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Ausgabe:

1970

Spalte:

435-436

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Pokorný, Petr

Titel/Untertitel:

Der Kern der Bergpredigt 1970

Rezensent:

Rohde, Joachim

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Seite 1

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435

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 6

436

gen (7 Sendschreiben als Ausgangspunkt der Interpretation). Der
Vf. lehrt im Gegensatz zu einer apokalyptischen Deutung, die in
der Kirchengeschichte oft genug nicht scharf genug zwischen Wahrsagerei
und Weissagung unterschieden hat, daß die Zukunft der
Welt nicht als Inferno gesehen werden darf, sondern den Menschen
unweigerlich zu ihrer Gestaltung herausruft. M. versteht es, deutlich
zu machen, daß Joh das Festhalten an der radikalen Offenheit
der Zukunft nicht allgemein verkündet, sondern daß diese Offenheit
in der prophetischen Forderung nach einer sittlichen Entscheidung
in konkreten gesellschaftlichen, politischen und religiösen
Problemen mitenthalten ist, auch wenn wir diese konkreten Bezüge
heute nur noch stellenweise erkennen können. M. weiß aber auch,
dafj Prophetie sich nur von der grundlegenden Annahme aus entwickeln
kann, dafj — obwohl der Mensch die Zukunft gestalten
soll — er die Geschichte niemals selbst zu Ende bringen und also
das Risiko von Himmel und Hölle nicht auszuschließen vermag.

Gott hat ständig Wohnung in der Geschichte genommen und
wird somit zum eigentlichen Inhalt der Geschichte. Gottes Gegenwart
in der Geschichte ist nicht ein Teilaspekt der Geschichte, sondern
macht Geschichte überhaupt erst möglich. Dieses Konzept verbindet
M. mit der jüngsten Schule eschatologischer Theologie in
Europa: Gott wird erkannt in dem Drängen auf Reife und Verantwortlichkeit
, das auf den Menschen durch eine eindeutig offene
Zukunft ausgeübt wird. Eine tragfähige, christliche Verkündigung
muß heute den Menschen verantwortlich machen für die Geschichte
.

Wertvolle Impulse zur Aktualisierung der Botschaft der Apk
können aus dieser Studie für denjenigen Leser ausgehen, der zugleich
das sehr kritische, ausführliche Vorwort von M. Bourke beachtet
. Wohl nicht zu Unrecht fragt B., warum der Vf. denn nun
jedes Bild, jede Vision der Apk, gleichgültig aus welcher Traditionslinie
eschatologischen Verständnisses sie auch stammen mögen,
seiner einheitlichen theologischen Konzeption selbst um den Preis
widersprüchlicher Umdeutungen des Textes unterordnen mufj.

Berlin Günther Kehnscherper

Pokorny, Petr, Doz. Dr.: Der Kern der Bergpredigt. Eine Auslegung
. Hamburg: Reich 1969. 62 S. gr. 8°. Kart. DM 6.80.

Diese Untersuchung des Dozenten der Prager Comenius-Fakul-
tät ist während seiner Gastdozentur in Greifswald in den Jahren
1967/68 entstanden. Einige Kapitel aus ihr haben auch die Grundlage
von Vorlesungen in Lund, Halle und Prag gebildet.

Der Vf. beherrscht zwar eindeutig die historisch-kritischen
Methoden der neutestamentlichen Exegese, was sich darin zeigt,
daft die Ergebnisse der literarkritischen, form- und redaktionsgeschichtlichen
Untersuchungen implizit und auch explizit mit zur
Stelle sind, aber sein eigenliches Anliegen ist nicht lediglich die
Herausarbeitung eines auf dem Wege historisch-kritischer Exegese
gewonnenen Ergebnisses.

Wurzelnd in den Traditionen der tschechischen Reformation
mit ihrem sozialen Engagement möchte sich der Vf. nicht damit
begnügen, eine zeitgeschichtliche Auslegung derjenigen Jesusworte
der Bergpredigt zu geben, die den authentischen Jesusworten am
nächsten stehen (nach Vergleich mit der Feldrede in Lk 6 rechnet
er dazu vor allem die Seligpreisungen und die Worte von der
Feindesliebe), sondern bei aller Respektierung des historischen
Abstandes zwischen damals und heute doch den Anspruch des damaligen
Jesuswortes auch an den gegenwärtigen Menschen deutlich
machen.

Hatte nach Bornkamm das Jesuswort der Bergpredigt in der
Fassung des Evangelisten Matthäus die beiden Stoßrichtungen
gegen die Gesetzlichkeit des zeitgenössischen Judentums und die
Schwärmerei früher Christen, so sieht Pokorny in sachgemäßer
aktueller Interpretation die Bergpredigt als Abwehrmöglichkeit
gegen zwei heutige Gefahren: 1. gegen einen direkten politischen
Mißbrauch des Christentums und der Kirche im Rahmen eines
politischen Klerikalismus, früher als machtpolitischer, heute als
kulturpolitischer Faktor und 2. gegen einen inneren Hang zur
Erstarrung, wo der Glaube mit einer seiner geschichtlichen Gestalten
oder Reflexionen identifiziert wird, die stets zeitbedingt gewesen
seien und die unentbehrlichen zeitbedingten Verkörperungen
des Glaubens darstellten. Gegen beide Gefahren wird bei der
Exegese des Kerns der Bergpredigt immer wieder polemisiert.

