Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1970

Spalte:

425-426

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Plag, Christoph

Titel/Untertitel:

Israels Wege zum Heil 1970

Rezensent:

Schenk, Wolfgang

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

425

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 6

426

Der zweite Vortrag („Paulus und die Juden") soll die Verwurzelung
des Paulus im vielschichtigen Judentum seiner Zeit aufweisen
. Gerade seine prophetische Kritik zeigt daß er sich in
Liebe mit seinem Volke verbunden weiß. Barth meint, in der pau-
linischen Lehre von Israel eine geschichtliche Entwicklung von
1 Thess zu Eph („Höhepunkt", selbst wenn mit der Möglichkeit
der Unechtheit gerechnet wird, S. 76) wahrnehmen zu können,
einen Weg, der von Bitterkeit zu Verstehen führte. Scharf abgelehnt
wird die Konzeption F. C. Bauers (S. 9. 57. 65 f.) mit ihren
klaren Antithesen, attackiert ein betont judaistisches Interesse mit
verstecktem oder offenem Antijudaismus (Billerbeck, Kittel, S. 49).

Anzeichen für Barths gelegentlich in Erscheinung tretende
unkritische Gebundenheit an die Tradition bietet sein Sprachgebrauch
. Vor Juden wäre wohl sachgemäßer von hebräischer
Bibel oder Septuaginta (als von „Altem Testament") zu sprechen.
Das Wort Antisemitismus ist fast durchweg anachronistisch gebraucht
, kam es doch (wohl von Wilhelm Marr geprägt) erst um
1879 in Mode; richtiger ist (zumindest für die frühere Zeit) der
Ausdruck Anti-Judaismus. — Bei der Veröffentlichung hätte noch
mehr Literatur eingearbeitet und die beigezogene genauer zitiert
werden sollen. S. 79 muß es heißen: Geschichte der Paulinischen
Forschung.

Tübingen Reinhold Mayer

NEUES TESTAMENT

Plag, Christoph: Israels Wege zum Heil. Eine Untersuchung zu
Römer 9 bis 11. Stuttgart: Calwer Verlag [1969). 79 S. gr. 8° =
Arbeiten zur Theologie, hrsg. von T. Schlatter mit A. Jepsen und
O. Michel, I. Reihe Heft 40. DM 9.50.

Da Rom 9—11 seit einigen Jahren wieder bevorzugter Gegenstand
exegetischer Bemühungen ist, wird man mit Interesse die
vorliegende Untersuchung zur Hand nehmen. Das Problem, um
dessen Lösung sich die Studie müht, wird als ein Widerspruch
innerhalb der Soteriologie und Christologie in bezug auf Israel
bestimmt (9 f.): „Wer rettet Israel, die Umkehr oder der kommende
Erlöser aus Zion?" (Rom 11,23.26) und: „Wer ist eigentlich
das Ende des Gesetzes, Christus oder die Fülle der Heiden?"
Rom 10,4; 11,25 f.). Es geht dem Vf. also wesentlich um das
Verständnis des Mysteriums Rom 11, 25—27. Dessen Aussage wird
stark chronologisch interpretiert: „Verstockung ist Israel einstweilen
widerfahren; (und sie wird dauern) bis die Fülle der Heiden
herkommen wird; und dann wird ganz Israel so gerettet
werden, wie es geschrieben steht: Es wird aus Zion der Erlöser
kommen; der wird die Gottlosigkeit von Jakob entfernen; das ist
nämlich meine sie betreffende Verfügung (für den Zeitpunkt),
wann ich ihre Sünden tilgen werde" (36 f.).

Der 1. Teil der Arbeit (13—41) zeichnet Gedankengang und
Aufbau der drei Kapitel nach, um aufzuweisen, dafj die Mysteriumsverse
im Kontext isoliert stehen. Anschließend (41—47) wird anhand
von vier Einzelzügen dieses Textes (anderer Pleroma-Begriff
als V. 12; „Eingehen" als Völkerwallfahrt verstanden; Einleitungssatz
V. 25 als zum Briefeingang gehörende Formel; „ganz Israel"
als qualitative, nicht quantitative Bestimmung) versucht, auch dessen
inhaltliche Eigenständigkeit zu erweisen (55—61 fortgesetzt).
Während nach dem Resttext von Rom 9—11 die Umkehr der Heilsweg
sei, den auch das nur teilweise verstockte Israel jederzeit
vollziehen könne (47—54), so sei andererseits nach dem Mysterium
der Heilsweg für das nicht nur teilweise verstockte Israel — unter
Absehung von der Möglichkeit einer Umkehr — eine direkte Folge
des Kommens des Erlösers, das auch das Herbeiströmen der Heiden
bewirke (schematische Darstellung der beiden Heilswege 61).

Daraus wird die Konsequenz gezogen, daß Rom 11, 25—27 nicht
zum ursprünglichen Kontext gehöre, sondern einen sekundären
Einschub darstelle (41, 60 f., 65 ff.), der allerdings paulinisch sei.
Wegen seines als „judenchristlich-ebionitisch" bestimmten Charakters
(74) soll dieses Stück älter sein als der Rom und einen Wechsel
der Vorstellungen bei Paulus selbst belegen (66, 74). Mit einer Zustimmungserklärung
zu F. C. Baurs Römerbriefauffassung (68, 72ff.)
schließt die Arbeit (Bekämpfung judenchristlicher Theologie).

