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Ausgabe:

1970

Spalte:

382-383

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Offermann, Doris

Titel/Untertitel:

Schleiermachers Einleitung in die Glaubenslehre 1970

Rezensent:

Peiter, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 5

382

Bröchner das Modell für den jungen Menschen in Kierkegaards
„In vino veritas" ist. Bröchner ist nach meiner Auffassung der
beste Dialektiker unter den dänischen Religionsphilosophen
nächst Kierkegaard. Seine eigene Religionsphilosophie erschien
vor 100 Jahren in zwei Bänden, wovon der erste 1868 Kierkegaard
, Rs. Nielsen und Martensen kritisierte und der zweite 1869
seine eigenen Gedanken wiedergab. Er hieß „Vom Religiösen in
seiner Einheit mit dem Humanen" - vgl. Kant 1793 und Natorp
1894.

Der gehaltreiche Band wird mit 50 Seiten Rezensionen von
Büchern, die nicht alle Kierkegaard behandeln, und einer umfangreichen
Bibliographie abgeschlossen. Um nicht allzu bescheiden
zu sein, dürfte ich vielleicht anführen, daß eine der
Rezensionen von dem Unterzeichneten geschrieben wurde, die
Ludwig Landgrebes Werk „Phänomenologie und Geschichte",
Gütersloh 1968, zum Gegenstand hat.

Kopenhagen Suren Holm

Brandt, Wilfried: Der Heilige Geist und die Kirche bei Schleiermacher
. Zürich-Stuttgart: Zwingli Verlag [1968]. 364 S.
8° = Studien zur Dogmengeschichte u. systematischen Theologie
, hrsg. v. F.Blanke f, A.Rich, O.Weber f, J.Staedtke,
E. Jüngel, 25. Kart. DM 29,-.

Wohl verstanden: es geht dem Vf. nicht, wie der Titel anzeigt
, um Hl. Geist und Kirche in dem Gesamtwerk Schleiermachers
, sondern ausschließlich um die Pneumatologie der
Glaubenslehre, die Schleiermacher selbst explizit nur kurz berührt
. Der Vf. gibt als Thematik seiner Untersuchungen an: „Mit
Schleiermachers Einschränkung des Wirkens des Heiligen
Geistes auf die Objektivierung des Glaubens in der Kirche, werden
wir es in dieser Arbeit zu tun haben". Der Heilige Geist ist
der Gemeingeist der christlichen Kirche - nicht mehr und nicht
weniger" (18). Die Lehre vom Hl. Geist hat Schleiermacher
prinzipiell in seiner Glaubenslehre erörtert. Der Vf. will diese
Lehre aus ihren Prinzipien interpretieren. In vornehmlich vier
Einzeluntersuchungen, die das Verhältnis des Hl. Geistes zum
Gemeingeist der Kirche, zu Christus, zu Gott und zur Zukunft
der Menschheit erörtern, trägt der Vf. diese Interpretation vor,
um das Ganze mit einem Exkurs über die Begriffe des Natürlichen
und Übernatürlichen abzuschließen.

Die Untersuchungen werden sehr sorgfältig und umfassend
durchgeführt. Auffallend ist die Zurückhaltung der eigenen Kritik
des Vf.s an dem von ihm aufgezeigten Befund. Nur in der
Schlußbemerkung des Ganzen heißt es: „Und so fällt es schwer,
in dem von Schleiermachers Pneumatologie beschriebenen
Hl. Geist den Geist des Vaters Jesu Christi zu erkennen" (313),
ohne daß dem Leser der hier angedeutete Unterschied deutlich
erkennbar wird.

Aber schwerwiegender erscheinen mir folgende Fragen, die
man an den Vf. stellen muß. Ist es methodisch statthaft, ein
Werk Schleiermachers so zu isolieren, daß man es ausschließlich
aus sich selbst interpretiert? Schleiermacher hat sein Werk
doch immer als große Einheit empfunden, zu der seine Reden und
Monologen ebenso gehören wie seine Sittenlehre und Predigten.
Es ist klar, daß sich dann, wenn man diese Frage bejaht, das
Thema nach Wesen und Aufgabe des Hl. Geistes ungemein
kompliziert. Im Erscheinungsjahr der Glaubenslehre redigierte
Schleiermacher die 3. Aufl. seiner Reden und mehrere Jahre vorher
hat er mit seinen Vorlesungen über die christliche Sittenlehre
begonnen, die unter anderem die für das vorliegende
Thema wichtige Feststellung enthalten, daß der Geist Christi
nichts anderes sei als „der Geist im allgemeinmenschlichen Sinne
", daß dieser Geist nichts anderes sei als jener, nur auf einer
niedrigeren Potenz (Christliche Sitte 1843, S.303f.).

