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Ausgabe:

1970

Spalte:

394-396

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Lentzen-Deis, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Buße als Bekenntnisvollzug 1970

Rezensent:

Nagel, William

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 5

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des Menschen in der Begegnung mit dem Evangelium begründet
scheint. Wir werden weiterhin fragen: kann wirklich für unsere
Gestaltungsaufgaben „der Ausgangspunkt stets der fragende
Mensch" sein, wo wir doch einer uns vorgegebenen Botschaft zu
dienen haben, die ihrerseits den Charakter menschlichen Fragens
nicht nur mitbestimmt, sondern sogar solches Fragen im
Entscheidenden erst entbindet? Gerade dieser grundsätzliche
Teil bedürfte also einer Erörterung, wie eine Besprechung sie
nicht ermöglicht. Es können hier nur Fragen angemeldet werden
, neben denen der Dank für manches Hilfreiche in diesen Ausführungen
nicht verschwiegen werden soll. - Danach wird eine
übersichtliche Typologie aus dem Buch „Werkbuch Gottesdienst
" (Wuppertal 1967) übernommen, in welcher Tagungs-,
Veranstaltungs- und Soniitagsgottesdienste einander gegenübergestellt
werden. - Ein weiterer Abschnitt befaßt sich mit den
„Strukturen und Formen" im Blickpunkt des „Problems der
Transformation": hier geht es um die beiden Möglichkeiten, das
alte Meßschema beizubehalten und dessen einzelne Stücke neu
zu gestalten, oder „es entsteht von neuen Denkansätzen und
Gestaltungsgrundsätzen her eine völlig neue Gesamtstruktur.
In jedem Fall handelt es sich um den Akt der Transformation,
um Umfunktionalisierung, was eine Umstrukturierung zur
Folge hat" (S. 64). Bezeichnend dafür ist, daß man an Stelle des
Weges „Vom Text zur Predigt" umgekehrt den von dem Gegenwartsproblem
zum Text sucht. Weiß man hier nichts mehr von
der Möglichkeit, daß der Text seinerseits uns zentrale Probleme
unserer Existenz erst bewußt machen kann?! Die „Transformation
" biblischer und liturgischer Stücke wird auch im
einzelnen dargestellt und an Beispielen veranschaulicht; überall
werden dabei der anthropologische Ansatz und das Problem der
Welterfahrung als Ausgangspunkte sichtbar. Indem es durch
diese Ausgangspunkte zu einer „Umfunktionalisierung" der
biblischen Botschaft kommt, erscheint mir aber der echte Dialog
zwischen ihr und uns gefährdet. Abschließend weist der Vf. auf
die Fragenkomplexe hin, die sich aus der Abkehr vom abendländischen
Meßschema und dem Verlust des Ordinariums zugunsten
des Propriums ergeben. Gegenüber dem Charakter der
Unwiederholbarkeit bei bisherigen neugestalteten Gottesdiensten
sieht er die vordringliche Aufgabe darin, unter Wahrung
der konstitutiven Elemente wie Umgang mit der Schrift, Gebet
und Abendmahl eine gegliederte und überschaubare „Grundordnung
" zu schaffen, „die zugleich durchlässig und transparent
bleibt, indem die Inhalte der einzelnen Stücke auswechselbar
oder ergänzungsfähig sind, so daß die Stücke funktional auf die
Verkündigung zu reagieren vermögen" (S.75). Dieser Ausrichtung
des ganzen Gottesdienstes auf eine - noch dazu anthropologisch
orientierte - Verkündigungsthematik erinnert an Forderungen
schon der Aufklärung und der älteren liturgischen
Bewegung, die wir theologisch überwunden glaubten. Jedenfalls
aber wird an der instruktiven und fundierten Arbeit K. F. Müllers
nicht vorübergehen können, wer sich heute verantwortlich
mit dem Problem „Gottesdienste in neuer Gestalt" befaßt.

Angesichts der hochaktuellen Bedeutung dieser Arbeit mag
man es entschuldigen, wenn der Rez. neben ihr auf andere Beiträge
dieses Bandes nur gerade hinweisen kann: Werner Schütz
geht unter der Überschrift „Was habe ich dir, mein Volk, getan
?" den Wurzeln der Karfreitagsimproperien in der alten
Kirche nach und zeigt ihren Ursprung in der Auseinandersetzung
mit dem Judentum und seiner Passafeier. Das seit dem
zweiten Weltkrieg weitverbreitete sogenannte Franziskusgebet
„0 Herr, mache mich zum Werkzeug deines Friedens" verfolgt
Frieder Schulz bis zu einer französischen Urfassung zurück, die
zwischen Juli 1912 und Juli 1914 auf der Rückseite eines für
Mitglieder des 3. Ordens der Franziskaner bestimmten Andachtsbildes
festgestellt wurde; auch Stil und Inhalt dieses Gebetes
werden erläutert. Im hymnologischen Hauptteil befaßt sich
Jan Kouba mit dem „ältesten Gesangbuchdruck von 1501 aus
Böhmen". Aus den kleinen Beiträgen undMiszellen zurLiturgik
kann ich diesmal nur hervorheben, daß dort Herbert Goltzen das
Buch des reformierten prakt. Theologen von Neuchätel, Jean-
Jacques von Allmen, „Essai sur le repas du Seigneur" (dtsch.
unter dem Titel „Ökumene im Herrenmahl", Kassel 1968) eingehend
bespricht; es handelt sich hier jedenfalls um ein Buch,
dessen Erkenntnisse die ökumenische Situation in der Frage der

