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Ausgabe:

1970

Spalte:

385-386

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Glaube und Weltlichkeit bei Dietrich Bonhoeffer 1970

Rezensent:

Glenthøj, Jørgen

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Seite 1

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385

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 5

386

genommen, weil die Theologie seiner Zeit nicht konkurrieren
konnte mit dem, was Strauß nun eben bei den Philosophen fand?
Eine Beantwortung dieser Fragen soll nicht vorweggenommen
werden; man hätte nur gewünscht, sie wären offen gestellt
worden. Müllers an gelehrten Beobachtungen reiches Buch ruft
nach einer Fortsetzung der Strauß-Forschung auf erweiterter
Basis.

Neuendettelsau Friedrich Wilhelm Kantzenbach

[Bonhoeffer, Dietrich:] Glaube und Weltlichkeit bei Dietrich
Bonhoeffer. Beiträge von E.Bethge, P.M.van Buren, P.L.
Lehmann, P. H.A. Neumann. Stuttgart: Calwer Verlag
[1969]. 119 S. 8°. Kart. DM 8,50.

Anläßlicli eine Kolloquiums während E.Bethges Aufenthalt
als „Harry Emerson Fosdick Visiting Professor" 1967 am Union
Theological Seminary in New York entstanden. Verzichtet wurde
in der dt. Ausgabe auf einen Beitrag von Prof. John D. God-
sey über Übersetzungsschwierigkeiten der Werke Bonhoeffers ins
Englische und leider auch auf einen Beitrag von Maria Wedemeyer
-Weller: „Theother Letters fromPrison" mit Zitaten aus
den 40 erhaltenen Briefen, von denen 38 zusammen mit anderen
Papieren in der Hougston Bibliothek in Harvard unzugänglich
aufbewahrt werden.

Peter H. A. Neumann bringt eine sehr nützliche Bibliographie
der Sekundärliteratur (334 Titel). Hinweise zur Vervollständigung
der Bibliographie nimmt der Calwer Verlag weiterhin entgegen
, hoffentlich, um eine umfassende Bibliographie laufend
zu bringen.

E.Bethge konzentriert sich um „Wendepunkte im Leben und
Werk Dietrich Bonhoeffers", bringt aber zunächst Beispiele, wie
tief das Inkognito Bonhoeffers sowohl in seiner Heimatkirche
wie auch, und besonders schmerzlich, in einer jüdischen Interpretation
(Prof. E.L.Fackenheim, Montreal) noch heute ist.
„Ein neues Bild vom Martyrium ... sei entstanden", „nicht mehr
der heilige, sondern der menschliche und schuldbeladene
Märtyrer" (34). Der Titel seiner großen Biographie: „Theologe -
Christ - Zeitgenosse" erklärt sich aus diesen Wendepunkten.
Der erste Wendepunkt sei 1931/32 mit dem Schritt „den
intellektuellen Sachverstand (Theologe) mit dem lebendigen
Engagement (Christ) zu verbinden und beide dann seit etwa
1939/40 mit einer vorbehaltlosen Gegenwärtigkeit (Zeitgenosse)"
(16). Ob „Zeitgenosse" seit der Veröffentlichung der Dokumente
in MW V nicht eher „Wegbereiter" hätte heißen sollen, konnte
natürlich nicht berücksichtigt werden. Der Kernsatz dieses Beitrages
hat auch in Europa nicht au Aktualität verloren: „Nichtreligiöse
Interpretation der biblischen Begriffe in einer mündiggewordenen
Welt" ..." bedeutet auch keine Entwertung dessen,
was zuvor in der „Nachfolge" teuer genannt worden war. Eher
wird die Nachfolge teurer" ... „Die Teilnahme an den Leiden
Christi in der Welt" sei letztlich „die aktive Rückeroberung des
Zuganges zu den Lebensquellen" (33).

In Paul Lehmanns „Glaube und Weltlichkeit bei Dietrich
Bonhoeffer" wird die amerikanische Rezeption in Auseinande-
setzung mit den Halbwahrheiten der Slogans in der studentischen
Welt und mit den Verfälschungen der Bonhoefferschen
Begriffe bei William Bartley und den God-is-dead-Theologen
Th. J.Altizer und W.Hamilton behandelt.

