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Ausgabe:

1970

Spalte:

398

Kategorie:

Kirchenrecht

Titel/Untertitel:

Recht und Institution 1970

Rezensent:

Schott, Erdmann

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397

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 5

398

Wenn schon einst die von Max Lenz erstellte dreibändige
Ausgabe des Briefwechsels zwischen Martin Bucer und dem
Landgrafen Philipp von Hessen die überregionale und vermittelnde
Bedeutung der hessischen Reformation quellenmäßig demonstrieren
konnte, so tut dies für den Bereich der Kirchenordnung
die vorliegende mustergültige Edition, die von Hannelore Jahr in
Göttingen bearbeitet worden ist.

Bisher waren Einzeleditionen der hessischen Kirchenordnungen
der Reformationszeit nur ganz verstreut erschienen: Im
„Richter" etwa, in der „Urkundensammlung der Universität
Marburg", die von Bruno Hildebrand 1848 vorgelegt worden
war, in den „Hessischen Landesordnungen" und in der Ausgabe,
die Alfred Uckeley im Jubiläumsjahr 1939 von der Ziegenhainer
Zucht- und der Kasseler Kirchenordnung in einem Faksimiledruck
herausgebracht hat.

Drei Fragenbereiche evangelischer Kirchenordnung sind gerade
in Hessen während der Reformationszeit in beispielgebender
Weise kirchenrechtlichen Lösungen entgegengeführt
worden: 1. Die Verwendung des Kirchengutes für caritative
und soziale Aufgaben, 2. Die Frage einer innergemeindlichen
Aufsicht und Zucht und 3. Die Aufgabe der religiösen Erziehung
und Unterweisung der Jugendlichen.

Der erste Problemkreis findet seinen beredten Ausdruck einerseits
in der Gründung der Marburger Universität (vom Jahre
1527), die (als erste evangelische Universitätsneugründung) in
den Gebäuden des ehemaligen Marburger Dominikanerklosters
und im Marburger Haus der Brüder vom gemeinsamen Leben
(dem „Kugelhaus") untergebracht wurde und mit reichen Dotierungen
aus den Einnahmen einstiger hessischer Klöster erfolgte
, und andererseits in der Gründung der hessischen Stipendiatenanstalt
im Jahre 1529 - ebenfalls mit Hilfe der Heranziehung
einstigen Kirchengutes - die der Förderung der Studenten
aller Disziplinen (zeitweilig speziell der Theologen) dienen
sollte und bis heute - z.T. auf Grund der ehemaligen Ordnungen
und Rechtsverträge -dient. In erschöpfender Vollständigkeit sind
die einschlägigen Ordnungen, die die Marburger Stipendiatenanstalt
betreffen, in dem vorliegenden Band für die Reformationszeit
vereinigt (vgl. die Texte Nr. 2,11, 12, 14 und 16). Das gleiche
gilt für die hessischen „Kastenordnungen" (Nr. 3, 6, 17 und 19).

Das zweite Problem einer innergemeindlichen Ordnung ist in der
hessischen Reformation seit der Homberger Synode vom Jahre
1526 zu Lösungsversuchen gebracht worden, die praktisch in der
berühmten Ziegenhainer Zuchtordnung vom Jahre 1539 mit
der erstmaligen Einführung eines evangelischen Ältestenamtes
ihren Abschluß gefunden haben (Nr. 9).

Das dritte Anliegen der evangelischen Erziehung und Unterweisung
der Jugendlichen ist in Hessen bahnbrechend für den
gesamten Protestantismus in der Kasseler Kirchenordnung vom
Jahre 1539 mit dem Entwurf der Handlung einer Konfirmation
und der Ordnung eines voraufgehenden religiösen Unterrichtes
einer Lösung zugeführt worden (Nr. 10).

Alle drei Bereiche haben ihre gültige Vollendung schließlich
in der großen hessischen Kirchenordnung vom Jahre 1566 gefunden
, die innerhalb des vorliegenden Bandes den größten
Raum einnimmt (Nr. 18 S. 178-337).

Die vorliegende Edition geht auf die historischen Zusammenhänge
und auf die Bedeutung sowohl des Landgrafen Philipp
selbst und seiner Kanzlei (besonders der Kanzler Feige tritt uns
auf dem Gebiet der Kirchenordnung als einer der maßgeblichen
Persönlichkeiten entgegen) als auch der bedeutenden innerhessischen
Reformatoren (vor allem ist hier der Marburger
Superintendent Adam Kraft zu nennen) ausführlich in den Einleitungen
und den Anmerkungen zu den Texten selbst ein.