Doch schon dieses Gesamtverständnis des Rom ist zu bestreiten.
Daß Paulus in Rom ein judenchristliches Gegenüber voraussetze

(74), sollte man gegen das eindeutige Zeugnis des Briefes nicht
mehr sagen, am allerwenigsten mit Berufung auf Rom 14 (73).

Das Thema von Rom 9—11 wird im Anschluß an E. Peterson
ekklesiologisch bestimmt (68: Kirche aus Juden und Heiden). Der
heilsgeschichtliche Interpretationstyp wird hier erneuert und
weitergeführt. Wie bei den entsprechenden Vorgängern werden
die drei Kapitel von Kap. 11 her interpretiert (68). Auf die direkte
Frage nach der Funktion der Kapitel an ihrem Ort, also im Anschluß
an Rom 8, wird verzichtet. Von einer solchen Bestimmung
her ist aber nicht die Frage nach dem Heilsweg Israels zum Interpretationsschlüssel
zu machen, sondern die Frage, ob Gottes Wort
nicht überhaupt hinfällig wird, wenn Israel ausfällt (9,6; 11,29
vgl. Gaugier, Luz u. a.).

Der Interpretationshintergrund der Studie wird deutlich, wenn
die These von 10, 4 im Anschluß an Baeck und Schoeps von der
jüdischen Lehre der drei Weltzeitalter her gedeutet wird (20 f.).
Das daraus wieder erst erschlossene Fehlen der Tora in der Messiaszeit
ist allerdings nicht zwingend und wird es auch nicht durch
den Hinweis auf die apokryphen „Prophetenleben" (24 f.), zumal
die dafür gebotenen Stellen von dem „Gesetz der Juden" usw.,
also distanziert sprechen, mithin nicht als original jüdisch anzusprechen
sind. Die ganze Epochendeutung scheitert für Paulus nicht
nur an Gal 3, sondern auch an Rom 9, 31 und am Elia-Beispiel 11,
2—6, das die Periodisierung des Vf.s (vorsinaitisch, nachsinaitisch,
messianisch) durchkreuzt. Aus der Tendenz des Vf.s, die Abfolge
von gestuften heilsgeschichtlichen Situationen mit je eigener
soteriologischer Gesetzmäßigkeit feststellen zu können, erklären
sich außer der Grundthese über das Mysterium auch die Bestreitung
des Anakoluths in 9, 22 f. (11,15 f., 17), die Zuordnung von
9,30—33 zum vorangehenden Gedankengang (13, 17 f.) und die
— wie nicht anders zu erwartende — Bestreitung des 3. „Jetzt" in
11,31 (39 f.).

Was endlich die Deutung von 11,25—27 auf die Völkerwallfahrt
betrifft, muß der Vf. selbst zugeben, daß er für den absoluten
Gebrauch von „Eingehen" in diesem Sinne keinen Beleg geben
kann (44 f.); später wird dann auch plötzlich Pleroma als dieses
Einströmen verstanden (56). Schließlich kann der Vf. selbst nicht
umhin festzustellen (36), daß die Zweckangabe der Mitteilung des
Mysteriums V. 25b, der Warnung vor eigener Klugheit, einen unverkennbaren
Kontextbezug V. 18. 20 hat, ja sogar, daß sie theologisch
notwendig ist, wenn die Aufforderung zum Anreiz Israels
nicht in die Selbstherrlichkeit einer theologia gloriae abgleiten
soll (70). Das Mysterium gehört also zum Kontext unablöslich
hinzu: Israel wird so gerettet, daß auch seine Rettung wirkliche
Rettung ist, sofern sie aus der Sünde heraus geschieht. Das wird
denn auch V. 28—32 erklärend und das Mysterium mit dem Vorangehenden
verbindend gesagt. Auf die Nennung von Einzelbedenken
muß hier verzichtet werden. Grundsätzlich muß aber noch darauf
hingewiesen werden, daß nach Gal 1—2 keine frühere Zeitspanne
im Wirken des Paulus möglich ist, in der er sich nicht als
Völkerapostel wußte und ein endzeitliches Heideneinströmen erwartete
.

Druckfehler: 78 Z. 22 literary.

Im Literaturverzeichnis wünschte man sich eine einheitliche
und auch eine bibliographisch vollständige Angabe der Zeitschriftenaufsätze
. Zu beachten wäre auch, daß der Aufsatz von L. Baeck,
Der Glaube des Paulus, in deutscher Fassung vorliegt in: L. Baeck,
Paulus, die Pharisäer und das Neue Testament, Frankfurt 1961,
7—37; ebenso in: K. H. Rengstorf — U. Luck, Das Paulusbild in
der neueren deutschen Forschung, Wege zur Forschung 24, Darmstadt
1964, 565-590.

Naumburg Wolfgang Schenk

Conzelmann, Hans: Geschichte des Urchristentums. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht 1969. IV, 171 S. gr. 8° = Grundrisse
zum Neuen Testament. Das Neue Testament Deutsch. Ergänzungsreihe
, hrsg. v. G. Friedrich, 5. Lw. DM 9.80.

Entsprechend den für das NTD geltenden Richtlinien ist auch
in diesem Ergänzungsband auf Allgemeinverständlichkeit, sachliche
Einführung in die Problematik und zuverlässige Information
über mögliche Lösungsversuche Wert gelegt worden. Auf Anmerkungen
wurde völlig verzichtet, ebenso auf die fremdsprachlichen