Außer dem sog. Kern der Bergpredigt werden noch die Worte
von der unverbrüchlichen Geltung des Gesetzes (Mt 5,18) und das
Vaterunser untersucht, wobei der Vf. das erste Logion aus gesetzestreuen
judenchristlichen Kreisen herleitet und die lukanische Fassung
des Vaterunsers für älter als die des Matthäus ansieht.

Den Schluß der Untersuchung bilden Ausführungen über die
Funktion der Bergpredigt in der nachösterlichen Gemeinde (S. 47—
50), die ältesten Auffassungen der Bergpredigt in neutestament-
licher Zeit: bei Paulus, in der synoptischen Redaktion und im
pneumatischen Enthusiasmus (S. 51—55) und schließlich die Auffassung
der Bergpredigt in Theologie und Geschichte (S. 56—61).

Indem der Vf. mit einem Wort von L. Ragaz schließt, zeigt er
zugleich, unter welchem sozial-ethischen Vorzeichen er seine Auslegung
der Bergpredigt verstanden haben möchte: „Nicht dort ist
das Reich Gottes im Sinne der Bibel, wo Gott herrscht ohne den
Willen seiner Geschöpfe, sondern dort, wo sein Wille durch den
Gehorsam der Geschöpfe, vor allem des Menschen, siegreich vordringt
."

Berlin Joachim Rohde

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Böhmer, J. F. i Regesta Imperii, hrsg. von der Kommission für die
Neubearbeitung der Regesta Imperii bei der österreichischen
Akademie der Wissenschaften u. d. Deutschen Kommission für
die Bearbeitung der Regesta Imperii. II. Sächsische Zeit. 5. Abteilung
: Papstregesten 911—1024, bearb. v. H.Zimmermann. Wien-
Köln-Graz : Böhlau 1969. XIX, 607 S. 4°. DM 196,—.

Das letzte chronologische Gesamtverzeichnis älterer Papsturkunden
, das Regestenwerk von Jaffe-Wattenbach (JW), ist über
80 Jahre alt. Die in der Zwischenzeit erschienenen Italia bzw.
Germania Pontificia (IGP) sind nach territorialen Gesichtspunkten
geordnet. So ist es außerordentlich begrüßenswert, daß L. Santi-
faller, seit 1943 verantwortlicher Leiter der Bearbeitung der von
J. F. Böhmer begonnenen Regesta Imperii (RI), auch die Papsturkunden
in den Arbeitsplan dieses Regestenwerkes aufgenommen
hat. Als erstes Ergebnis liegt der hier zu besprechende Band vor,
dessen Bearbeitung von H. Zimmermann (Z) 1953 begonnen und
1966 im Manuskript abgeschlossen worden ist. Voran stehen eine
Vorbemerkung Santifallers zur Begründung des in der Geschichte
der RI neuartigen Vorhabens (S. V—VII), eine kurze Einleitung des
Bearbeiters, in der er die Prinzipien der Ausgabe darlegt (S. IX—
XII), und ein Abkürzungsverzeichnis (S. XIII—XIX). Dann folgt der
umfangreiche Regestenteil (S. 3—501), dem mehrere Indices angefügt
sind: eine Konkordanztafel für den Vergleich mit JW und
IGP (S. 502—512), Überblicke über die handschriftliche Überlieferung
(S. 513—522) sowie über die gedruckten Quellen und die
mehrfach benutzte Literatur (S. 523—554), ferner ein Personen- und
Ortsverzeichnis (S. 555—605) und einige Literaturnachträge (S.
606 f.).

■Die Ausgabe bedeutet einen wesentlichen Fortschritt gegenüber
JW. Obwohl Z. keine neuen Urkunden gesucht hat (vgl. S. XI),
hat sich die Zahl der Regestennummern mehr als verdoppelt (519:
1276 Nr.). Diese Materialerweiterung betrifft vor allem die Päpste
Johannes X. (26: 75 Nr.), Johannes XII. (26: 103 Nr.), Johannes XIII.
(57: 120 Nr.), Benedikt VII. (45: 94 Nr.), Johannes XV. (37: 100 Nr.),
Gregor V. (35: 114 Nr.), Silvester II. (41: 120 Nr.) und Benedikt
VIII. (71: 202 Nr.). Z. konnte sich dabei z. T. auf Vorarbeiten von
IGP (155 Nr.) und anderer Regestenwerke bzw. Quellenausgaben
(153 Nr.) stützen. Doch sind auch eine Vielzahl von Regesten erstmals
verzeichnet worden (284 Nr.). Daneben hat Z. eine Reihe von
bei JW nur erwähnten Ereignissen (so z. B. regelmäßig Wahl oder
Tod eines Papstes) zu selbständigen Regesten ausgebaut (189 Nr.;
z. T. im Anschluß an IGP und andere Regestenwerke).

Der entscheidende Unterschied gegenüber JW liegt in der Zielstellung
. Während es dort um die Aufzeichnung tatsächlich vorhandener
bzw. durch Verweis gesicherter päpstlicher Urkunden
ging, erfaßt bei Z. „jede Regestennummer ... ein Ereignis der
Papstgeschichte, eine sich nach Zeit und Ort der Handlung von
anderen unterscheidende Aktion der im behandelten Zeitraum
regierenden Päpste". Für Z. stehen also „chronologische Fixierung
und Einordnung der Geschehnisse im Vordergrund der Bemühun-