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Ausgabe:

1970

Spalte:

390-391

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Stollberg, Dietrich

Titel/Untertitel:

Therapeutische Seelsorge 1970

Rezensent:

Winter, Friedrich

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389

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 5

390

Daß wir die Meinung des Vf.s treffen, mag die Stelle belegen,
in der er das Motiv aller Predigt, zugleich aber auch das Motiv
seiner Arbeit an Predigthilfen zum Ausdruck bringt und die mit
dem biblischen Leitbild dem Doppelband der Meditationen die
Überschrift geliefert hat: „Wenn wir richtig predigen, muß die
Gemeinde merken, daß der, der sich uns als der wahrhaftige
Weinstock darstellt, dieses Bild gewählt hat, weil er uns die
rechte Freude gönnt, die allein von ihm kommt" (S.298).

Gröben üb. Ludwigsfelde Paul Wätze

Lerle, Ernst: Arbeiten mit Gedankenimpulseii. Berlin: Evangelische
Verlagsanstalt [1965] 255 S. 8°. Lw M 11,-.

Das Wort Impuls ist uns aus der didaktischen Methodenlehre
geläufig. Die vorliegende Arbeit meint etwas anderes. L. will,
wie schon in früheren Arbeiten, einen Beitrag zur Tatsachenforschung
des Predigtgeschehens leisten. Er geht von der Erfahrung
aus, daß - wegen der Übersättigung des Wahrnehmungsfeldes
- Predigten oft schlecht behalten werden, d.h. aber: auf die
Dauer wirkungslos bleiben. Was findet Resonanz, was nicht?
Was wird behalten, was geht unter? L. versucht - ähnlich wie die
Medizin den Weg radioaktiver Isotope im Organismus verfolgt -
die Resonanz und Behältlichkeit bestimmter zugespitzter
Predigtgedanken empirisch festzustellen. Er versendet Predigthilfen
, die nicht kontinuierliche Gedankengänge, sondern „Gedankenimpulse
", d.h. einzelne möglichst profilierte Predigtgedanken
enthalten, an Prediger. Ein Nummernsystem erlaubt
festzustellen (durch Rücksendung der Rundschreiben), welche
Impulse aufgegriffen und verarbeitet wurden - ein erster Test.
Ein zweiter Arbeitsgang soll ermitteln, wieviel davon auf den
Weg fällt und zertreten wird, wieviel verstanden wird oder mißverstanden
, wieviel haftet oder gar - soweit wir das überhaupt
erkennen können - aufgeht und fruchtbar wird. Dazu dienen
Interviews mit Predigthörern, wobei das Tonbandgerät die
Gespräche aufzeichnet. Da die Interviews zumeist zuvor verabredet
sind, dürfte die beim Hören der Predigt aufgewandte
Aufmerksamkeit das Maß des Durchschnittlichen überschreiten;
doch das muß für das, worauf es der Untersuchung ankommt,
kein Schade sein. Eher gibt zu Bedenken Anlaß, daß zumeist
aktive Gemeindeglieder befragt werden. An mehr als einer Stelle
wird sichtbar, daß es dem Gewollten abträglich ist, wenn die
Predigthörer kirchlich allzu gut eingewöhnt, um nicht zu sagen
„abgerichtet" sind. Der Autor läßt sie alle ruhig ausreden, auch
den, der meint: „man will auch in der Kirche das Wort etwas
donnernder runtergehen hören auf die Gemeinde, daß die Gemeinde
den Kopf einzieht" (!, S. 169), auch den, der dem Pastor
die miserable Pastorensprache abgeguckt hat und nun meint, der
Glaube sei ein „Hirtenstab" (S. 177). Wir führen diese Beispiele
an, weil daran deutlich wird, welche Fehlerquellen in der Auswahl
der Probanden vorliegen können. Vf. weiß, wieviel auf
diesem Gebiet noch zu tun ist (S.216f.). Die Arbeit müßte wohl
mindestens dadurch ergänzt werden, daß die Resonanz der
Predigt auch bei Außenstehenden im Sinne von 1 Kor 14,24 in
der vom Vf. geübten Weise getestet wird. - Ein dritter Teil
führt vor, wie Gedankenimpulse in der eigenen homiletischen
Werkstatt des Autors und im homiletischen Seminar verwendet
werden können. Holt man sich von arideren Predigern nicht das
ganze Konzept, sondern wirklich nur anregende Einzelgedanken,
dann gerät man nicht in fremden Sog, kann aber, wie geradezu
experimentell festzustellen ist, die eigene Predigt erheblich
anreichern.