Abendmahlsgemeinschaft verändern könnten! Im hymnologischen
Teil gibt Tibor Schulek einen „kurzen Abriß der Geschichte
des ungar. Kirchengesangbuchs und des Standes der
hymnologischen Forschung in Ungarn". S. Fornagon bringt Ergänzungen
zur Biographie Adam Reisners. Wie die hymno-
logische Forschung auch zu neuen Perspektiven für die praktische
Verwendung eines Liedes führen kann, zeigt Markus
Jenny in dem Aufsatz „Wach auf, wach auf, 's ist hohe Zeit"
(Die neu entdeckte authentische Quelle des Liedes). Es soll
außerdem wenigstens hingewiesen werden auf ungedruckte Abschnitte
aus seiner Göttinger Dissertation (1963), die Traugott
Stählin unter der Überschrift „Gottfried Arnolds Einfluß auf
die Dichtung Gerhard Tersteegens und Christian Friedrich
Richters. Ein Beitrag zur Hymnologie des 18. Jh.s" hier zusammengefaßt
hat; es geht darin um das Problem des Verhältnisses
von mystischer Verinnerlichung und biblischer Frömmigkeit
. Gegenüber diesbezüglichen Aggressionen informiert
K.Ameln zuverlässig „Über die .Rabenaas'-Strophe und ähnliche
Gebilde". Der Literaturbericht zur Liturgik umfaßt in der
Hauptsache das Jahr 1966 und diesmal die DDR, die BRD,
Finnland, Norwegen und die Niederlande. Der Literaturbericht
zur Hymnologie macht es K.Ameln und seinen Mitarbeitern
immer schwieriger, die Überfülle an Veröffentlichungen zu erfassen
und zu erschließen; Hinweise auf Arbeiten, die an entlegenen
Stellen erschienen sind, werden deshalb erbeten.

Der inhaltreiche Band erweist das Jahrbuch aufs neue als eine
unentbehrliche Hilfe für den Liturgieforscher und den Hym-
nologen. Doch auch die kirchliche Praxis sollte an ihm nicht
vorübergehen. Wie stets ist das Buch mit Abbildungen und
Faksimilewiedergaben reich ausgestattet.

Qreifswald William Nagel

Lentzen-Deis, Wolfgang: Buße als Bekenntnisvollzug. Versuch
einer Erhellung der sakramentalen Bekehrung anhand der
Bußliturgie des alten Pontificale Romanum. Freiburg-Basel-
Wien: Herder 1969. 136 S. 8° = Freiburger Theologische
Studien, hrsg. v. J.Vincke, A.Deissler, H.Riedlinger, 86.

Diese Arbeit, die verkürzte Drucklegung einer Dissertation,
die von der Theologischen Fakultät der Pontificia Universitas
Gregoriana zu Rom 1967 unter dem Titel „Buße als Exhomo-
logese" angenommen wurde, darf als neuer Erweis dafür gelten,
wie der durch das II. Vaticanum in Gang gesetzte Erneuerungs-
prozeß der römischen Kirche ein Gebiet ums andere erfaßt.
Wenn Luther das römische Bußsakrament immer wieder leidenschaftlich
angegriffen hat, weil es das Schwergewicht auf ein
Tun des Menschen verlagere, zu dem dieser gar nicht imstande
ist, so fordert uns ein Bußverständnis wie das in diesem Buch
vertretene zur Wiederaufnahme des Gesprächs mit Rom über
diese Fragen heraus. Indem nämlich der Vf. die herkömmliche
durch das Tridentinum zementierte, abstrakt-begriffliche Aufteilung
der zum Empfang des Bußsakraments gehörenden Akte
durch deren Entfaltung in ihrem phänomenhaften wie auch in
ihrem theologischen und sakramentalen Zusammenhang überwinden
will, eröffnet sich ein vertieftes Verständnis des sakramentalen
Zeichens des Bußsakraments. Wenn sich überdies diese
Arbeit als „grundlegender Beitrag" für eine heute angestrebte
Erneuerung der Bußliturgie verstehen darf, gewinnt sie unmittelbare
Bedeutung für den ökumenischen Dialog mit Rom.

Der Vf. kommt dadurch zu seinem neuen Ansatzpunkt, daß
er hinter alle Theorien über die Buße auf diese selbst als lebendiges
, personales Problem zurückgeht, an welchem die Theorien
ihrerseits „immer wieder zu überprüfen und zu scheiden" sind.
Das bedeutet aber nicht, daß hier in rein philosophisch-phäno-
menologischer Weise das innere Erlebnis zur Norm der Untersuchung
erhoben würde. Der Gegenstand der Untersuchung verlangt
ja als sakramentales Geschehen eine theologische Betrachtungsweise
. Zu ihr verhilft in einer ganz neuen Weise die-
ßußliturgie, weil sich aus ihr in besonderem Maß das persönliche
Phänomen der Buße in seinem Bezug zum sakramentalen
Geschehen erheben und darstellen läßt. Freilich gibt der heutige
Beichtritus der lateinischen Kirche kaum mehr zu erkennen, wir