Das aber führt unmittelbar zur zweiten Frage: kann man
Philosophie und Theologie bei Schleiermacher so trennen, daß
die Philosophie für die Theologie überhaupt irrelevant ist? Der
Vf. berührt dieses Problem nur, wenn er sagt: „In dieser
Glaubenslehre versucht ein christlicher Theologe, der zugleich
Philosoph ist, den christlichen Glauben so zu beschreiben, daß
er in ihm als Christ seinen eigenen Glauben wiedererkennt und

als Philosoph gegen diese Glaubenssätze wenigstens nichts einwenden
kann" (305ff.). Ja, wenn die Dinge so einfach wären!
Denkbar wäre doch auch - und ich habe in meinen Schleiermacherarbeiten
immer wieder darauf hingewiesen -, daß das
philosophische Engagement so stark ist, daß es in die Bewegung
der genuinen theologischen Begriffe entscheidend eingreift. Wenn
das aber so ist, dann muß man in der Tat Ebeling recht geben,
daß das Kernproblem der Schleiermacherinterpretation in der
Aufdeckung der Struktur der Verbindung von Theologie und
Philosophie enthalten ist. (RGG 3 VI, 813ff.). Dann ist es
wirklich unzureichend, aus dem berühmten Brief Schleiermachers
an Jacobi vom 30.3.1818 einfach die Sätze zu zitieren:
„Wenn nun mein christliches Gefühl auch eines göttlichen
Geistes in mir bewußt ist...", ohne daraus auch für die Theologie
Schleiermachers die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
Dann muß man doch wohl schon sagen, daß nur der Schleiermacher
interpretieren sollte, der sich nicht nur ernstlich um die
Erhellung der Grundbegriffe des christlichen Glaubens bemüht
hat, sondern der sich auch gründlich mit dem griechischen
Denken beschäftigt hat.

Daß der Vf. durch die vorliegende Arbeit, die den Inhalt seiner
Dissertation darstellt, die Schleiermacherforschung erneut und
intensiv vor diese Frage gestellt hat, darin dürfte ihr besonderer
Wert bestehen.

Kiel Werner Schultz

Offermann, Doris: Schleiermachers Einleitung in die Glaubenslehre
. Eine Untersuchung der „Lehnsätze". Berlin: de Gruy-
ter 1969. VIII, 342 S. 8>0 = Theologische Bibliothek Töpel-
mann, hrsg. v. K.Aland, K.G.Kuhn, C.H.Ratschow,
E.Schlink, 16. Lw. DM 58,-.

Der Einleitung, einem in einem zirkulären Erkenntnisgang
gewachsenen Ganzen, wird die Aufgabe zugewiesen, den Zusammenhang
der Dogmatik mit den allgemeinen Wissenschaften
herzustellen (VI, 32, 47, 69, 110 Anm. 3, 194ff., 205, 216ff.,
294f., 323ff. - 21, 138, 195, 322f., 326); 0. bemerkt treffend,
daß „Zusammenhang" in einem tieferen Sinn zu nehmen ist, als
„Vermittlung" auszudrücken vermag (31). Nach den Lehnsätzen
aus der Ethik soll dem Selbstbewußtsein als einer komplexen
Größe das In-der-Zeit-sein wesentlich zugehören (55f.,
41 ff., 51 ff., 94, 104f., 115, 118f., 176f., 182f., 250, 302, 328).
Der in der „Dialektik" erarbeitete Begriff des unmittelbaren
Selbstbewußtseins („Identitäts-Akt") soll nicht einfach der
Glaubenslehre (= CG) unterschoben werden dürfen (92, 42,
48ff., 81 ff., 94, 110, 308), wenngleich es andererseits auf dasselbe
hinauslaufen soll, wenn der CG ein „unmittelbares
Existentialverhältnis" und die „Dialektik" die „allgemeine
Form des Sich-selbst-habens" zur Sprache bringen (80, 46f.,
83, 77). Seine religionsphilosophischen Erörterungen soll
Schleiermacher letztlich nur um des Christentums willen durchgeführt
haben, wie auch möglicherweise Schleiermachers Philosophie
von seiner Theologie her zu verstehen sei; von dem Gefühl
der schlechthinnigen Abhängigkeit sei niemals als von einer etwa
allgemeingültigen und unveränderlichen Norm die Rede (223ff.,
67,132,192, 266, 330). Wenn nach den Lehnsätzen aus der Apologetik
die Mündigkeit der Söhne erst durch Christus beschafft
und nicht schon in der alttestamentlichen Ökonomie vorweggenommen
war, soll das kein Subjektivismus sein (gegen
F. Chr. Baur), sondern die (m. E. denkerisch bewältigte, also nicht
nur aus dem Herzen kommende) Überzeugung von der Einzigartigkeit
des christlichen Glaubens (262ff.; Das christliche
Leben nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange
dargestellt, hrsg. v. H. Peiter, Anhang zur Habil-
schrift, Ms Berlin 1968 [== CL], A S. 10).

Die für O. entscheidende Frage: „Wie kann der Jesus von
damals uns heute der Gegenwärtige sein?" will O. nicht als
Frage nach der Bedeutung des heiligen Geistes formuliert wissen
, obwohl, wie sie selbst zugibt, das AT und NT für den analogen
Zusammenhang mit „Geist" antworten (13, 15, 218, 284).
Daß Schleiermacher die Lehre von Christus und die vom göttlichen
Geist als die beiden Brennpunkte der Dogmatik be-