Die überragende Rolle in kirchenrechtlichen Fragen der hessischen
Reformation hat - das erhärtet der vorliegende Band erneut
- der Straßburger Reformator Martin Bucer gespielt. Er
hat ja die Frage der Behandlung des Kirchengutes schon in
Straßburg vorbildlich gelöst. Sein Einfluß - auf Grund seiner
engen persönlichen Freundschaft mit dem Landgrafen Philipp
seit Oktober 1529, dem Zeitpunkt des „Marburger Religionsgesprächs
, - ist in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts durch
seine exponierte Mitarbeit an den beiden hessischen Kirchenordnungen
des Jahres 1539 ein ungemein folgenreicher: Bucer
ist durch die Ziegenhainer Zuchtordnung der eigentliche Schöpfer
eines evangelischen Ältestenamtes geworden (das dann vor
allem seit der Rheinischen Kirchenordnung von 1835 eine gesamtprotestantische
Ausweitung erfahren sollte), und durch die
Kasseler Kirchenordnung ist Bucer zum „Vater der Konfirmation
" (Wilhelm Diehl) geworden. Gerade die hessischen
Kirchenordnungen der Reformationszeit, wie sie uns nun im
vorliegenden Bande gesammelt vorliegen, erweisen Martin Bucer
nicht nur als den maßgeblichen „Theoretiker der Kirchenzucht"
(Gustav Anrieh) sondern als den - neben Bugenhagen und vor
Calvin - wohl größten Theoretiker eines evangelischen Kirchenrechts
im 16. Jahrhundert überhaupt.

Innerhalb der Literaturangaben des vorliegenden Bandes
begegnen - offensichtlich auf Grund der langen Druckgeschichte
des Bandes - eine Reihe von Überschneidungen und auch mehrfach
(durch inzwischen erfolgte Drucklegungen u.ä.) überholte
Angaben. Doch das braucht hier im einzelnen nicht aufgezählt
zu werden. Die stets erfreuliche Arbeit an der reichen hessischen
Reformationsgeschichte und die Erforschung des werdenden
evangelischen Kirchenrechts im 16. Jahrhundert werden durch
den vorliegenden Band viele neue Anregungen erhalten.

Marburg Ernst-Wilhelm Kohl«

Dombois, Hans [Hrsg.]: Recht und Institution. 2.Folge. Arbeitsbericht
und Referate aus der Institutionenkommission der
Evangelischen Studiengemeinschaft. Stuttgart: Klett [1969].
139 S. 8° = Forschungen u. Berichte d. Evang. Studiengemeinschaft
, im Auftrage des Wissenschaftl. Kuratoriums
hrsg. v. G. Picht, H. Dombois u. H.E.Tödt, 24. DM 22,-.
Die erste Folge von „Recht und Institution" erschien 1956
und wurde ThLZ 82, 1957 Sp.794 besprochen. Die hier vorgelegte
zweite Folge berichtet über die „Institutionenkommission
", die „ab 1957 im Verbände der Evangelischen Studiengemeinschaft
(Heidelberg) in jährlichen Sitzungen bis 1963 ihre
Arbeit" getan hat (S.7), ohne „ein einverständliches, in Thesen
formulierbares Endergebnis erzielt" zu haben (S.8). Rolf-Peter
Calliess berichtet über die fortschreitende Gedankenentwicklung
und den Ertrag der Kommissionsarbeit (S. 11-65). Beigefügt sind
zwei Referate, eins von R. Smend, gehalten 1956 über „Das
Problem der Institutionen und der Staat", das andere von
E.Wolf, gehalten 1961 über „Zum Normcharakter der Institutionen
", sowie drei nachträglich entstandene Abhandlungen
von H.Dombois „Institution und Norm" (S.96-108), „Die Ehe:
Institution oder personale Gemeinschaft? - Überlegungen zu
einem modernen Eherecht" (S. 109-127), „Institutionen und
Institutionskritik" (S. 128-139). Da H. Dombois und L.Raiser
in der Frage des Normcharakters der Institutionen gegensätzliche
Grundkonzeptionen vertreten haben, die in der Kommission
nicht mehr ausdiskutiert worden sind (S. 8), ist es schade, daß
hier nur einer der beiden Kontrahenten zu Wort kommt. Dombois
unterscheidet Institution und Norm als zwei „Phänomenkreise
des Rechts" und nimmt „eine logische und genetisch
Priorität der Institution vor der Norm" an (S.102). „Die
Gerechtigkeit ist institutionsblind" (S.100). Wolf dagegen will
offenbar auf den Normbegriff auch bei den Institutionen nicht
verzichten und unterscheidet deshalb von den gebietenden und
verbietenden „gewährende Normen" (8.93). Aus dem Bericht
von Calliess geht hervor, daß die Kommission, die 1955 Institutionen
als Stiftungen Gottes bezeichnet hatte, sich „vom
Gedanken einer ausdrücklichen oder unausdrücklichen biblischen
Stiftung lösen" mußte (S.25), weil es unmöglich ist, „aus
der Vielzahl der sozialen Gefüge Institutionen herauszulösen,
zu bestimmen und biblisch zu begründen" (S.24f.). Institutionen
als Statuseinräumung ist „engagierte Spontaneität", ist
„sich zuwendende Freiheit" (S.31), nicht nur in der Ehe, sondern
auch bei Schenkung, Erbeinsetzung, Adoption, Gnadenakten
u.a. (S.30). Systematisch-theologisch sind Institutionen
„in Freiheit und Verantwortung verwirklichte Anteilhabe des
Menschen an Gottes Freiheit und Schöpferherrlichkeit" (S.49),
begründet in „der Dreiheit von Anruf Gottes, Annahme und
Status" (S.48). Eine „endgültige Klärung des Verhältnisses von
Institution und Recht" ist allerdings „noch nicht erfolgt"
(S.59).

Halle/Saale Krdmann Schott