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Ausgabe:

1970

Spalte:

367-369

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Wicks, Jared

Titel/Untertitel:

Man yearning for grace 1970

Rezensent:

Pinomaa, Lennart

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1B70 Nr. 5

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wird, wie in der Zusammenfassung (178), betont , daß die einzelnen
Gedanken zwar nicht von Laktanz selbst entwickelt, aber von
ihm in den Zusammenhang eines geschlossenen christlichen Weltbildes
eingegliedert worden sind. Doch auch hier fehlt eine wirkliche
Darstellung des Integrationsprozesses, durch den Vorchristliches
mit Christlichem zu einem neuen Ganzen verschmolzen
worden ist. Daß bei dieser Verschmelzung das eigentlich
Christliche zu kurz gekommen ist, steht auf einem anderen
Blatt.

Mißt man das vorliegende Werk an seinem Anspruch, so wird
man ihm offenkundig nicht gerecht. Man sollte es als das nehmen
, was es ist: eine systematisch geordnete Darbietung der
wichtigsten Äußerungen zur Moral aus der Frühzeit des afrikanischen
Christentums. Zu rühmen ist die Belesenheit des Vf.s
sowie eine klare Zusammenstellung der einschlägigen Zeugnisse
. Wer wissen will, was die genannten Autoren zu bestimmten
Fragen aus dem hier behandelten Bereich gesagt haben,
findet schnell, was er braucht, und wird sich von zeitraubendem
Durcharbeiten der Originalschriften befreit fühlen. Zusätzliche
Erleichterung bietet ein ausführlicher Sachindex. Der Anhang
enthält darüber hinaus eine instruktive synchronistische Datentafel
, die neben einer Papstliste Angaben über Ereignisse in der
Gesamtkirche und in der afrikanischen Kirche sowie über frühchristliche
literarische Zeugnisse Afrikas enthält.

Wer sich bewußt ist, daß die Systematik vom Vf. und nicht
von den behandelten Autoren stammt, hat in dem vorliegenden
Buch zwar keine historische Darstellung, aber doch ein nützliches
und zuverlässiges Nachschlagewerk vor sich; um es mit
den Worten des Reihentitels zu sagen: keine „recherche", doch
eine brauchbare „synth&se".

Münster Bernd Reiner Voß

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Wieks, Jared, S. J.: Man Yearning for Grace. Luther's Early
Spiritual Teaching. Foreword by G.A. Lindbeck. Washington
-Cleveland: Corpus Books [1968]. XVII, 410 S. 8°. Lw.
$ 12,50.

Der Vf. kommt von der Schule Erwin Iserlohs und zeigt sich
als gut bewandert in der heutigen internationalen Lutherforschung
. Nach der Einleitung untersucht er sein Material in
folgenden Gruppen: die Marginalglossen von 1509 und 1510, die
Psalmenvorlesung, die Römerbriefvorlesung, die Schriften von
der Mitte 1516 bis zum September 1517, die Verhandlungen über
den Ablaß 1517, wonach noch Reflexionen und Würdigung
kommen. Die Anmerkungen umfassen die Seiten 281-398, in
denen man im einzelnen sieht, was der Vf. über die bisherige
Forschung denkt. Bibliographie und Verfasserverzeichnis beenden
das fließend geschriebene Buch, in dem der Leser nicht mit
dem ganzen Reichtum des Materials belästigt wird. Der Vf.
wählt aus dem reichen Material das illustrativste mit Einsicht
und systematischem Blick aus.

Der Vf. schätzt Leif Granes Studie über Gabriel Biel (Contra
Gabrielem, Kopenhagen 1962) hoch ein und bezeugt, daß er zum
selben Ergebnis in der Frage nach der eigentlichen Divergenz
zwischen der nominalistischen Tradition und Luther gekommen
ist: L. hatte kein Interesse, den Menschen an und für sich zu
analysieren. Dagegen konzentrierte sich sein Hauptinteresse auf
den .,Menschen in Bewegung", d.h. auf den Prozeß, durch den
der Christ sich zum Heil bewegt. Demgemäß sieht es der Vf. als
seine Hauptaufgabe an, darzulegen, wie L. in seinen frühen
Schriften bis zur Ablaßkontroverse 1517 das christliche Leben
unter Gottes Hand schildert. Er will aber nicht den jungen L.
psychologisch studieren und läßt dabei bewußt das große Selbstbekenntnis
vom J. 1545 beiseite, da das authentische Material
der betreffenden Jahre der Forschung festen Boden bietet.

Als treibende Motive in L.s Frühtheologie erweisen sich alle die
Fragen, die mit dem Ringen um die Heiligung zusammenhängen.

