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Ausgabe:

1970

Spalte:

424-425

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Barth, Markus

Titel/Untertitel:

Jesus, Paulus und die Juden 1970

Rezensent:

Mayer, Reinhold

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 6

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tesbezeichnung, aus einer Ortsbezeichnung hergeleitet. Und das
bedeutet, daß der Terminus die Gottheit nur so bezeichnet, w i e
sie im Raum — Himmel oder Erde — ist, jedoch nicht das Wesen
Gottes darstellt. Das handelnde Subjekt ist immer Gott. Daraus
folgt, daß der Terminus weder ein Gottesname noch eine Umschreibung
des Gottesnamens ist, sondern ursprünglich den Akt der
Herabkunft, der Einwohnung oder der Gegenwart der Gottheit
und zugleich die Gottheit selber, wie sie an einem bestimmten Ort
gegenwärtig ist oder sich offenbart, meint.

Bei der Differenzierung der Vorstellungen von der Sch. unterscheidet
der Vf. zwischen Lokalbezug und Subjektbezug. Die Sch.
kann Objekt einer Handlung Gottes sein (Lokalbezug) oder sie
kann Subjekt einer Handlung Gottes sein (Subjektbezug). Lokalbezug
hei5t demnach, daß die Einwohnung oder Gegenwart Gottes
an einem bestimmten Ort — etwa im Heiligtum — geschieht. Subjektbezug
bedeutet, die Sch. ist selbständig handelndes Subjekt
und damit mit der Gottheit identisch. Der Bezug zu einem bestimmten
Ort der Gegenwart fehlt meistens. Aus dieser Unterscheidung
ergeben sich zwei Typen — Gegenwarts- und Erscheinungs
-Sch. —, die aus zwei verschiedenen Gottesvorstellungen, der
zeitweiligen Erscheinung und der dauernden Gegenwart Gottes,
hervorgingen. Für alle Vorstellungen von der Sch. gilt, dafj sie
Erscheinungen und Gegenwart des einen Gottes sind, so dafj
die Sch. mit dem wirkenden, persönlichen Gott subjektidentisch
ist. Differenzierend und korrigierend wirkt das Zeitverständnis.
Und das zeigt der Vf. an der Entwicklung der Vorstellungen von
der Sch. durch die Heilsgeschichte. In der Vorstellung der Rabbi-
nen reicht die heilsgeschichtliche Vergangenheit bis zum babylonischen
Exil. In dieser Zeitspanne ist zwischen der Gegenwartsund
Erscheinungs-Sch. zu unterscheiden. Die Sch. im Heiligtum
bezeichnet das Wohnen Gottes inmitten Israels, nicht als Selbstzweck
, sondern um der Gemeinschaft Gottes mit den Menschen
willen. Der reale Vollzug der Gemeinschaft zwischen Israel und
Gott vollzieht sich im Kultus. Die Verehrung gilt nicht der Sch.,
sondern allein Gott. Das Heiligtum als der Ort der Gegenwart
Gottes auf Erden soll dem Ort der Gegenwart Gottes im Himmel
entsprechen. Der eigentliche Ort der Sch. ist auf, über oder in
der Bundeslade. Da die Sch. real und nicht ideell im Heiligtum
gedacht ist, ist nach ihren Größenverhältnissen zu fragen. Kommt
Gott ins Heiligtum herab, so beschränkt er seine Sch.; Gott erfährt
keine Teilung, er bleibt derselbe Gott. Das Exil ist die Folge
der Entfernung der Sch. von der Erde zum Himmel. Dieser
skizzierte Typ der Gegenwarts-Sch. scheint primär zu sein gegenüber
dem Typ der Erscheinungs-Sch. Hierbei herrscht der Subjektbezug
vor, und die Unmittelbarkeit der Erscheinung wird betont,
während der Erscheinungsort unbedeutend ist. Der Typ der Erscheinungs
-Sch. will die Gottesgegenwart in geschichtlichen Offenbarungen
, in Offenbarungen bei einzelnen Menschen und in Wortoffenbarungen
an die Propheten unmittelbar machen, wobei der
jeweilige Ort eine untergeordnete Rolle spielt. Die Gegenwart in
der Heilsgeschichte ist mit der Vergangenheit selten vergleichbar,
da der Sch. der Ort der Gegenwart fehlt. Die Synagoge tritt nicht
an die Stelle des zerstörten Heiligtums. Die Gegenwart beginnt
für die Rabbinen mit der Exilssituation, der »Entfernung" oder
des »Aufstiegs der Sch. aus dem Heiligtum zum Himmel". Gott
muß das Verlassen des von ihm erwählten Ortes erleiden, Israel
aber geht des Schutzes und Segens Gottes verlustig. Der Anlaß zur
Entfernung der Sch. ist die Sünde der Menschen. Aber die Sch. ist
vom Schicksal Israels abhängig, sie wirkt offenbar in die Geschichte
, jeweils wieder neu bei der Erlösung Israels. Die Sch.
kann sich an jedem Orte auf der Welt offenbaren, vornehmlich
natürlich im Lande Israel, jedoch der bestimmbare Ort fehlt. Ihr
Ort ist im Volk, in der Synagoge kraft der Gemeinde und des
einzelnen Beters. Sie ist gegenwärtig im Richterkollegium zur
Erleuchtung der Richter. Ihre Gegenwart ist Wertmaßstab für das
gerechte Urteil. Sie ist beschützende Gegenwart bei einzelnen, besonders
bei Kranken. So stellt sich die Sch. als Erscheinungstyp
ohne sichtbare Offenbarungen in der Gegenwartssituation dar.

