprochen wurde, daß sich ein Druck des „Tractatus
contra errores Hussitarum" erübrige, da der Text bereits 1698
veröffentlicht worden sei.

Die textkritische Ausgabe hat aber nun gezeigt, daß sie durchaus
ihre Berechtigung hat. Die 1698 gedruckte und von dem damaligen
Hrsg. Hermann von der Hardt dem Mauritius von Prag
zugeschriebene Schrift enthält einige Zusätze, die in den auf Nikolaus
von Dinkelsbühl hinweisenden Handschriften fehlen, so z. B.
eine lange Ausführung über hygienisch-ästhetische Gründe für den
Kelchentzug (153—156). Aber auch innerhalb der handschriftlichen
Überlieferung fällt die Handschrift 3665 der Wiener Nationalbibliothek
auf, die 13 sachliche Ergänzungen bietet, die von dem
Hrsg. als Zwischenglied bis zur „Lectura Mellicensis" eingeordnet
werden (20—24). Wir erhalten also durch die vorliegende Arbeit
Einblick in die Entwicklung dieser Schriften und damit auch in die
allmähliche Ausbildung der antihussitischen Argumentation.

Nun liegen die Dinge aber nicht so einfach, daß Nikolaus von
Dinkelsbühl einen Traktat geschrieben hat, den einerseits vielleicht
Mauritius von Prag erweiterte und andererseits Nikolaus selbst
weiter entwickelte, sondern es steht vielmehr die Frage an, ob
Nikolaus nicht schon selbst auf eine andere Arbeit zurückgegriffen
hat. Darauf wurde der Hrsg. durch die obengenannte Besprechung
hingewiesen, ohne daß sie ihn dazu bewogen hat, in seiner Einleitung
auf dieses Problem einzugehen oder auf die Arbeit von
Dieter Girgensohn, Peter von Pulkau und die Wiedereinführung
des Laienkelches. Göttingen 1964, hinzuweisen. Girgensohn hat
aber dargelegt, daß zunächst die „Conclusiones doctorum" entstanden
. In Anlehnung daran verfaßte Peter von Pulkau, der ein Kollege
des Nikolaus war und die Wiener Universität auf dem Konzil
vertrat, sein Gutachten gegen den Laienkelch, dessen Niederschrift
am 31. Mai 1415 abgeschlossen wurde. Dieses Gutachten legte
Nikolaus seinem „Tractatus contra errores Hussitarum" zugrunde.
Es wurde von Girgensohn (217—250) vorbildlich ediert, so daß es
unser Hrsg. sehr leicht gehabt hätte, einen Vergleich der Texte
anzustellen.

Somit kommen wir zu den Mängeln der Arbeit. Schon rein
äußerlich unterscheidet sie sich vom Band 4 dieser Reihe. Der Text