Religiös wie theologisch war das zentrale Anliegen L.s in diesen
Jahren von dem Erbe Bernhards in der bekannten Form bestimmt
: „In dem Moment, wo du müde wirst, besser zu werden,
hörst du auf, gut zu sein". Der Christ ist in L.s Röinerbrief-
vorlesung sanandus und curandus. Der wahre Gerechte ersehnt
die Gerechtigkeit, er steht nicht still, er meint nie, die Gerechtigkeit
erreicht zu haben (S. 113). Zur Zeit der Römerbriefvorlesung
hatte L. ein anschauliches Bild vom christlichen Leben (S. 128).
Diese „spirituality" in L.s frühen Schriften muß man als eine
Ursache der Reformation unter den vielen anderen Faktoren ansehen
, die man gewöhnlich als „Gründe der Reformation" bezeichnet
hat.

Der Hauptteil der Untersuchung beginnt im 6. Kapitel, wo die
Ablaßfrage zur Behandlung kommt. Hieraus gehthervor, daß
von seinen Psalmenvorlesungen an L.s Kritik sich gegen den
Ablaß ganz entschieden richtete. Der Ablaß habe die Wirkung,
alle Bestrebungen zur Buße und Tötung des Fleisches zu vernichten
. In der Ablaßkontroverse kam somit L.s Ideal des
christlichen Lebens zum Durchbruch. Er war dabei kein Revolutionär
, sondern ein religiöser und ernster Mensch. Dies ist das
Hauptergebnis dieser Untersuchung.

Für die Forschung interessant ist, daß der Vf. in der Hebräerbriefvorlesung
eine bemerkenswerte Veränderung der Christolo-
gie L.s finriet. Die juridische und satisfaktorische Auffassung
der Versöhnung, die seit Anselms Zeit die Anschauung des
Westens gekennzeichnet hatte, wird in jener Vorlesung durch
eine andere Anschauung ersetzt: Christus ist der Sieger über den
Tod und über all die anderen Verderbensmächte, und das
Sakrament des neuen Lebens, d.h. das klassische Versöhnungsmotiv
nach Gustaf Aulen bricht hervor (die Scholie zu Hebr 2,14).
Die Beschreibung L.s der Versöhnung Christi ruft die Bewunderung
des Vf.s hervor. Wie der Tod durch den Tod überwunden
wird und wie das opus alienum Dei gerade das opus proprium
Dei hervorruft, der Gedanke von dem triumphierenden Christus,
der den Satan tun läßt, was er will, ist nach der Meinung des
Vf.s „ingenious and enlightening" (S.204-205).

Der Vf. stellt fest, daß der Christ nach L. ein Mensch ist, der
bis auf die Wurzeln seiner Sünde geht. Er seufzt nach der heilbringenden
Gnade, damit diese Wurzeln getötet und seine erdgebundenen
Neigungen verändert würden. Dies ist die Lebensbuße
des Christen und sie war eine positive Errungenschaft, die
die Balance zwischen der Theorie und der Praxis der Kirchenlehre
hätte wieder herstellen können. Der schwache Punkt war
aber, daß L. die Lebensbuße von dem Bußsakrament trennte,
und dies führte dahin, daß die Diskussion in die Theorie des
Sakraments verlegt wurde. Das Ergebnis war eine Reformation,
die zugleich Separation war (S.271).

Auf der protestantischen Seite hat man stets gedacht, der
Mißbrauch im Ablaßhandel sei der Hauptgrund gewesen, der die
Reformation ins Rollen brachte. Offenbar war die Kirchenlehre
über den Ablaß sehr unklar. In einem Vorwort vom J. 1538 sagt
L., daß er im J. 1517 nicht wußte, was Ablaß war. Man hat aber
gute Gründe für die Behauptung, daß auch die Kirche selbst
damals dies nicht wußte (Vgl. z.B. Leif Grane, Protest og
Konsekvens. Faser i Martin Luthers Taenkning indtil 1525,1968
S.103f.).

Sodann bin ich in Verlegenheit wegen der Behauptung des
Vf.s, wenn er sagt, daß L. am Ende des Jahres 1517 und im Jahr
1518 seine Anschauung des Glaubens entschieden umschuf, und
zwar so, daß er wieder das Ego im Glauben unterstrich (S.271).
Dies soll nun sein Fehler gewesen sein, der ihn auf falsche Geleise
leitete. Hierzu möchte ich zunächst erwidern, daß dieses Ego
keineswegs Egozentrismus bedeutete, sondern eher das, was man
heutzutage mit dem Ausdruck „existentiell" meint.

Mit den Folgerungen, die der Vf. aus der oben genannten
neuen Christologie L.s zieht, kann ich mich nicht einverstanden
erklären. Diese vier Punkte (S.272) sind folgende:

1. Die neue Christologie der Hebräerbriefvorlesung verschmälere
das Werk Christi, indem sie Christus nicht als gestorben
und auferstanden betrachte, um seinem Volk neues
Leben zu bringen, sondern bloß um die Individuen inmitten
ihrer Anfechtungen gewiß über Gottes Gunst zu machen.

2. Die Betonung der Heilsgewißheit relativiere gänzlich die
reinigende Wirkung der Gnade, die zur Liebe leiten soll.