Über die Brauchbarkeit der angebotenen Impulse (12 Texte
sind mit durchschnittlich je 40 Impulsen bearbeitet worden)
wird man freilich verschiedener Meinung sein können. Zahlreiche
Einzelgedanken erweisen sich als stimulierend. Andere wirken
matt. Von einigen würde ich sagen: so gerade nicht! Vf. ist
sich der unterschiedlichen Güte der Impulse bewußt. - Die von
ihm angewandte Methodik macht sich Grundeinsichten der
Psychologie, besonders der Gedächtnisforschung zunutze. Gut
behalten wird z. B. die knapp erzählte, völlig in sich geschlossene
Kurzgeschichte („kleine Einheit"), der veranschaulichende Vergleich
, die einzelne Zahl (nicht mehrere Zahlen), der hier und da
bewußt gebrauchte moderne, unkonventionelle Ausdruck
(während ein Feuerwerk von Modernismen das Gedächtnis überfordert
), der in gewisser Breite dargebotene Gedanke, der konkrete
Auftrag. Am wenigsten vermöchte ich dem Vf. zu folgen,
wo Emotionen bewußt in die Predigtmethodik aufgenommen
werden. Hier muß die Sache mächtig werden. Vielleicht verführt
empirisches Forschen dazu, das Quantum des Machbaren
zu überschätzen. Der Vf. teilt uns nicht nur seine Ergebnisse
mit, sondern läßt uns seinen Forschungsweg in aller Ausführlichkeit
mitgehen. So gibt er dem Leser die Freiheit, alles zu
prüfen und das Beste zu behalten.

Leipzig Gottfried Voigt

Stollberg, Dietrich: Therapeutische Seelsorge. Die amerikanische
Seelsorgebewegung. Darstellung und Kritik. Mit einer Dokumentation
. München: Kaiser [1969]. 389 S. 8° = Studien zur
Praktischen Theologie, hrsg. von R.Bohren, K.Frör und
M. Seitz, 6. DM 24,-.

Diese leicht gekürzte Erlanger Dissertation will eine „Gesamtdarstellung
" der „Seelsorgebewegung" (S.7) in Nordamerika
bieten und damit eine Lücke der Information für den
deutschen Sprachraum schließen. Darüber hinaus findet aber
auch eine lebhafte Auseinandersetzung mit dieser Bewegung
statt. Der Aufbau ist offenbar informationstheoretischen Voraussetzungen
verpfUchtet, indem der Vf. sein Thema immer tiefer
durchpflügt - ohne Rücksicht darauf, daß dadurch eine ganze
Reihe von Wiederholungen vorkommen.

Der Erste Teil (S. 13-82) gibt eine Einführung, die sofort des
Vf.s Vorliebe für Begriffserklärungen zeigt, die angesichts des
anderen amerikanischen Sprachraums nicht unwichtig sind
(Seelsorge, Poimenik, Pastorand und Klient, Religion, Theologie
). Eine „Faustskizze" versucht, den kulturellen und kirchlichen
Hintergrund der poimenischen Lage in Nordamerika zu
erspüren, die „chaotisch" schöpferische Lage (S.36) der Seelsorgebewegung
in Kirche und Wissenschaft herauszustellen und
ihre Geschichte zu schildern. Die Bewegung setzt vor knapp
fünfzig Jahren unter dem Einfluß von Religionspsychologie,
Pragmatismus und Empirismus ein und versucht unter theologisch
liberalem Vorzeichen, sich die Methoden (Fallbesprechung
, Gesprächsführung als Hilfe zur Selbsthilfe) und Erkenntnisse
der allgemeinen Psychologie und Psychoanalyse zu integrieren
. Auf eine Zeit des empirischen Pragmatismus folgt eine
Periode stärkerer Fundierung durch theologische Arbeit. In
letzter Zeit unterliegt die Bewegung wieder stärker der Kritik
von vielen Seiten (S.85f.). Der „Literarische Stammbaum"
(S.381) der Seelsorgebewegung führt nicht weit zurück. Überhaupt
fallen die Äußerungen zu ihrer Vorgeschichte nur sehr
knapp und nicht immer eindeutig aus. Es ist nun eine wirksame
Pastoralpsychologie entstanden; außerdem das sogenannte
„Pastoral Counseling", d.h. „Psychotherapeutische Lebensberatung
im Dienst der Kirche" (S.73) und das „Ciinical Pastoral
Training". Dabei handelt es sich nicht nur um die „maßgebliche
Form empirischer Seelsorge-Ausbildung in den Vereinigten
Staaten" (S.81) in Kliniken, sondern auch um die
Tendenz, das Theologiestudium unter dem Aspekt dieser Ausbildung
zu reformieren. In der gesamten Theologie soll methodisch
die Dialektik von Empirie und Theorie, sachlich der konkrete
Mensch berücksichtigt werden. - Nach dieser Einführung will
der Zweite Teil (S. 83-158) einen kritischenÜberblick verschaffen.
Es werden die wesentlichen Beiträge von dreizehn Autoren aus
den verschiedenen Perioden dargestellt, einschließlich der gegen
sie vorgebrachten Kritik. Angefügt wird eine eigene Stellungnahme
, die sich im großen ganzen auf den theologischen Sektor
beschränkt. Wichtige Merkmale der „Seelsorgebewegung in
ihrer Gesamtheit" (S. 135) sind das therapeutische Tatzeugnis;
die Betonung nichtverbaler Kommunikationsvorgänge im
poimenischen Geschehen; die partnerschaftliche Orientierung
unter dem Stichwort „relationship" (S. 136); die Einheitlichkeit
in der Methode der dialogischen Lebensberatung, die nicht Vor-