Paul M. van Buren verteidigt in „Bonhoeffers Paradoxon:
Leben mit Gott ohne Gott" die These, daß sein Paradoxon eine
Wende für alle Weltbilder, für die gewohnten Formeln, in denen
wir leben, die Welt verstehen, kurzum für die Metaphysik signalisiert
" (55). „Von Descartes aus gesehen war Bonhoeffer ein
Atheist" (59). Neu und überraschend meint v. Buren eine Verwandtschaft
mit William James feststellen zu können. „Formal
gesehen scheinen sich die Strukturen von Bonhoeffers und
James' Metaphysik nicht sehr zu unterscheiden" (67). „Die
Analyse eines zentralen Paradoxons zeigt, daß mindestens ein
Weg, der uns über den Punkt hinaus weiterführt, an dem Bonhoeffer
stehengeblieben ist, eine pluralistische Metaphysik weist,
die mit eiuer christologischen Humanität erfüllt ist" (74). -

Theologen werden mit dieser Analyse kaum sehr viel Neues
anfangen können. Den Humanisten wird vielleicht eine Dimension
eröffnet.

Mit E.Bethges „Christologie und Religionsloses Christentum'
bei Dietrich Bonhoeffer" gipfelt der Band. Seine These ist,
„daß Bonhoeffers ,nichtreligiöse' Interpretation zuerst und zuletzt
.christologische' Interpretation ist; und umgekehrt, daß
seine Christologie ständig bemüht war, sich ,nichtreligiös' darzubieten
" (76). Bonhoeffer fragt 1933: „Wer bist DU?" Bonhoeffer
erweitert 1944 mit einem Zusatz: „Wer ist Christus für
uns heute?" „Jesus, der Mensch für andere - das ist bei Bonhoeffer
in der Tat ein neuer christologischer Titel und zugleich
eine Antwort auf seine alles beherrschende Frage" (96). „Diese
christologische Antwort ist nicht metaphysisch, nicht individualistisch
, nicht parallel, sie gibt keine Basis für neue Privilegien
, rechnet nicht mit dem Deus ex machina und zementiert
keine Vormundschaftsverhältnisse mehr" (98). „Die ethische
Simplizität des Begriffs zeigt zugleich die Kostbarkeit, für die zu
zahlen ist, wenn man ihn übernimmt" (98).

Als Introduktion zur heutigen Bonhoeffer-Interpretation bis
auf Eberhard Bethges große Biographie ist dieser Band sehr zu
empfehlen.

Borum J0rgen Qlenthöj

PRAKTISCHE THEOLOGIE:

Schleiermacher, Friedrich: Predigten, ausgewählt v. H.Urner.
Berlin: Evang. Verlagsanstalt u. Göttingen: Vandenhoeck
& Ruprecht [1969]. 327 S„ 1 Porträt 8°.

Der Herausgeber hat in dieser verdienstvollen Ausgabe
24 Predigten Schleiermachers zusammengestellt, beginnend mit
einer ersten Jugendpredigt aus dem Jahre 1789 und endend mit
der Rede, die Schleiermacher am Grab seines frühverstorbene
und sehr geliebten Sohnes Nathanael am 1. XI. 1829 gehalten
hat. Die Auswahl umfaßt also fast das gesamte Leben Schleiermachers
und gibt dem Kundigen einen Eindruck von dem Wandel
und dem Bleibenden der Ausdrucksform des Predigers
Schleiermacher. Aber auch der, welcher zum ersten Mal dem
großen Theologen begegnet, wird diese Predigten auch heute
noch gern lesen, da sie aus tiefstem eigenen Erleben gehalten
wurden und darum auch heute noch einen lebendigen Eindruck
vermitteln von ihrer einstigen, großen Wirkungskraft, die sie
ausstrahlten. Das Verständnis der Auswahl wird erleichtert
durch eine Einführung des Hrsg.s „Schleiermacher als Prediger
", in der auch ein kurzer Abriß des Lebens Schleiermachers
gegeben wird.

Kiel Werner Schultz

Weber, Otto: Wort und Antwort. Predigten und Erwägungen
zur Predigt. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag d.
Erziehungsvereins [1966]. 171 S. gr. 8°. Lw. DM 15,80.

Diese letzten Predigten O.Webers, die noch von ihm selbst
zum Druck besorgt wurden, werden eingeleitet durch zwei Aufsätze
über „Not und Verheißung unserer Predigt" und „Vom
Text zur Predigt". Die Aufsätze waren auch dem früheren
Predigtband „Der euch berufen hat" (1960) vorangestellt und
wurden seinerzeit von J. Konrad schon besprochen (ThLZ 87,
1962 Sp.810). Sie enthalten bewährte homiletische Grundsätze
und geben die Möglichkeit, an ihnen die abgedruckten Predigten
zu messen. Das Ergebnis fällt allerdings nicht immer günstig
aus.

Wenn man beim Vf. mit Zustimmung liest: „Heute leiden -
nach der Überwindung ... des Psychologismus - die Predigten
nicht in erster Linie an ihrer mangelnden Sachtreue, sondern an
der fehlenden Menschentreue des Predigers" (44), dann kann
man diesen Vorwurf seinen eigenen hier veröffentlichten Konzepten
leider auch nicht ganz ersparen. In theologischer Hin-