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Ausgabe:

1970

Spalte:

396-398

Kategorie:

Kirchenrecht

Titel/Untertitel:

Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts 1970

Rezensent:

Kohls, Ernst-Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 5

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diese Liturgie einen Zugaug zu der persönlichen Bekehrung, auf
welche das altchristliche Bußritual ausgerichtet war, vermitteln
kann. Darum greift der Autor auf den Doppelritus im alten
Pontificale Romauum zurück: „De expulsione publice poeniten-
tium ab ecclesia, in feria quarta cinerum" und ,,De reconcilia-
tione poenitentium, quae fit in feria quinta Coenae Domini".
Er arbeitet von hier aus die Grundstruktur der alten Bußliturgie
heraus, wie sie sich bis in das Urchristentum zurückverfolgen
läßt. Vom konkreten Vollzug dieser Liturgie her, deren
Struktur der des persönlichen Aktes entspricht, werden dann die
Beziehungen zwischen dem liturgischen Geschehen und der
dogmatischen Lehre aufgedeckt. Insofern konkretisiert diese
Arbeit zugleich die Forderung des II. Vaticanums, Liturgiewissenschaft
und Dogmatik sollten „von den inneren Erfordernissen
je ihres eigenen Gegenstandes aus" den Zusammenhang
von Dogma und Liturgie aufweisen.

Ohne hier den diffizilen Untersuchungen des Vf.s im einzelnen
nachgehen zu können, möchte ich einige wichtige Ergebnisse
zusammenstellen: Der Aschermittwochritus bedeutet Annahme
der Bußexkommunikation und Bußauflage und dadurch Bekenntnis
des Büßers vor dem zornigen Gott bzw. dem Gericht
der Kirche. Der Büßer entscheidet sich so zu der Wahrheit
seiner Sünde und vollzieht seine Selbstverurteilung. Der Gründonnerstagritus
ist dagegen Annahme der Rekonziliation und
wird so zum Bekenntnis vor dem barmherzigen Gott und zur
Entscheidung zu der noch größeren Wahrheit der Vergebung
und damit zu einem „neuen Selbstwerden". Doch ihre eigentliche
Tiefe gewinnt die Untersuchung dadurch, daß sie nun
fragt: in welchem Verhältnis zueinander stehen diese beiden
Exhomologeseakte? Als Antwort ergibt sich, daß die Annahme
des Bußgerichts und die Annahme der Vergebung „nicht zwei
verschiedene Bewegungen, sondern zwei Phasen desselben Vollzugs
" sind. „Wenn der Sünder sich im Bekenntnis auf die Wahrheit
seiner Sünde hin bewegt, so bewegt er sich damit auch schon
auf die Rekonziliation zu. In der Selbstpreisgabe an den zornigen
Gott wird er schon von Gottes zuvorkommender Barmherzigkeit
ergriffen, so daß diese Selbstpreisgabe sich wandelt in
Selbsthingabe an Gottes Barmherzigkeit. Gottes Barmherzigkeit
aber schafft den Menschen neu. So wandelt sich in diesem Bekenntnis
das sündige Selbstsein in ein neues Sein, dem vergeben
ist" (S. 112). Die Buße wird deshalb „Wandlung, weil sie nie bloß
Selbstverurteilung, sondern immer zugleich Selbstgewinn ist"
(S. 113). Der zeitliche Abstand der beiden liturgischen Akte soll
der Erkenntnis Rechnung tragen, daß die wahre Buße erst dann
gegeben ist, „wenn sie sich über längere Zeit hinweg durchhält,
wenn sie eine Gesamthaltung im Leben des Menschen ist".
„Zwischen diesen beiden Polen entfaltet sich ein dynamischer
Prozeß, ein Anheben, Wachsen, Vollenden" (S. 117).

In dem abschließenden 8. Kap. will der Vf. zeigen, wie die
Interpretation der alten Bußliturgie in der tridentinischen Beschreibung
der Buße Aspekte aufleuchten läßt, die von der
gängigen Schultheologie und der nachtridentinischen Verkündigung
nicht mehr gesehen werden: die Beichte (confessio)
kann nicht mehr ein „leichtfertig gesetzter Akt" sein, sondern sie
„muß Ausdruck und Höhepunkt eines .existentiellen' Bekennens
des ganzen Menschen sein, das normalerweise nur in einer längeren
, intensiven Vorbereitungszeit wachsen kann" (S. 120). Der
Reue (contritio)-Begriff wird umfassender verstanden werden
müssen als vom Tridentinum. Es ist damit gemeint „der ganzmenschliche
Vollzug, zu dem auch das äußere Bekenntnis (wie
etwa die Exhomologeseakte der alten Bußliturgie oder auch das
mündliche Bekenntnis heute) gehört" (S. 124). So kommt erst
die innere Reuegesinnung zur vollen, ganzmenschlichen Entfaltung
. „Zu diesem ganzmenschlichen Bekenntnisakt gehört
im Sinn der alten Kirche auch das Bußwerk" (= satisfactio)
(S. 124). Das volle und wahre Bekenntnis zur eigenen Sündigkeit
in ihrer ganzen Wahrheit schließt eben auch „Bekennen als
Tat" ein! Die tridentinische konsequente Distinktion der drei
Akte entspricht also nicht dem tatsächlichen Phänomen der
Buße als eines existentiellen Bekenntnisvollzugs, wie es der Vf.
von der alten Bußliturgie einsichtig gemacht hat. Die traditionelle
Aufteilung darf nicht in der Art von „drei wesensverschiedenen
Akten (im phänomenologischen Sinn des Wortes, Wesen')"
verstanden werden; sie kann dagegen „verschiedene Aspekte

und Phasen einer und derselben geschichtlich sich vollziehenden
Bekehrung" zu Bewußtsein bringen (S. 127).