In der Zukunftserwartung wird die Sch. als die Erlösung des
Volkes gesehen. Sie bedeutet die endgültige Gemeinschaft von
Gott und Volk. In der Zukunft wird die Sch. nach Jerusalem
zurückkehren und den alten Zustand wiederherstellen, wie es die
Endzeitverheißungen der Propheten künden. Allein Wiederherstellung
ohne Erneuerung gibt es nicht. Wiederherstellung und Erneuerung
bewirkt die Sch., indem alle Unterschiede zwischen
himmlischen und irdischen Wesen aufgehoben werden, nicht aber
die Unterschiede von Schöpfer und Geschöpf. Aber alle werden
des Anblicks der Gottheit als Sch., wie sie im Himmel gegenwärtig
ist, teilhaftig werden im „Empfangen" oder „Genießen des Glanzes
der Sch.". Die Vorstellung von der Sch. in der Endzeit entspricht
der Vorstellung von der Offenbarung der Sch. in der Geschichte
— dem Erscheinungstyp.

Die beiden Typen der Sch. kommen in bildhaften Vorstellungen
der sich offenbarenden gegenwärtigen Gottheit nie deutlich
zum Ausdruck. Anthropomorphe Ausdrücke sind als Metaphern
verwendet. Die Vorstellung von einem räumlich begrenzten Wesen
im Heiligtum als Wolke, Licht oder Feuersäule bleibt undeutlich.
Bildhafte Vorstellungen lassen sich mit dem Bilde der herrlich
thronenden Sch., die mit Gott im Himmel identisch ist, nachzeichnen
. Als überdimensional gedachte Gestalt übersteigt sie jedes
menschliche Vorstellungsvermögen.

Der Vf. hat in diesem gründlichen und grundlegenden Werk
durch die ausführlichen Analysen aller rabbinischen Texte bis zur
Zeit der Saboräer, in denen der Terminus Sch. vorkommt, eine der
wichtigsten Gottesvorstellungen im rabbinischen Judentum in
ihren vielfältigen Formen und Vorstellungen dargestellt und gedeutet
. Der Terminus Sch. begründet nicht eine neue Gottesvorstellung
, sondern eine alte, vorhandene will er deuten und erklären
. Sch. ist eine spezifische Gottesbezeichnung, um zu benennen,
wie Gott inmitten Israels, im Heiligtum, in der Gemeinde oder
beim einzelnen gegenwärtig sei. Sch. ist Bezeichnung und Ausdruck
einer bestimmten Gottesvorstellung, die einer verbal personifizierten
Teilvorstellung von der Gottheit entspricht. Sch. und
Gott bleiben immer subjektidentisch, die Einheit Gottes wird nie
aufgelöst. Der Terminus Sch. ist keine Umschreibung des Gottesnamens
, sondern bedeutet die reale und unmittelbare Gegenwart
Gottes in der Welt und in Israel, wie es der Vf. deutlich darstellt.
Jana Jutta Körner

Barth, Markus, Prof.: Jesus, Paulus und die Juden. Zürich: EVZ-
Verlag (1967). 82 S. 8° = Theologische Studien, hrsg. v. K. Barth
u. M. Geiger, 91. DM 8.60.

Markus Barth hat mit diesen Studien zwei Vorträge allgemein
zugänglich gemacht, die er vor jüdischen Gemeinden gehalten
hatte. Die Situation bestimmte Form und Inhalt der Abhandlung,
wollte doch Barth vor allem mit Juden — nicht über sie, erst recht
nicht gegen sie — sprechen. Dieser Versuch eines partnerschaftlich
-offenen Gespräches ist geeignet, besonders Christen zum besseren
Verständnis von Juden anzuleiten und dadurch eigene
Selbstsicherheit in Frage zu stellen.

Im ersten Vortrag („Der Jude Jesus und der Glaube der Juden
") wird eingangs die herkömmliche Art der Judenmission abgelehnt
mit dem Hinweis, dafj nach dem Zeugnis der Bibel die
Juden Gottes Missionare unter den Völkern sind. Dann wird gezeigt
, daß alle Würdebezeichnungen Jesu in biblisch-jüdischem
Grunde wurzeln, daß sie aber durch die Ausschließlichkeit, mit der
sie Jesus beigelegt worden sind — vor allem durch die Weiterentwicklung
im lateinisch-griechischen Sprachbereich mit der Betonung
der göttlichen Natur des Christus für Juden (die in Jesus
den Lehrer, Propheten und Märtyrer sahen) — unverständlich und
ärgerlich wurden. Barth deutet dann die Dogmen als Ausdrücke
des Gotteslobes und (in Entsprechung zu jüdischer Halacha) als
Wegweisung für Israel: Wenn Christen Jesus als Gott bezeichnen,
„so tun sie das nicht in der Absicht, einen Menschen zu vergöttlichen
... Die Absicht der Christen ist vielmehr doxologisch: sie
möchten Gott aufgrund seiner Taten und seiner Offenbarung
loben" (S. 15) — eine Auskunft, die Juden nach alledem, was ihnen
von Christen widerfuhr, so kaum akzeptieren können. — Einzelne
Juden seien keine besonderen Menschen, wohl aber sei die Geschichte
dieses Volkes etwas Besonderes, verschieden von der Geschichte
anderer Völker. Jesus aber ist für Barth der Jude par
excellence: „Sein Leben war eine Zusammenfassung und Darstellung
des Lebens und des Weges Israels" (S. 23). Aus dieser Solidarität
Jesu mit Israel, dem Volke des ungekündigten Bundes,
folge für die Christen, daß auch sie mit dem Judentum verbunden
bleiben müssen, wenn sie sich auf Jesus mit Recht berufen wollen.