Man wird gespannt sein dürfen, wieweit sich die hier erarbeiteten
Erkenntnisse auf die künftige Gestaltung des Bußsakraments
auswirken werden. Der Vf. plant selbst eine weitere
Arbeit, in welcher die praktischen Folgerungen gegenüber der
heutigen Liturgie gezogen werden sollen. Die hier sich ankündigende
Erneuerung sollte von uns Evangelischen nicht außer Acht
gelassen werden 1 Ein ausführliches Literaturverzeichnis kann
zur Einarbeitung in dieses Gebiet helfen.

Greifswald William Nagel

Herbst, Karl: Die Mitte Gottes (Erbe u. Auftrag 45, 1969 S. 186-200).
Heyer, Friedrieh: Das evangelische Verständnis des Gottesdienstes

(Una Sancta 21, 1966 S. 175-186).
laooangelli, Roberto: Osservazioni sullo due formule della consacra-

zione eucaristica nel testo italiano (Salesianum 31, 1969 S. 113-129).
Klinda, Ferdinand: Die Orgelwerke von Olivier Messiaen (MuK 39,

1969 S. 10-12).

Kovalevsky, Maxime: Die russisch-orthodoxe liturgische Musik

(Kyrios 8, 1968 S. 146-163).
Leclercq, Jean: Beharrung und Wahrheit in der Erneuerung des

monastischen Offiziums (Erbe und Auftrag 45, 1969 S.280-288).
Lehmann, Arno: Das dritte Buch. Von Lied und Gesang in jungen

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Lescrauwaet, Jos: ökumenischer Rat der Kirchen und Liturgic-

reform (Concilium 5, 1969 S. 117-122).
Lochet, Louis: Le renouveau de la liturgie eucharistique depuis le

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McDonnell, Kilian: Calvins Liturgie Verständnis und die Zukunft der

römisch-katholischen Liturgie (Concilium 5, 1969 S. 112-117).
McNamara, Martin: Liturgische Versammlung und Gottesdienst bei

den Christen der Frühzeit (Concilium 5, 1969 S. 84-91).
Marsiii, Salvatore: Liturgietexte für den Menschen von heute (Concilium
5, 1969 S. 97-105).
Meyer, Hans: Wandel und Verbindlichkeit liturgischer Formen (Concilium
5, 1969 S. 91-96).
Petzold, Hilarion: Bemerkungen zur Erforschung der altserbischen

Kirchenmusik und zu drei neumennotierten Gesängen einer HS aus

Fruäkagora (Kyrios 8, 1968 S. 129-145).
Reinhardt, Klaus: Motivisch-Thematisches im „Deutschen Requiem"

von Brahms (MuK 39, 1969 S. 13-17).
Roth, Anselm: Das Psalmengebet und der moderne Mensch (Erbe

und Auftrag 45, 1969 S. 91-95).
Schildenberger, Johannes: Das christliche Psalmengebet (Erbe und

Auftrag 45, 1969 S. 289-299 u. 386-394).
Schuhmacher, Gerhard: Zur Geschichtlichkeit der evangelischen

Kirchenmusik im 20. Jahrhundert (MuK 39, 1969 S. 114-119).
Senger, Basilius: Zur Erneuerung des eucharistischen Hochgebetes

(Erbe und Auftrag 45, 1969 S.5-18).
Stefani, Gino: Bedarf die Liturgie noch der Musik? (Concilium 5, 1969

S.105-111).

Stoodt, Dieter: Liturgische Eskalation oder Entschränkung des
Gottesdienstes? Zur Konstitution „Sacrosanctum concilium" von
1963 (MdKI 20, 1969 S.l-7).

Tihon, Paul: Le nouveau rituel du bapteme des enfants (NRTh

101, 1969 S. 643-655).

KIRCHENRECHT

Schling, Emil f, Prof. Dr. jur. [Hrsg.] (fortgeführt v. Institut f.
evang. Kirchenrecht zu Göttingen [jetzt München]): Die
evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. VIII.
Bd.: Hessen, 1.Hälfte: Die gemeinsamen Ordnungen. I. Die
Landgrafschaft Hessen bis zum Tode Philipps des Großmütigen
(1567). II. Die Zeit der gemeinsamen Synoden und
Ordnungen der geteilten Landgrafschaften (1567-1582). Tübingen
: Mohr 1965. XII, 489 S. 4°. Kldr. Lw. DM 64,-.

Nach dem Erscheinen der von Friedrich Küch begonnenen
und von Walter Heinemeyer abgeschlossenen Edition des „Politischen
Archivs des Landgrafen Philipp des Großmütigen von
Hessen" und nach den „Urkundlichen Quellen zur hessischen
Reformationsgeschichte", die Günther Franz nach Vorstudien
von Walther Köhler und Walter Sohm herausgeben konnte, ist die
vorliegende Edition eine langerwartete Ergänzung zur Geschichte
der Reformation in Hessen.